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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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wen, und daß ohne den Antrag deö StaarSanwalteS der Untersu¬
chungsrichter zwar provisorische Jnformationöhandlungen vornehmen,
aber nicht eine eigentliche Untersuchung antreten könne- Nun ist
man aber bisher immer der Ansicht gewesen, daß der Charakter des
JnquisitionsgerichteS durch Zuziehung eines Fiscals oder Staats-
anwaltes nichts weniger als beeinträchtigt werde, sondern daß viel¬
mehr im Gegentheile die Macht des Inquisitors durch den Fiscal
nur verstärkt und dadurch der Inquisit in eine nur noch hilflosere
Lage gebracht werde, da man ihm ja auch in Frankreich während
der Inquisition einen Vertheidiger nicht gestattet. Mittermaier hat
also durchaus Nichts vorgebracht, was uns in der Meinung, die
französische Voruntersuchung sei inquisitorisch, wankend machen könnte.
Uebrigens geben wol die französischen Schriftsteller darüber den be¬
sten Aufschluß. Die Ideen der französischen Juristen waren vor der
Revolution im JuquisitionSprincipe befangen, wie die unsrigen; sie
wurden durch die Ideen der Revolution in den Hintergrund ge¬
drängt, machten sich aber 1808 und 1809 wieder geltend. Man
schlage die Schriftsteller, welche uns über die Entstehung des l^olle
alö in jii-o^ni"-,; am"i"i.>II>! Aufschluß geben, auf; man wird fin¬
den, daß man mit vollem Bewußtsein handelte und, wie man sagte,
die Vortheile pes JnquisitionSverfahrenS mit denen des Anklagever-
fahrens vereinigen wollte.

Sogar in der französischen Hauptuntersuchung blickt das inqui¬
sitorische Element durch; denn während bei den reinen Schwurge¬
richten der Grundsatz festgehalten wird: Jede gerichtliche Handlung
allemal von demjenigen vornehmen zu lassen, welcher bei ihrem Er¬
folge am meisten interessirt oder betheiligt ist, will bei dem Jnquisi-
tionsgerichte der Jnquisitionsrichter Alles selber machen; bei den er¬
sten werden die Rollen an verschiedene Personen vertheilt, bei den
letzteren soll wo möglich Alles in einer Haro vereinigt werden.
Daher kommt es denn, daß bei der englischen Hauptverhandlung
der Richter gänzlich unparteiisch nur überwacht, während der Anklä¬
ger seine Belastungszeugen, dagegen der Angeklagte und Vertheidi¬
ger seine Entlastungszeugen verhört. Ganz anders in Frankreich,
wo der Präsident der Assisen alle Verhöre selbst vornimmt.

Mangelhaft ist es ferner, wenn Mittermaier die Fragen nicht
abgehandelt, nicht ein Mal aufgeworfen hat- In welchem Verhält-


wen, und daß ohne den Antrag deö StaarSanwalteS der Untersu¬
chungsrichter zwar provisorische Jnformationöhandlungen vornehmen,
aber nicht eine eigentliche Untersuchung antreten könne- Nun ist
man aber bisher immer der Ansicht gewesen, daß der Charakter des
JnquisitionsgerichteS durch Zuziehung eines Fiscals oder Staats-
anwaltes nichts weniger als beeinträchtigt werde, sondern daß viel¬
mehr im Gegentheile die Macht des Inquisitors durch den Fiscal
nur verstärkt und dadurch der Inquisit in eine nur noch hilflosere
Lage gebracht werde, da man ihm ja auch in Frankreich während
der Inquisition einen Vertheidiger nicht gestattet. Mittermaier hat
also durchaus Nichts vorgebracht, was uns in der Meinung, die
französische Voruntersuchung sei inquisitorisch, wankend machen könnte.
Uebrigens geben wol die französischen Schriftsteller darüber den be¬
sten Aufschluß. Die Ideen der französischen Juristen waren vor der
Revolution im JuquisitionSprincipe befangen, wie die unsrigen; sie
wurden durch die Ideen der Revolution in den Hintergrund ge¬
drängt, machten sich aber 1808 und 1809 wieder geltend. Man
schlage die Schriftsteller, welche uns über die Entstehung des l^olle
alö in jii-o^ni»-,; am»i»i.>II>! Aufschluß geben, auf; man wird fin¬
den, daß man mit vollem Bewußtsein handelte und, wie man sagte,
die Vortheile pes JnquisitionSverfahrenS mit denen des Anklagever-
fahrens vereinigen wollte.

Sogar in der französischen Hauptuntersuchung blickt das inqui¬
sitorische Element durch; denn während bei den reinen Schwurge¬
richten der Grundsatz festgehalten wird: Jede gerichtliche Handlung
allemal von demjenigen vornehmen zu lassen, welcher bei ihrem Er¬
folge am meisten interessirt oder betheiligt ist, will bei dem Jnquisi-
tionsgerichte der Jnquisitionsrichter Alles selber machen; bei den er¬
sten werden die Rollen an verschiedene Personen vertheilt, bei den
letzteren soll wo möglich Alles in einer Haro vereinigt werden.
Daher kommt es denn, daß bei der englischen Hauptverhandlung
der Richter gänzlich unparteiisch nur überwacht, während der Anklä¬
ger seine Belastungszeugen, dagegen der Angeklagte und Vertheidi¬
ger seine Entlastungszeugen verhört. Ganz anders in Frankreich,
wo der Präsident der Assisen alle Verhöre selbst vornimmt.

Mangelhaft ist es ferner, wenn Mittermaier die Fragen nicht
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[0495] wen, und daß ohne den Antrag deö StaarSanwalteS der Untersu¬ chungsrichter zwar provisorische Jnformationöhandlungen vornehmen, aber nicht eine eigentliche Untersuchung antreten könne- Nun ist man aber bisher immer der Ansicht gewesen, daß der Charakter des JnquisitionsgerichteS durch Zuziehung eines Fiscals oder Staats- anwaltes nichts weniger als beeinträchtigt werde, sondern daß viel¬ mehr im Gegentheile die Macht des Inquisitors durch den Fiscal nur verstärkt und dadurch der Inquisit in eine nur noch hilflosere Lage gebracht werde, da man ihm ja auch in Frankreich während der Inquisition einen Vertheidiger nicht gestattet. Mittermaier hat also durchaus Nichts vorgebracht, was uns in der Meinung, die französische Voruntersuchung sei inquisitorisch, wankend machen könnte. Uebrigens geben wol die französischen Schriftsteller darüber den be¬ sten Aufschluß. Die Ideen der französischen Juristen waren vor der Revolution im JuquisitionSprincipe befangen, wie die unsrigen; sie wurden durch die Ideen der Revolution in den Hintergrund ge¬ drängt, machten sich aber 1808 und 1809 wieder geltend. Man schlage die Schriftsteller, welche uns über die Entstehung des l^olle alö in jii-o^ni»-,; am»i»i.>II>! Aufschluß geben, auf; man wird fin¬ den, daß man mit vollem Bewußtsein handelte und, wie man sagte, die Vortheile pes JnquisitionSverfahrenS mit denen des Anklagever- fahrens vereinigen wollte. Sogar in der französischen Hauptuntersuchung blickt das inqui¬ sitorische Element durch; denn während bei den reinen Schwurge¬ richten der Grundsatz festgehalten wird: Jede gerichtliche Handlung allemal von demjenigen vornehmen zu lassen, welcher bei ihrem Er¬ folge am meisten interessirt oder betheiligt ist, will bei dem Jnquisi- tionsgerichte der Jnquisitionsrichter Alles selber machen; bei den er¬ sten werden die Rollen an verschiedene Personen vertheilt, bei den letzteren soll wo möglich Alles in einer Haro vereinigt werden. Daher kommt es denn, daß bei der englischen Hauptverhandlung der Richter gänzlich unparteiisch nur überwacht, während der Anklä¬ ger seine Belastungszeugen, dagegen der Angeklagte und Vertheidi¬ ger seine Entlastungszeugen verhört. Ganz anders in Frankreich, wo der Präsident der Assisen alle Verhöre selbst vornimmt. Mangelhaft ist es ferner, wenn Mittermaier die Fragen nicht abgehandelt, nicht ein Mal aufgeworfen hat- In welchem Verhält-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/495>, abgerufen am 10.02.2025.