Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.einem Andern, um mit ihm dasselbe Verhör von Neuem anzufangen. Jetzt aber brausten die Räder, wir flogen dahin und Ostende einem Andern, um mit ihm dasselbe Verhör von Neuem anzufangen. Jetzt aber brausten die Räder, wir flogen dahin und Ostende <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271652"/> <p xml:id="ID_1052" prev="#ID_1051"> einem Andern, um mit ihm dasselbe Verhör von Neuem anzufangen.<lb/> „Ich erkläre," rief er mit gedämpfter Stimme und in energischem<lb/> Tone, „es ist nirgendswo billiger als in England. Sie zahlen für<lb/> ein Essen fünf Schilling oder zehn Schilling, aber eS ist englisches<lb/> Essen. Sie geben für ein Paar Schuhe zwanzig Schilling oder<lb/> fünfundzwanzig, aber Sie haben dann englisches Leder, und wenn<lb/> Sie für ein Nachtlager drei Schilling geben, so haben Sie wenig¬<lb/> stens in einem englischen Bett geschlafen." — „Und die kleinen<lb/> Thierchen," sagte ein Anderer, die ich einmal selbst im Victoriahotel<lb/> zum Nachtbesuch hatte, sind wenigstens englische ich kann Sie<lb/> versichern, es waren Kerlchen darunter, wie die Aldermänner." Die<lb/> Umstehenden lachten und der Hechtgraue trat mit einem leisen:<lb/> Nonsense! ab. So paradox äußert sich bei manchen Leuten der<lb/> Patriotismus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1053" next="#ID_1054"> Jetzt aber brausten die Räder, wir flogen dahin und Ostende<lb/> entschwand allmählig unsern Blicken. Von acht Uhr bis gegen Mit¬<lb/> tag hatten wir blauen Himmel und grüne See. Ich konnte mich<lb/> nicht satt sehen an dem herrlichen Schauspiel, aber das Meer war<lb/> heute ein so ganz anderes, daß mir die Eindrücke vom vorigen<lb/> Abend wie ein Traum vorkamen; das Meer ist wie jene seelenvollen<lb/> beweglichen Physiognomien, die jeden Augenblick ihren Ausdruck ver¬<lb/> wandeln. Heikle war Nichts von seiner gewaltigen Stimme zu hö¬<lb/> ren, keine Wogen stiegen zum Himmel; fast unscheinbar, wie ein<lb/> glatter Binnensee, umspielte es den Kiel der Prinzeß Mary, die lu¬<lb/> stig auf- uno niedertanzte Später, als wir, an Dünkirchen vor¬<lb/> bei, uns mehr von der Küste ab und in die offene See hinaus¬<lb/> wandten, glich das Meer einem Niesenstrom mit stiller, aber rei¬<lb/> ßender Fluch; die fernen Linien der Küste auf der einen und des<lb/> Seehorizonts auf der andern Seite und die Sommerwölkchen gegen<lb/> Abend, Alles schien zu fliegen und zu zittern, wie bebende Saiten<lb/> oder wie die Luftwellen vor einem Hochofen. Nur die hohe Sonne<lb/> stand ruhig über dieser fliehenden Welt und warf einen blendenden<lb/> Lichtfleck auf die schattenlose, smaragdgrüne Fläche, die sich vor mir<lb/> ins Unermeßliche dehnte, von aufstäubenden Wogenspitzen, wie von<lb/> zahllosen Diamanten, besäet; dazwischen blitzten auch dann und wann<lb/> kleine weiße Segel, wie schnelle Mövenfittige. In solchen Augen¬<lb/> blicken ist es ein Hochgenuß, über Bord gelehnt, vom frischen Wind</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0391]
einem Andern, um mit ihm dasselbe Verhör von Neuem anzufangen.
„Ich erkläre," rief er mit gedämpfter Stimme und in energischem
Tone, „es ist nirgendswo billiger als in England. Sie zahlen für
ein Essen fünf Schilling oder zehn Schilling, aber eS ist englisches
Essen. Sie geben für ein Paar Schuhe zwanzig Schilling oder
fünfundzwanzig, aber Sie haben dann englisches Leder, und wenn
Sie für ein Nachtlager drei Schilling geben, so haben Sie wenig¬
stens in einem englischen Bett geschlafen." — „Und die kleinen
Thierchen," sagte ein Anderer, die ich einmal selbst im Victoriahotel
zum Nachtbesuch hatte, sind wenigstens englische ich kann Sie
versichern, es waren Kerlchen darunter, wie die Aldermänner." Die
Umstehenden lachten und der Hechtgraue trat mit einem leisen:
Nonsense! ab. So paradox äußert sich bei manchen Leuten der
Patriotismus.
Jetzt aber brausten die Räder, wir flogen dahin und Ostende
entschwand allmählig unsern Blicken. Von acht Uhr bis gegen Mit¬
tag hatten wir blauen Himmel und grüne See. Ich konnte mich
nicht satt sehen an dem herrlichen Schauspiel, aber das Meer war
heute ein so ganz anderes, daß mir die Eindrücke vom vorigen
Abend wie ein Traum vorkamen; das Meer ist wie jene seelenvollen
beweglichen Physiognomien, die jeden Augenblick ihren Ausdruck ver¬
wandeln. Heikle war Nichts von seiner gewaltigen Stimme zu hö¬
ren, keine Wogen stiegen zum Himmel; fast unscheinbar, wie ein
glatter Binnensee, umspielte es den Kiel der Prinzeß Mary, die lu¬
stig auf- uno niedertanzte Später, als wir, an Dünkirchen vor¬
bei, uns mehr von der Küste ab und in die offene See hinaus¬
wandten, glich das Meer einem Niesenstrom mit stiller, aber rei¬
ßender Fluch; die fernen Linien der Küste auf der einen und des
Seehorizonts auf der andern Seite und die Sommerwölkchen gegen
Abend, Alles schien zu fliegen und zu zittern, wie bebende Saiten
oder wie die Luftwellen vor einem Hochofen. Nur die hohe Sonne
stand ruhig über dieser fliehenden Welt und warf einen blendenden
Lichtfleck auf die schattenlose, smaragdgrüne Fläche, die sich vor mir
ins Unermeßliche dehnte, von aufstäubenden Wogenspitzen, wie von
zahllosen Diamanten, besäet; dazwischen blitzten auch dann und wann
kleine weiße Segel, wie schnelle Mövenfittige. In solchen Augen¬
blicken ist es ein Hochgenuß, über Bord gelehnt, vom frischen Wind
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |