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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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und Gemeinheit zu verbinden pflegt. Der Türke ist, als Privat¬
mann , stolz und unwissend, aber redlich und offenherzig, gerecht und
großmüthig; wie er aber eine öffentliche Rolle spielen soll, wird die
Gewalt, die eben so principlos als ephemer ist, zur vergifteten Waffe
in seinen Händen. Anderswo veredelt eine höhere Stellung oft den
Charakter Dessen, der sie allmälig erklommen; hier erniedrigt und
verdirbt sie ihn fast immer. Der Türke verliert in Amt und Würde
nicht seine crasse Unwissenheit und seinen beschränkten Gesichtskreis,
aber dafür entwickelt er bald einen Geist der Doppelzüngigkeit und
Feilheit, der Raubsucht und der hochmüthigen Gewaltthätigkeit, dem
nichts gleichkommt, als seine Kriecherei gegen den Obern, von dem
er abhängig ist. Darum glänzt Reschid-Pascha doppelt unter seinen
barbarischen Collegen hervor; er ist sowohl durch sittliche Tugenden
als durch geistige Begabung ein lebendiges Bild der Reform, die
er seinem Vaterlande zu geben suchte.

Neschid's Vater, Mustapha Effendi, war Oberadministrator
auf den Gütern der Moschee des Bajazet, seine Mutter zählte meh¬
rere Veziere unter ihren Vorfahren. Sie ward frühzeitig Witwe
und bildete das Herz des jungen Reschid*), ihres Aeltesten, der den
Titel Bey führte, zu einem Spiegel orientalischer Frömmigkeit und
Großmuth; sie ahnte, daß ihm ein hoher Beruf bestimmt war, und
wollte ihn desselben würdig machen. Eine ihrer Töchter hatte sie
an Ali Pascha, den Gouverneur von Morea, vermählt, der denn
auch den jungen Neschid als Kiatib oder Privatsecretär zu sich nahm.
Ali-Pascha, der bald zum Großvezier ernannt, dann in Ungnade
entlassen und endlich wieder Oberbefehlshaber der Armee gegen das
insurgirte Griechenland wurde, erfuhr zuletzt, in Folge seiner un¬
glücklichen Feldzüge, einen definitiven Sturz, den er nicht lange
überlebte. In allen diesen Glückswcchseln hatte der junge Secretär
die Gefahren und Mühen seines Herrn getheilt; nach Ali-Paschas
Tode aber trat er in eines der Negicrungsbüreaur ein, wo er sich
bald dem Vezier Jzzet-Pascha und später dem Pertew,Pascha durch
seinen eleganten Styl und seine klare Beredtsamkeit bemerkbar machte.

Damals begann Sultan Mahmud, nachdem er an dem berüch¬
tigten Bluttage (16. Juni 1826) die rebellischen Janitscharen ver-



*) Geboren zu Constantinopel im Jahre'1802.

und Gemeinheit zu verbinden pflegt. Der Türke ist, als Privat¬
mann , stolz und unwissend, aber redlich und offenherzig, gerecht und
großmüthig; wie er aber eine öffentliche Rolle spielen soll, wird die
Gewalt, die eben so principlos als ephemer ist, zur vergifteten Waffe
in seinen Händen. Anderswo veredelt eine höhere Stellung oft den
Charakter Dessen, der sie allmälig erklommen; hier erniedrigt und
verdirbt sie ihn fast immer. Der Türke verliert in Amt und Würde
nicht seine crasse Unwissenheit und seinen beschränkten Gesichtskreis,
aber dafür entwickelt er bald einen Geist der Doppelzüngigkeit und
Feilheit, der Raubsucht und der hochmüthigen Gewaltthätigkeit, dem
nichts gleichkommt, als seine Kriecherei gegen den Obern, von dem
er abhängig ist. Darum glänzt Reschid-Pascha doppelt unter seinen
barbarischen Collegen hervor; er ist sowohl durch sittliche Tugenden
als durch geistige Begabung ein lebendiges Bild der Reform, die
er seinem Vaterlande zu geben suchte.

Neschid's Vater, Mustapha Effendi, war Oberadministrator
auf den Gütern der Moschee des Bajazet, seine Mutter zählte meh¬
rere Veziere unter ihren Vorfahren. Sie ward frühzeitig Witwe
und bildete das Herz des jungen Reschid*), ihres Aeltesten, der den
Titel Bey führte, zu einem Spiegel orientalischer Frömmigkeit und
Großmuth; sie ahnte, daß ihm ein hoher Beruf bestimmt war, und
wollte ihn desselben würdig machen. Eine ihrer Töchter hatte sie
an Ali Pascha, den Gouverneur von Morea, vermählt, der denn
auch den jungen Neschid als Kiatib oder Privatsecretär zu sich nahm.
Ali-Pascha, der bald zum Großvezier ernannt, dann in Ungnade
entlassen und endlich wieder Oberbefehlshaber der Armee gegen das
insurgirte Griechenland wurde, erfuhr zuletzt, in Folge seiner un¬
glücklichen Feldzüge, einen definitiven Sturz, den er nicht lange
überlebte. In allen diesen Glückswcchseln hatte der junge Secretär
die Gefahren und Mühen seines Herrn getheilt; nach Ali-Paschas
Tode aber trat er in eines der Negicrungsbüreaur ein, wo er sich
bald dem Vezier Jzzet-Pascha und später dem Pertew,Pascha durch
seinen eleganten Styl und seine klare Beredtsamkeit bemerkbar machte.

Damals begann Sultan Mahmud, nachdem er an dem berüch¬
tigten Bluttage (16. Juni 1826) die rebellischen Janitscharen ver-



*) Geboren zu Constantinopel im Jahre'1802.
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[0448] und Gemeinheit zu verbinden pflegt. Der Türke ist, als Privat¬ mann , stolz und unwissend, aber redlich und offenherzig, gerecht und großmüthig; wie er aber eine öffentliche Rolle spielen soll, wird die Gewalt, die eben so principlos als ephemer ist, zur vergifteten Waffe in seinen Händen. Anderswo veredelt eine höhere Stellung oft den Charakter Dessen, der sie allmälig erklommen; hier erniedrigt und verdirbt sie ihn fast immer. Der Türke verliert in Amt und Würde nicht seine crasse Unwissenheit und seinen beschränkten Gesichtskreis, aber dafür entwickelt er bald einen Geist der Doppelzüngigkeit und Feilheit, der Raubsucht und der hochmüthigen Gewaltthätigkeit, dem nichts gleichkommt, als seine Kriecherei gegen den Obern, von dem er abhängig ist. Darum glänzt Reschid-Pascha doppelt unter seinen barbarischen Collegen hervor; er ist sowohl durch sittliche Tugenden als durch geistige Begabung ein lebendiges Bild der Reform, die er seinem Vaterlande zu geben suchte. Neschid's Vater, Mustapha Effendi, war Oberadministrator auf den Gütern der Moschee des Bajazet, seine Mutter zählte meh¬ rere Veziere unter ihren Vorfahren. Sie ward frühzeitig Witwe und bildete das Herz des jungen Reschid*), ihres Aeltesten, der den Titel Bey führte, zu einem Spiegel orientalischer Frömmigkeit und Großmuth; sie ahnte, daß ihm ein hoher Beruf bestimmt war, und wollte ihn desselben würdig machen. Eine ihrer Töchter hatte sie an Ali Pascha, den Gouverneur von Morea, vermählt, der denn auch den jungen Neschid als Kiatib oder Privatsecretär zu sich nahm. Ali-Pascha, der bald zum Großvezier ernannt, dann in Ungnade entlassen und endlich wieder Oberbefehlshaber der Armee gegen das insurgirte Griechenland wurde, erfuhr zuletzt, in Folge seiner un¬ glücklichen Feldzüge, einen definitiven Sturz, den er nicht lange überlebte. In allen diesen Glückswcchseln hatte der junge Secretär die Gefahren und Mühen seines Herrn getheilt; nach Ali-Paschas Tode aber trat er in eines der Negicrungsbüreaur ein, wo er sich bald dem Vezier Jzzet-Pascha und später dem Pertew,Pascha durch seinen eleganten Styl und seine klare Beredtsamkeit bemerkbar machte. Damals begann Sultan Mahmud, nachdem er an dem berüch¬ tigten Bluttage (16. Juni 1826) die rebellischen Janitscharen ver- *) Geboren zu Constantinopel im Jahre'1802.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/448>, abgerufen am 05.02.2025.