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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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tilgt hatte, zwischen zwei Feuern, sein Werk der Neuerung. Wäh¬
rend er mit einer Hand ohnmächtig sich gegen die Griechen, dann
gegen die Mächte, dann gegen Nußland und Mohamed-Ali wehrte,
arbeitete er mit der andern Hand eifrig an der Umgestaltung des
Reiches. Er hatte weniger Einsicht in die Natur der europäischen
Institutionen, als eine Passion für die Trachten und Moden, für
die Amüsements und den Wein des Occidents, da er dem Allen
zusammen die Ueberlegenheit zuschrieb, welche ihn die vermaledeiten
Giaurs mit starker Faust hatten spüren lassen. Wenn er ihnen nach¬
äffte, glaubte er eben so mächtig zu werden wie sie. Als er seine
Armeen verloren, trieb er eine Miliz zusammen und prügelte ihnen
geschwind das europäische Ercrcitium ein, wobei er allerdings nur
dem Beispiele benachbarter Staaten buchstäblich folgte. Er achtete
den Turban uNV den langen Kaftan, wie Peter der Große den
Bart, und kleidete seine Osmanlis in Fes, Oberrock und Panta-
lons. Dies Alles trieb er mit der Naivetät eines Wilden, die sich
noch komischer ausnahm, wo eS höhere Dinge betraf. So ließ er
einmal aus Wien für seine neue Artillerieschule und für das chirur¬
gische Lehrinstitut die nothwendigen Instrumente kommen. Da ihm
dergleichen immer selbst vorgelegt werden mußte, so brachte man ihm
die angekauften Ncformationsmaschinen in Einem Kasten. Sultan
Mahmuv theilte, mit orientalischer Gerechtigkeitsliebe, die Waare in
zwei gleiche Theile für die beiden Institute und so kam es, daß die
chirurgischen Zöglinge mit geometrischen Instrumenten, die Artille¬
risten dagegen mit Lancetten, Scalpellen und Geburtshelferzangen
beschenkt wurden.

Man kann sich denken, daß Mahmud kein leichtes Werk hatte,
und daß die nationale Opposition, die sich ihm entgegenstemmte,
oft eben so blind war, wie seine Neformsucht. Während Pertew-
Pascha, ein redlicher, aber starr vrihodorer Türke, im Divan selbst
mit Kühnheit für das imciom i c^imo kämpfte, gefiel sich der alte
Choörew-Pascha, der hinkende Teufel von Stambul, ein türkischer
Nachdruck von Talleyrand, darin, der Laune seines Despoten zu
fröhnen, und ihn mit innerer Schadenfreude zu den gefährlichsten
Uebertreibungen zu reizen. Der alte Schelm spielte seine Comödie
so gut, daß er, um sich bei Mahmud einzuschmeicheln, sog-r seinen


Grenzboten. IV. s,7

tilgt hatte, zwischen zwei Feuern, sein Werk der Neuerung. Wäh¬
rend er mit einer Hand ohnmächtig sich gegen die Griechen, dann
gegen die Mächte, dann gegen Nußland und Mohamed-Ali wehrte,
arbeitete er mit der andern Hand eifrig an der Umgestaltung des
Reiches. Er hatte weniger Einsicht in die Natur der europäischen
Institutionen, als eine Passion für die Trachten und Moden, für
die Amüsements und den Wein des Occidents, da er dem Allen
zusammen die Ueberlegenheit zuschrieb, welche ihn die vermaledeiten
Giaurs mit starker Faust hatten spüren lassen. Wenn er ihnen nach¬
äffte, glaubte er eben so mächtig zu werden wie sie. Als er seine
Armeen verloren, trieb er eine Miliz zusammen und prügelte ihnen
geschwind das europäische Ercrcitium ein, wobei er allerdings nur
dem Beispiele benachbarter Staaten buchstäblich folgte. Er achtete
den Turban uNV den langen Kaftan, wie Peter der Große den
Bart, und kleidete seine Osmanlis in Fes, Oberrock und Panta-
lons. Dies Alles trieb er mit der Naivetät eines Wilden, die sich
noch komischer ausnahm, wo eS höhere Dinge betraf. So ließ er
einmal aus Wien für seine neue Artillerieschule und für das chirur¬
gische Lehrinstitut die nothwendigen Instrumente kommen. Da ihm
dergleichen immer selbst vorgelegt werden mußte, so brachte man ihm
die angekauften Ncformationsmaschinen in Einem Kasten. Sultan
Mahmuv theilte, mit orientalischer Gerechtigkeitsliebe, die Waare in
zwei gleiche Theile für die beiden Institute und so kam es, daß die
chirurgischen Zöglinge mit geometrischen Instrumenten, die Artille¬
risten dagegen mit Lancetten, Scalpellen und Geburtshelferzangen
beschenkt wurden.

Man kann sich denken, daß Mahmud kein leichtes Werk hatte,
und daß die nationale Opposition, die sich ihm entgegenstemmte,
oft eben so blind war, wie seine Neformsucht. Während Pertew-
Pascha, ein redlicher, aber starr vrihodorer Türke, im Divan selbst
mit Kühnheit für das imciom i c^imo kämpfte, gefiel sich der alte
Choörew-Pascha, der hinkende Teufel von Stambul, ein türkischer
Nachdruck von Talleyrand, darin, der Laune seines Despoten zu
fröhnen, und ihn mit innerer Schadenfreude zu den gefährlichsten
Uebertreibungen zu reizen. Der alte Schelm spielte seine Comödie
so gut, daß er, um sich bei Mahmud einzuschmeicheln, sog-r seinen


Grenzboten. IV. s,7
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[0449] tilgt hatte, zwischen zwei Feuern, sein Werk der Neuerung. Wäh¬ rend er mit einer Hand ohnmächtig sich gegen die Griechen, dann gegen die Mächte, dann gegen Nußland und Mohamed-Ali wehrte, arbeitete er mit der andern Hand eifrig an der Umgestaltung des Reiches. Er hatte weniger Einsicht in die Natur der europäischen Institutionen, als eine Passion für die Trachten und Moden, für die Amüsements und den Wein des Occidents, da er dem Allen zusammen die Ueberlegenheit zuschrieb, welche ihn die vermaledeiten Giaurs mit starker Faust hatten spüren lassen. Wenn er ihnen nach¬ äffte, glaubte er eben so mächtig zu werden wie sie. Als er seine Armeen verloren, trieb er eine Miliz zusammen und prügelte ihnen geschwind das europäische Ercrcitium ein, wobei er allerdings nur dem Beispiele benachbarter Staaten buchstäblich folgte. Er achtete den Turban uNV den langen Kaftan, wie Peter der Große den Bart, und kleidete seine Osmanlis in Fes, Oberrock und Panta- lons. Dies Alles trieb er mit der Naivetät eines Wilden, die sich noch komischer ausnahm, wo eS höhere Dinge betraf. So ließ er einmal aus Wien für seine neue Artillerieschule und für das chirur¬ gische Lehrinstitut die nothwendigen Instrumente kommen. Da ihm dergleichen immer selbst vorgelegt werden mußte, so brachte man ihm die angekauften Ncformationsmaschinen in Einem Kasten. Sultan Mahmuv theilte, mit orientalischer Gerechtigkeitsliebe, die Waare in zwei gleiche Theile für die beiden Institute und so kam es, daß die chirurgischen Zöglinge mit geometrischen Instrumenten, die Artille¬ risten dagegen mit Lancetten, Scalpellen und Geburtshelferzangen beschenkt wurden. Man kann sich denken, daß Mahmud kein leichtes Werk hatte, und daß die nationale Opposition, die sich ihm entgegenstemmte, oft eben so blind war, wie seine Neformsucht. Während Pertew- Pascha, ein redlicher, aber starr vrihodorer Türke, im Divan selbst mit Kühnheit für das imciom i c^imo kämpfte, gefiel sich der alte Choörew-Pascha, der hinkende Teufel von Stambul, ein türkischer Nachdruck von Talleyrand, darin, der Laune seines Despoten zu fröhnen, und ihn mit innerer Schadenfreude zu den gefährlichsten Uebertreibungen zu reizen. Der alte Schelm spielte seine Comödie so gut, daß er, um sich bei Mahmud einzuschmeicheln, sog-r seinen Grenzboten. IV. s,7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/449>, abgerufen am 10.02.2025.