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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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ehrwürdigen Silberbart den griechischen Hetären opferte, welche die
Orgien des kaiserlichen Reformators würzten.

Mitten unter diesen Reibungen machte der junge Reschid seine
Carriere. Seit dem Vertrage von Adrianopel, bei dessen Abschlüsse
er als Secretär mit thätig gewesen, diente er im Ministerium des
Auswärtigen, unter Pertew-Pascha, an welchem er einen warmen
Freund und Beschützer fand. Wenn sein reifer Verstand sich auch
später weit über den Jdeenkreis seines Gönners erhob, so behielt
sein Herz doch immer eine tiefe Verehrung für den edeln und gro߬
müthigen Charakter Pertew's.

Im Jcchre 1833 wurde Reschid, nach der Niederlage von Ko-
nieh, abgesandt, um mit dem Sieger über die Bedingungen deS
Vertrags von Kutahieh zu unterhandeln. Ein Jahr darauf war er
der erste ordentliche Gesandte, den die Pforte bei den europäischen
Höfen förmlich anstellte. Zwei Jahre lang versah er diesen Posten,
bald in Paris und bald in London. Welch eine Schule und welche
Ueberraschungen für einen intelligenten Türken! Wir haben leider
nicht Gelegenheit gehabt, einen Blick in Reschid's Reisenotizen zu
weifen, aber wir sind überzeugt, daß sie jedenfalls origineller aus¬
gefallen sind, als die geistreichen Erpectorationen unserer zahllosen
Touristen, und daß sie für Europa vielleicht eben so lehrreich wären,
als die Briefe des Herrn von Raumer. Schade, daß solche veri-
table letties per"-""-" oder tue<juv8 ""gedruckt bleiben.

Mitten in seinen modernen Studien wurde Reschid durch ein
echt orientalisches Intermezzo gestört. Pertew-Pascha war es gelun¬
gen, den alten Chosrew zu stürzen, und er rief den jungen Gesand¬
ten zurück, um ihn zum Minister deS Auswärtigen im neugebildeten
Cabinet zu machen. Aber Pertew's Triumph dauerte nicht lange.
Noch war Reschid nicht aus Paris zurück, als Pertew schon wieder
den Intriguen seines Gegners erlag und nach Adrianopel verwiesen
wurde. Mahmud dachte aber schon daran ihn zurückzurufen, als
die Intriguanten in einer bacchanalischen Nacht dem berauschten
Sultan einen Todesferman für ihren Gegner entlockten. Den an¬
dern Morgen hatte Mahmud vergessen, was in der Nacht vorge¬
gangen, während ein Courier mit dem verhängnißvollen Fernau
nach Avrianopel eilte, und Pertew sein Haupt mit muselmännischer
Ergebung in die seidene Schlinge steckte. Man sagt sogar, daß der


ehrwürdigen Silberbart den griechischen Hetären opferte, welche die
Orgien des kaiserlichen Reformators würzten.

Mitten unter diesen Reibungen machte der junge Reschid seine
Carriere. Seit dem Vertrage von Adrianopel, bei dessen Abschlüsse
er als Secretär mit thätig gewesen, diente er im Ministerium des
Auswärtigen, unter Pertew-Pascha, an welchem er einen warmen
Freund und Beschützer fand. Wenn sein reifer Verstand sich auch
später weit über den Jdeenkreis seines Gönners erhob, so behielt
sein Herz doch immer eine tiefe Verehrung für den edeln und gro߬
müthigen Charakter Pertew's.

Im Jcchre 1833 wurde Reschid, nach der Niederlage von Ko-
nieh, abgesandt, um mit dem Sieger über die Bedingungen deS
Vertrags von Kutahieh zu unterhandeln. Ein Jahr darauf war er
der erste ordentliche Gesandte, den die Pforte bei den europäischen
Höfen förmlich anstellte. Zwei Jahre lang versah er diesen Posten,
bald in Paris und bald in London. Welch eine Schule und welche
Ueberraschungen für einen intelligenten Türken! Wir haben leider
nicht Gelegenheit gehabt, einen Blick in Reschid's Reisenotizen zu
weifen, aber wir sind überzeugt, daß sie jedenfalls origineller aus¬
gefallen sind, als die geistreichen Erpectorationen unserer zahllosen
Touristen, und daß sie für Europa vielleicht eben so lehrreich wären,
als die Briefe des Herrn von Raumer. Schade, daß solche veri-
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Mitten in seinen modernen Studien wurde Reschid durch ein
echt orientalisches Intermezzo gestört. Pertew-Pascha war es gelun¬
gen, den alten Chosrew zu stürzen, und er rief den jungen Gesand¬
ten zurück, um ihn zum Minister deS Auswärtigen im neugebildeten
Cabinet zu machen. Aber Pertew's Triumph dauerte nicht lange.
Noch war Reschid nicht aus Paris zurück, als Pertew schon wieder
den Intriguen seines Gegners erlag und nach Adrianopel verwiesen
wurde. Mahmud dachte aber schon daran ihn zurückzurufen, als
die Intriguanten in einer bacchanalischen Nacht dem berauschten
Sultan einen Todesferman für ihren Gegner entlockten. Den an¬
dern Morgen hatte Mahmud vergessen, was in der Nacht vorge¬
gangen, während ein Courier mit dem verhängnißvollen Fernau
nach Avrianopel eilte, und Pertew sein Haupt mit muselmännischer
Ergebung in die seidene Schlinge steckte. Man sagt sogar, daß der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/450>, abgerufen am 05.02.2025.