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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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umrauscht, in die Tiefe zu schauen, aus der sich die schaumweißen
Arme heben, -- geheimnißvolle Seegöttinnen, die den Wanderer
freundlich wiegen -- oder in die Weite spähend, und in feenhafte
Träume verloren, Alles, waS hinter einem ist, zu vergessen. Aber
wenn man Alles vergißt, Ein Gedanke wird den Neuling auf der
See nicht verlassen; es ist die bange Frage: wirst du seekrank wer¬
den, oder nicht? Jeder Rausch aus Erden hat seinen Katzenjammer,
die Lust der Seefahrt aber wird mit dem schrecklichsten Jammer von
der Welt gebüßt. So hab ich mir sagen lassen. Es soll ein ge¬
lindes Sterben und von der gütigen Vorsehung nur erfunden sein
für ängstliche Seelen, als homöopathisches Mittel gegen die Schrecken
des Sturmes, denn wer im Orcan die Krankheit hat, der wünsche
sich auf den Grund des Meeres und höre das Krachen des Fahr¬
zeugs wie ein Zeichen baldiger Erlösung. Solche Erklärungen die¬
nen eben nicht dazu, dem Anfänger Muth oder Lust zur Bekannt¬
schaft mit diesem höchst interessanten und eigemhümlichen Zustande
zu machen. Wie der Recrut vor dem ersten Treffen, so fühlt er
sich halb zum Prahlen, halb zum Zittern aufgelegt. Was mich be¬
trifft, so that ich weder Eins noch das Andere, aber ich glaube,
daß sich mein Gesicht doch ein wenig verlängerte, als ich die Ent¬
deckung machte, daß die stolzen Insulaner selbst sich vor der Macht
Neptuns beugen und ihre Abgabe ihm entrichten mußten, und dies
beim allerschönsten Wetter. Eine alte Engländerin seufzte vom er¬
sten Augenblick an fortwährend: Voll! und Loa ^lui^tit^! Ihr
Sohn, ein langer, blasser und schweigsamer Mann, der wie ein
deutscher Theologe aussah, tröstete sie so lange, bis er selbst unter¬
lag, der Sohn seiner Mutter ließ das Haupt ohnmächtig auf ihre
Brust sinken und sie hatte nicht die Kraft, ihn zu segnen. Endlich
kam der Steward ihnen mit zwei Waschbecken zu Hilfe. "Gucken
Sie sie nur nicht an, es ist ansteckend," sagte er mit boshaftem Lä¬
cheln zu mir, als er das traurige Paar in die Kajüte hinab geleitete.

Nein, sie soll mich doch nicht haben, die tolle Seekrankheit!
dachte ich bei mir und brannte eine frische Cigarre an. Ein neues,,
ein recht erquickendes Bild belebte meinen Muth. Am Worderdeck
mit den gekreuzten Armen auf den Bugspriet hinausgestreckt, lag ein
junger Mensch von fünfzehn bis sechszehn Jahren. Ich hatte ihn
schon früher bemerkt, aber wegen des rothen Fes, das er trug,


umrauscht, in die Tiefe zu schauen, aus der sich die schaumweißen
Arme heben, — geheimnißvolle Seegöttinnen, die den Wanderer
freundlich wiegen — oder in die Weite spähend, und in feenhafte
Träume verloren, Alles, waS hinter einem ist, zu vergessen. Aber
wenn man Alles vergißt, Ein Gedanke wird den Neuling auf der
See nicht verlassen; es ist die bange Frage: wirst du seekrank wer¬
den, oder nicht? Jeder Rausch aus Erden hat seinen Katzenjammer,
die Lust der Seefahrt aber wird mit dem schrecklichsten Jammer von
der Welt gebüßt. So hab ich mir sagen lassen. Es soll ein ge¬
lindes Sterben und von der gütigen Vorsehung nur erfunden sein
für ängstliche Seelen, als homöopathisches Mittel gegen die Schrecken
des Sturmes, denn wer im Orcan die Krankheit hat, der wünsche
sich auf den Grund des Meeres und höre das Krachen des Fahr¬
zeugs wie ein Zeichen baldiger Erlösung. Solche Erklärungen die¬
nen eben nicht dazu, dem Anfänger Muth oder Lust zur Bekannt¬
schaft mit diesem höchst interessanten und eigemhümlichen Zustande
zu machen. Wie der Recrut vor dem ersten Treffen, so fühlt er
sich halb zum Prahlen, halb zum Zittern aufgelegt. Was mich be¬
trifft, so that ich weder Eins noch das Andere, aber ich glaube,
daß sich mein Gesicht doch ein wenig verlängerte, als ich die Ent¬
deckung machte, daß die stolzen Insulaner selbst sich vor der Macht
Neptuns beugen und ihre Abgabe ihm entrichten mußten, und dies
beim allerschönsten Wetter. Eine alte Engländerin seufzte vom er¬
sten Augenblick an fortwährend: Voll! und Loa ^lui^tit^! Ihr
Sohn, ein langer, blasser und schweigsamer Mann, der wie ein
deutscher Theologe aussah, tröstete sie so lange, bis er selbst unter¬
lag, der Sohn seiner Mutter ließ das Haupt ohnmächtig auf ihre
Brust sinken und sie hatte nicht die Kraft, ihn zu segnen. Endlich
kam der Steward ihnen mit zwei Waschbecken zu Hilfe. „Gucken
Sie sie nur nicht an, es ist ansteckend," sagte er mit boshaftem Lä¬
cheln zu mir, als er das traurige Paar in die Kajüte hinab geleitete.

Nein, sie soll mich doch nicht haben, die tolle Seekrankheit!
dachte ich bei mir und brannte eine frische Cigarre an. Ein neues,,
ein recht erquickendes Bild belebte meinen Muth. Am Worderdeck
mit den gekreuzten Armen auf den Bugspriet hinausgestreckt, lag ein
junger Mensch von fünfzehn bis sechszehn Jahren. Ich hatte ihn
schon früher bemerkt, aber wegen des rothen Fes, das er trug,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/392>, abgerufen am 05.02.2025.