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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Mündlichkeit, Oeffentlichkeit nur die Stimme einiger Unzufriedenen
oder ercentrisch Liberalen, oder Anhänger fremder Einrichtungen sei.
Die treuesten Freunde der Regierung selbst sind es, welche die Um¬
gestaltung wünsche", weil sie wissen, daß keine Macht der Erde das
Vertrauen hervorrufen oder erhalten kann, wenn die rastlos fort¬
schreitenden Ideen einmal die Ueberzeugung im Volke begründet ha¬
ben, daß die Einrichtungen, welche man aufrecht halten möchte, den
Bedürfnissen nicht entsprechen und Vertrauen nicht verdienen."

Mittermaicrs Schrift zerfällt in zwei Hauptabtheilungen, wo¬
von die erste geschichtlich, die andere theoretisch ist. Die erste er¬
zählt, was auf dein Gebiete der Wissenschaft seit Fellerbach, was in
gesetzgebenden Versammlungen für Einführung eines öffentlich münd¬
lichen Nechtswesens in diesem Jahrhunderte geschehen, und wie es
damit in Ländern, wo es jetzt heimisch ist, sich verhält. Der andere
Theil handelt die Fragen ab über das Verhältniß des englischen
zum französischen Strafverfahren, über den Zusammenhang des Pro"
cesses mit der Gerichtsverfassung, über die Mündlichkeit, über das
Verhältniß des Anklage- und Jnquisitionsprincipes, über Staatsan¬
waltschaft, über Oeffentlichkeit, über G-'schwornengerichte und endlich
über das Verhältniß der Mündlichkeit zur Urtheilsfällung durch rechts¬
gelehrte Richter.

Mittermaiers Meisterschaft in der Darstellung ist bekannt, in¬
dessen glaube ich doch auf einige irrige Angaben und einige wesent¬
liche Mängel aufmerksam machen zu müssen. Die hohe wichtige
Frage: In welchem Verhältnisse stehen die Geschwornen zum Rich¬
ter in England? in Frankreich? in welchem Verhältnisse sollen sie
zu ihm stehen? ist von Mittermaier nicht abgehandelt worden. Er
führt nur gelegentlich an, daß Rintel (Von der Jury. Münster
1844.) sich zu zeigen bemühe, daß die Jury ein aus der Natur deS
Strafverfahrens selbst hervorgehendes, von demselben nothwendig ge¬
fordertes Beweismittel sei, -- daß er verlange, daß das Zeugniß,
worauf der Richter baue, objectiv sei, und diese Form in dem Zeug¬
nisse der Jury anerkenne. Mittermaier führt dies als etwas Rin-
teln Eigenthümliches und Neues an. Dies ist irrig. ES sind dies
blos die Ansichten der englischen Rechtslehrer, die auch in Deutsch¬
land nichts Neues sein sollten, denn Feuerbach hat sie in seinen
Schriften angenommen, veröffentlicht und verfochten, und ich selbst


Mündlichkeit, Oeffentlichkeit nur die Stimme einiger Unzufriedenen
oder ercentrisch Liberalen, oder Anhänger fremder Einrichtungen sei.
Die treuesten Freunde der Regierung selbst sind es, welche die Um¬
gestaltung wünsche», weil sie wissen, daß keine Macht der Erde das
Vertrauen hervorrufen oder erhalten kann, wenn die rastlos fort¬
schreitenden Ideen einmal die Ueberzeugung im Volke begründet ha¬
ben, daß die Einrichtungen, welche man aufrecht halten möchte, den
Bedürfnissen nicht entsprechen und Vertrauen nicht verdienen."

Mittermaicrs Schrift zerfällt in zwei Hauptabtheilungen, wo¬
von die erste geschichtlich, die andere theoretisch ist. Die erste er¬
zählt, was auf dein Gebiete der Wissenschaft seit Fellerbach, was in
gesetzgebenden Versammlungen für Einführung eines öffentlich münd¬
lichen Nechtswesens in diesem Jahrhunderte geschehen, und wie es
damit in Ländern, wo es jetzt heimisch ist, sich verhält. Der andere
Theil handelt die Fragen ab über das Verhältniß des englischen
zum französischen Strafverfahren, über den Zusammenhang des Pro»
cesses mit der Gerichtsverfassung, über die Mündlichkeit, über das
Verhältniß des Anklage- und Jnquisitionsprincipes, über Staatsan¬
waltschaft, über Oeffentlichkeit, über G-'schwornengerichte und endlich
über das Verhältniß der Mündlichkeit zur Urtheilsfällung durch rechts¬
gelehrte Richter.

Mittermaiers Meisterschaft in der Darstellung ist bekannt, in¬
dessen glaube ich doch auf einige irrige Angaben und einige wesent¬
liche Mängel aufmerksam machen zu müssen. Die hohe wichtige
Frage: In welchem Verhältnisse stehen die Geschwornen zum Rich¬
ter in England? in Frankreich? in welchem Verhältnisse sollen sie
zu ihm stehen? ist von Mittermaier nicht abgehandelt worden. Er
führt nur gelegentlich an, daß Rintel (Von der Jury. Münster
1844.) sich zu zeigen bemühe, daß die Jury ein aus der Natur deS
Strafverfahrens selbst hervorgehendes, von demselben nothwendig ge¬
fordertes Beweismittel sei, — daß er verlange, daß das Zeugniß,
worauf der Richter baue, objectiv sei, und diese Form in dem Zeug¬
nisse der Jury anerkenne. Mittermaier führt dies als etwas Rin-
teln Eigenthümliches und Neues an. Dies ist irrig. ES sind dies
blos die Ansichten der englischen Rechtslehrer, die auch in Deutsch¬
land nichts Neues sein sollten, denn Feuerbach hat sie in seinen
Schriften angenommen, veröffentlicht und verfochten, und ich selbst


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[0493] Mündlichkeit, Oeffentlichkeit nur die Stimme einiger Unzufriedenen oder ercentrisch Liberalen, oder Anhänger fremder Einrichtungen sei. Die treuesten Freunde der Regierung selbst sind es, welche die Um¬ gestaltung wünsche», weil sie wissen, daß keine Macht der Erde das Vertrauen hervorrufen oder erhalten kann, wenn die rastlos fort¬ schreitenden Ideen einmal die Ueberzeugung im Volke begründet ha¬ ben, daß die Einrichtungen, welche man aufrecht halten möchte, den Bedürfnissen nicht entsprechen und Vertrauen nicht verdienen." Mittermaicrs Schrift zerfällt in zwei Hauptabtheilungen, wo¬ von die erste geschichtlich, die andere theoretisch ist. Die erste er¬ zählt, was auf dein Gebiete der Wissenschaft seit Fellerbach, was in gesetzgebenden Versammlungen für Einführung eines öffentlich münd¬ lichen Nechtswesens in diesem Jahrhunderte geschehen, und wie es damit in Ländern, wo es jetzt heimisch ist, sich verhält. Der andere Theil handelt die Fragen ab über das Verhältniß des englischen zum französischen Strafverfahren, über den Zusammenhang des Pro» cesses mit der Gerichtsverfassung, über die Mündlichkeit, über das Verhältniß des Anklage- und Jnquisitionsprincipes, über Staatsan¬ waltschaft, über Oeffentlichkeit, über G-'schwornengerichte und endlich über das Verhältniß der Mündlichkeit zur Urtheilsfällung durch rechts¬ gelehrte Richter. Mittermaiers Meisterschaft in der Darstellung ist bekannt, in¬ dessen glaube ich doch auf einige irrige Angaben und einige wesent¬ liche Mängel aufmerksam machen zu müssen. Die hohe wichtige Frage: In welchem Verhältnisse stehen die Geschwornen zum Rich¬ ter in England? in Frankreich? in welchem Verhältnisse sollen sie zu ihm stehen? ist von Mittermaier nicht abgehandelt worden. Er führt nur gelegentlich an, daß Rintel (Von der Jury. Münster 1844.) sich zu zeigen bemühe, daß die Jury ein aus der Natur deS Strafverfahrens selbst hervorgehendes, von demselben nothwendig ge¬ fordertes Beweismittel sei, — daß er verlange, daß das Zeugniß, worauf der Richter baue, objectiv sei, und diese Form in dem Zeug¬ nisse der Jury anerkenne. Mittermaier führt dies als etwas Rin- teln Eigenthümliches und Neues an. Dies ist irrig. ES sind dies blos die Ansichten der englischen Rechtslehrer, die auch in Deutsch¬ land nichts Neues sein sollten, denn Feuerbach hat sie in seinen Schriften angenommen, veröffentlicht und verfochten, und ich selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/493>, abgerufen am 06.02.2025.