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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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habe mich seit Jahren bemüht in Zeitschriften, ein paar Broschüren
und in meiner Schrift "die deutschen Schwurgerichte" ihnen auch in
Deutschland Anerkennung zu verschaffen, und ich sehe mit Vergnü¬
gen, daß ich schon nicht mehr allein stehe. Der unglückliche Irr¬
wahn, daß Geschworne Richter seien, muß ausgerottet werden; die
Geschwornen sind in England und Nordamerika nichts weiter und
sollen nichts weiter sein, als ein gerichtliches Beweismittel für den
Richter und unter seiner Leitung.

ES ist sehr richtig, wenn Mittermaier auf die große Verschie¬
denheit der englischen und der französischen Schwurgerichte aufmerk¬
sam macht; es ist aber irrig, wenn er sagt: "Durchlieft man die
Schriften, welche die Vertheidigung der Gcschwornenverfassung be¬
zwecken, so weiß man nicht, ob den Anhängern des Institutes die
englisch-nordamerikanische oder die französische, oder eine nach ande¬
ren Ideen einzurichtende Jury vorschwebt." Denn während Feuer¬
bach gegen die französische Jury eiferte, war er für die englische.
Ihm sind einige Schriftsteller gefolgt; unter Anderen habe ich selbst
in meiner Schrift über Schwurgerichte die Gerichte eingetheilt in
Jnquisitionögerichte, in reine Schwurgerichte und in gemischte Ge¬
richte, und zur zweiten Classe die englischen, zur dritten die franzö¬
sischen Schwurgerichte gerechnet, weil sich nur in der englischen die
reinen und richtigen Elemente der Jury finden, dagegen in Frank¬
reich die Voruntersuchung rein inquisitorisch ist. Ueber das Ver¬
hältniß der französischen zur englischen Jury hat sich in derselben
Weise nach mir Rintel ausgesprochen.

Behauptet Mittermaier, daß der englische vom französischen
Strafprocesse wesentlich verschieden sei, so will er doch nicht das
Reininquisitorische der französischen Voruntersuchung zugeben. Wir
müßten nun vor allen Dingen erst darüber in'S Reine kommen,
worin denn eigentlich das Jnquisitionsprinrip bestehe. Mittermaier
sagt selbst, daß man darüber noch im Unklaren, und giebt eine Er¬
klärung, die aber ebenfalls nicht weiter bringt. Indessen können wir
Uns dies Mal helfen. Mittermaier giebt nämlich selbst zu: "Allerdings ist
viel Inquisitorisches in der französischen Voruntersuchung." DaS Ein¬
zige, woraus er das Nichtinquisitorische der französischen Vorunter¬
suchung ableiten will, besteht darin: daß die Anträge deS Staats-
anwaltes die Thätigkeit deS Untersuchungsrichters wesentlich destin-


habe mich seit Jahren bemüht in Zeitschriften, ein paar Broschüren
und in meiner Schrift „die deutschen Schwurgerichte" ihnen auch in
Deutschland Anerkennung zu verschaffen, und ich sehe mit Vergnü¬
gen, daß ich schon nicht mehr allein stehe. Der unglückliche Irr¬
wahn, daß Geschworne Richter seien, muß ausgerottet werden; die
Geschwornen sind in England und Nordamerika nichts weiter und
sollen nichts weiter sein, als ein gerichtliches Beweismittel für den
Richter und unter seiner Leitung.

ES ist sehr richtig, wenn Mittermaier auf die große Verschie¬
denheit der englischen und der französischen Schwurgerichte aufmerk¬
sam macht; es ist aber irrig, wenn er sagt: „Durchlieft man die
Schriften, welche die Vertheidigung der Gcschwornenverfassung be¬
zwecken, so weiß man nicht, ob den Anhängern des Institutes die
englisch-nordamerikanische oder die französische, oder eine nach ande¬
ren Ideen einzurichtende Jury vorschwebt." Denn während Feuer¬
bach gegen die französische Jury eiferte, war er für die englische.
Ihm sind einige Schriftsteller gefolgt; unter Anderen habe ich selbst
in meiner Schrift über Schwurgerichte die Gerichte eingetheilt in
Jnquisitionögerichte, in reine Schwurgerichte und in gemischte Ge¬
richte, und zur zweiten Classe die englischen, zur dritten die franzö¬
sischen Schwurgerichte gerechnet, weil sich nur in der englischen die
reinen und richtigen Elemente der Jury finden, dagegen in Frank¬
reich die Voruntersuchung rein inquisitorisch ist. Ueber das Ver¬
hältniß der französischen zur englischen Jury hat sich in derselben
Weise nach mir Rintel ausgesprochen.

Behauptet Mittermaier, daß der englische vom französischen
Strafprocesse wesentlich verschieden sei, so will er doch nicht das
Reininquisitorische der französischen Voruntersuchung zugeben. Wir
müßten nun vor allen Dingen erst darüber in'S Reine kommen,
worin denn eigentlich das Jnquisitionsprinrip bestehe. Mittermaier
sagt selbst, daß man darüber noch im Unklaren, und giebt eine Er¬
klärung, die aber ebenfalls nicht weiter bringt. Indessen können wir
Uns dies Mal helfen. Mittermaier giebt nämlich selbst zu: „Allerdings ist
viel Inquisitorisches in der französischen Voruntersuchung." DaS Ein¬
zige, woraus er das Nichtinquisitorische der französischen Vorunter¬
suchung ableiten will, besteht darin: daß die Anträge deS Staats-
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[0494] habe mich seit Jahren bemüht in Zeitschriften, ein paar Broschüren und in meiner Schrift „die deutschen Schwurgerichte" ihnen auch in Deutschland Anerkennung zu verschaffen, und ich sehe mit Vergnü¬ gen, daß ich schon nicht mehr allein stehe. Der unglückliche Irr¬ wahn, daß Geschworne Richter seien, muß ausgerottet werden; die Geschwornen sind in England und Nordamerika nichts weiter und sollen nichts weiter sein, als ein gerichtliches Beweismittel für den Richter und unter seiner Leitung. ES ist sehr richtig, wenn Mittermaier auf die große Verschie¬ denheit der englischen und der französischen Schwurgerichte aufmerk¬ sam macht; es ist aber irrig, wenn er sagt: „Durchlieft man die Schriften, welche die Vertheidigung der Gcschwornenverfassung be¬ zwecken, so weiß man nicht, ob den Anhängern des Institutes die englisch-nordamerikanische oder die französische, oder eine nach ande¬ ren Ideen einzurichtende Jury vorschwebt." Denn während Feuer¬ bach gegen die französische Jury eiferte, war er für die englische. Ihm sind einige Schriftsteller gefolgt; unter Anderen habe ich selbst in meiner Schrift über Schwurgerichte die Gerichte eingetheilt in Jnquisitionögerichte, in reine Schwurgerichte und in gemischte Ge¬ richte, und zur zweiten Classe die englischen, zur dritten die franzö¬ sischen Schwurgerichte gerechnet, weil sich nur in der englischen die reinen und richtigen Elemente der Jury finden, dagegen in Frank¬ reich die Voruntersuchung rein inquisitorisch ist. Ueber das Ver¬ hältniß der französischen zur englischen Jury hat sich in derselben Weise nach mir Rintel ausgesprochen. Behauptet Mittermaier, daß der englische vom französischen Strafprocesse wesentlich verschieden sei, so will er doch nicht das Reininquisitorische der französischen Voruntersuchung zugeben. Wir müßten nun vor allen Dingen erst darüber in'S Reine kommen, worin denn eigentlich das Jnquisitionsprinrip bestehe. Mittermaier sagt selbst, daß man darüber noch im Unklaren, und giebt eine Er¬ klärung, die aber ebenfalls nicht weiter bringt. Indessen können wir Uns dies Mal helfen. Mittermaier giebt nämlich selbst zu: „Allerdings ist viel Inquisitorisches in der französischen Voruntersuchung." DaS Ein¬ zige, woraus er das Nichtinquisitorische der französischen Vorunter¬ suchung ableiten will, besteht darin: daß die Anträge deS Staats- anwaltes die Thätigkeit deS Untersuchungsrichters wesentlich destin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/494>, abgerufen am 07.02.2025.