Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.diesen Ueberresten des Verfalls der Künste und Wissenschaften und Eines dürfen indeß die deutschen Staatsmänner bei dieser An¬ diesen Ueberresten des Verfalls der Künste und Wissenschaften und Eines dürfen indeß die deutschen Staatsmänner bei dieser An¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271753"/> <p xml:id="ID_1340" prev="#ID_1339"> diesen Ueberresten des Verfalls der Künste und Wissenschaften und<lb/> mittelalterlichen Barbarei nicht den Segen der Menschheit erblicken ;<lb/> eS wird ihn von selbst zu dem Gedanken eines öffentlichmündlichen<lb/> Rechtswescns hindrängen und er wird in den Geschwornengerichten<lb/> Englands und Nordamerikas die ächte linia rvdivivi,, in den Ge¬<lb/> schwornengerichten des jungen Hellas die wahre Lritoci-l i,-«Iiviv-t,<lb/> die wiederaufgefundene Quelle classischer Beredsamkeit mit Begeiste¬<lb/> rung begrüßen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1341" next="#ID_1342"> Eines dürfen indeß die deutschen Staatsmänner bei dieser An¬<lb/> gelegenheit nicht übersehen: Wenn auch verhältnißmäßig erst Wenige<lb/> wissen, was sie wollen, so wissen doch fast Alle, was sie nicht wol¬<lb/> len. Die Zahl derjenigen, welche den deutschen Jnquisitionsproceß,<lb/> wie er jetzt ist, beibehalten wissen wollen, dürfte äußerst gering sein.<lb/> Fast Alle stimmen darin überein, daß es mit unserer Strafrechts»<lb/> pflege nicht so bleiben kann, wie es jetzt ist. Wie soll es anders<lb/> Werden? — Bei der Beantwortung dieser Frage scheidet sich die<lb/> ganze Bevölkerung in die kleine Partei unserer Juristen und in die<lb/> Masse der Nichtjuristen. Die Juristen — einzelne Ausnahmen ab¬<lb/> gerechnet — wollen wenigstens ihr theures Jnquisitionsprincip ret¬<lb/> ten, ein Kleinod, über dessen Wesen sie — beiläufig gesagt — noch<lb/> im Streite sind. Die Masse der Nichtjuristen verlangt dage¬<lb/> gen Abtragung des alten Gebäudes und einen völligen, gründ¬<lb/> lichen Neubau. Weiß sie auch nicht, wie der Neubau aufzuführen<lb/> ist, so sieht sie doch, daß das alte Gebäude Jeden mit Lebensgefahr<lb/> bedroht. Oft schon hat der Jnquisitionsproceß in Deutschland in<lb/> religiösen und politischen Fragen wie die Pest grassirt, und seit 1815<lb/> haben ihn wieder viele Tausende, deren Jugend, Lebensglück oder<lb/> Leben hingeopfert wurde, von Angesicht zu Angesicht kennen gelernt.<lb/> Himmelschreiende Thatsachen sind bekannt geworden — und über<lb/> wie vielem liegt noch der Schleier des Geheimnisses I Die Erkennt¬<lb/> niß ist durchgebrochen, daß der Jnquisitionsproceß, diese Erfindung<lb/> päpstlicher Politik, dieses Erbstück des politischen Papstthums, der<lb/> deutschen Nation zur Schmach gereicht. Und in dieser Beziehung<lb/> hat Mittermaier Recht, wenn er sagt: „Es ist eine schwere Ver¬<lb/> schuldung von Seiten derjenigen, welche noch häufig den Regenten,<lb/> die aus ihrer erhabenen Stufe nicht selbst alle Verhältnisse im De¬<lb/> tail erkennen und würdigen können, vorstellen, daß der Ruf nach</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0492]
diesen Ueberresten des Verfalls der Künste und Wissenschaften und
mittelalterlichen Barbarei nicht den Segen der Menschheit erblicken ;
eS wird ihn von selbst zu dem Gedanken eines öffentlichmündlichen
Rechtswescns hindrängen und er wird in den Geschwornengerichten
Englands und Nordamerikas die ächte linia rvdivivi,, in den Ge¬
schwornengerichten des jungen Hellas die wahre Lritoci-l i,-«Iiviv-t,
die wiederaufgefundene Quelle classischer Beredsamkeit mit Begeiste¬
rung begrüßen.
Eines dürfen indeß die deutschen Staatsmänner bei dieser An¬
gelegenheit nicht übersehen: Wenn auch verhältnißmäßig erst Wenige
wissen, was sie wollen, so wissen doch fast Alle, was sie nicht wol¬
len. Die Zahl derjenigen, welche den deutschen Jnquisitionsproceß,
wie er jetzt ist, beibehalten wissen wollen, dürfte äußerst gering sein.
Fast Alle stimmen darin überein, daß es mit unserer Strafrechts»
pflege nicht so bleiben kann, wie es jetzt ist. Wie soll es anders
Werden? — Bei der Beantwortung dieser Frage scheidet sich die
ganze Bevölkerung in die kleine Partei unserer Juristen und in die
Masse der Nichtjuristen. Die Juristen — einzelne Ausnahmen ab¬
gerechnet — wollen wenigstens ihr theures Jnquisitionsprincip ret¬
ten, ein Kleinod, über dessen Wesen sie — beiläufig gesagt — noch
im Streite sind. Die Masse der Nichtjuristen verlangt dage¬
gen Abtragung des alten Gebäudes und einen völligen, gründ¬
lichen Neubau. Weiß sie auch nicht, wie der Neubau aufzuführen
ist, so sieht sie doch, daß das alte Gebäude Jeden mit Lebensgefahr
bedroht. Oft schon hat der Jnquisitionsproceß in Deutschland in
religiösen und politischen Fragen wie die Pest grassirt, und seit 1815
haben ihn wieder viele Tausende, deren Jugend, Lebensglück oder
Leben hingeopfert wurde, von Angesicht zu Angesicht kennen gelernt.
Himmelschreiende Thatsachen sind bekannt geworden — und über
wie vielem liegt noch der Schleier des Geheimnisses I Die Erkennt¬
niß ist durchgebrochen, daß der Jnquisitionsproceß, diese Erfindung
päpstlicher Politik, dieses Erbstück des politischen Papstthums, der
deutschen Nation zur Schmach gereicht. Und in dieser Beziehung
hat Mittermaier Recht, wenn er sagt: „Es ist eine schwere Ver¬
schuldung von Seiten derjenigen, welche noch häufig den Regenten,
die aus ihrer erhabenen Stufe nicht selbst alle Verhältnisse im De¬
tail erkennen und würdigen können, vorstellen, daß der Ruf nach
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