Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wagt hatten, ihr Unterfangen ernstlich leid zu machen, und Andere,
die etwa versucht sein möchten, ihnen nachzufolgen, von solchem Un¬
terfangen abzuschrecken.

Jordan entwickelte seine politischen Grundsätze, das Ergebniß,
wie er selbst in seiner Vertheidigung bemerkt, eigener langjähriger
Forschung auf dem Gebiete der Philosophie und Geschichte, zuerst in
den "Versuchen über allgemeines Staatsrecht" mit besonderer Bezie¬
hung auf die Zeitbedürfnisse Deutschlands. DaS Wesentliche dersel¬
ben in Bezug auf die durch die damaligen Zeitereignisse besonders
angeregte und wichtig gewordene Verfassungsfrage hat er in gedräng¬
ter Uebersicht in seiner Selbstvertheidigung (I. S. 10. f.) zusammen¬
gestellt und uns dadurch Gelegenheit gegeben, die Summe seiner
hierher gehörigen Ansichten in seinen eigenen Worten kurz mitzuthei¬
len. Er sagt:

"Der Staat ist eine für den physischen Bestand und die sittliche
intellektuelle Entwickelung und Fortbildung deS Menschengeschlechts
nothwendige, sohin von der Natur und Vernunft gleichmäßig gebo¬
tene Anstalt, deren vernunftnothwendige innere Beschaffenheit sich
aus dem Gegensatze des Staates, dem Naturstande, ergtebt, deren
äußere (rechtliche) Form aber Gegenstand der Vertragung ist, und
deren nächster Zweck für die Staatsgewalt, eilf zwingende Gewalt,
endlich in der Begründung der Herrschaft deS Rechtsgesetzes besteht,
damit unter dem Schutze derselben die wahren Menschheitszwecke
(Religion, Sittlichkeit, Wissenschaft und Kunst) verfolgt werden kön¬
nen (Endzweck des Staates). Die Verfassung eines wirklichen Staa¬
tes läßt sich ihrer Güte und Zweckmäßigkeit nach nicht absolut, son¬
dern nur relativ, d. h. in Beziehung auf ein bestimmtes Volk be¬
stimmen. Die relativ beste Verfassung ist aber diejenige, welche für
dieses bestimmte Volk am meisten geeignet ist, die Herrschaft des
Rechtsgesetzes für dasselbe zu begründen, für die Dauer zu verbür-
gen und zu vervollkommnen. Dies läßt sich jedoch nur von derje¬
nigen Verfassung erwarten, welche sich aus dem Geiste und Leben
des Volkes selbst entwickelt hat und so gleichsam das Getriebe der
Geschicke und der sittlichen und intellektuellen Bildung deS Volkes
selbst ist. Denn der Staat ist nur die Form des Volkslebens; die
Form muß aber vermöge des Zweckes ihres Daseins dem Wesen
völlig entsprechen. Dieses läßt sich nur von jener Form erwarten,


Grcuzbott", 1"is. VI. 45

wagt hatten, ihr Unterfangen ernstlich leid zu machen, und Andere,
die etwa versucht sein möchten, ihnen nachzufolgen, von solchem Un¬
terfangen abzuschrecken.

Jordan entwickelte seine politischen Grundsätze, das Ergebniß,
wie er selbst in seiner Vertheidigung bemerkt, eigener langjähriger
Forschung auf dem Gebiete der Philosophie und Geschichte, zuerst in
den „Versuchen über allgemeines Staatsrecht" mit besonderer Bezie¬
hung auf die Zeitbedürfnisse Deutschlands. DaS Wesentliche dersel¬
ben in Bezug auf die durch die damaligen Zeitereignisse besonders
angeregte und wichtig gewordene Verfassungsfrage hat er in gedräng¬
ter Uebersicht in seiner Selbstvertheidigung (I. S. 10. f.) zusammen¬
gestellt und uns dadurch Gelegenheit gegeben, die Summe seiner
hierher gehörigen Ansichten in seinen eigenen Worten kurz mitzuthei¬
len. Er sagt:

„Der Staat ist eine für den physischen Bestand und die sittliche
intellektuelle Entwickelung und Fortbildung deS Menschengeschlechts
nothwendige, sohin von der Natur und Vernunft gleichmäßig gebo¬
tene Anstalt, deren vernunftnothwendige innere Beschaffenheit sich
aus dem Gegensatze des Staates, dem Naturstande, ergtebt, deren
äußere (rechtliche) Form aber Gegenstand der Vertragung ist, und
deren nächster Zweck für die Staatsgewalt, eilf zwingende Gewalt,
endlich in der Begründung der Herrschaft deS Rechtsgesetzes besteht,
damit unter dem Schutze derselben die wahren Menschheitszwecke
(Religion, Sittlichkeit, Wissenschaft und Kunst) verfolgt werden kön¬
nen (Endzweck des Staates). Die Verfassung eines wirklichen Staa¬
tes läßt sich ihrer Güte und Zweckmäßigkeit nach nicht absolut, son¬
dern nur relativ, d. h. in Beziehung auf ein bestimmtes Volk be¬
stimmen. Die relativ beste Verfassung ist aber diejenige, welche für
dieses bestimmte Volk am meisten geeignet ist, die Herrschaft des
Rechtsgesetzes für dasselbe zu begründen, für die Dauer zu verbür-
gen und zu vervollkommnen. Dies läßt sich jedoch nur von derje¬
nigen Verfassung erwarten, welche sich aus dem Geiste und Leben
des Volkes selbst entwickelt hat und so gleichsam das Getriebe der
Geschicke und der sittlichen und intellektuellen Bildung deS Volkes
selbst ist. Denn der Staat ist nur die Form des Volkslebens; die
Form muß aber vermöge des Zweckes ihres Daseins dem Wesen
völlig entsprechen. Dieses läßt sich nur von jener Form erwarten,


Grcuzbott», 1«is. VI. 45
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271614"/>
            <p xml:id="ID_964" prev="#ID_963"> wagt hatten, ihr Unterfangen ernstlich leid zu machen, und Andere,<lb/>
die etwa versucht sein möchten, ihnen nachzufolgen, von solchem Un¬<lb/>
terfangen abzuschrecken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_965"> Jordan entwickelte seine politischen Grundsätze, das Ergebniß,<lb/>
wie er selbst in seiner Vertheidigung bemerkt, eigener langjähriger<lb/>
Forschung auf dem Gebiete der Philosophie und Geschichte, zuerst in<lb/>
den &#x201E;Versuchen über allgemeines Staatsrecht" mit besonderer Bezie¬<lb/>
hung auf die Zeitbedürfnisse Deutschlands. DaS Wesentliche dersel¬<lb/>
ben in Bezug auf die durch die damaligen Zeitereignisse besonders<lb/>
angeregte und wichtig gewordene Verfassungsfrage hat er in gedräng¬<lb/>
ter Uebersicht in seiner Selbstvertheidigung (I. S. 10. f.) zusammen¬<lb/>
gestellt und uns dadurch Gelegenheit gegeben, die Summe seiner<lb/>
hierher gehörigen Ansichten in seinen eigenen Worten kurz mitzuthei¬<lb/>
len.  Er sagt:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_966" next="#ID_967"> &#x201E;Der Staat ist eine für den physischen Bestand und die sittliche<lb/>
intellektuelle Entwickelung und Fortbildung deS Menschengeschlechts<lb/>
nothwendige, sohin von der Natur und Vernunft gleichmäßig gebo¬<lb/>
tene Anstalt, deren vernunftnothwendige innere Beschaffenheit sich<lb/>
aus dem Gegensatze des Staates, dem Naturstande, ergtebt, deren<lb/>
äußere (rechtliche) Form aber Gegenstand der Vertragung ist, und<lb/>
deren nächster Zweck für die Staatsgewalt, eilf zwingende Gewalt,<lb/>
endlich in der Begründung der Herrschaft deS Rechtsgesetzes besteht,<lb/>
damit unter dem Schutze derselben die wahren Menschheitszwecke<lb/>
(Religion, Sittlichkeit, Wissenschaft und Kunst) verfolgt werden kön¬<lb/>
nen (Endzweck des Staates). Die Verfassung eines wirklichen Staa¬<lb/>
tes läßt sich ihrer Güte und Zweckmäßigkeit nach nicht absolut, son¬<lb/>
dern nur relativ, d. h. in Beziehung auf ein bestimmtes Volk be¬<lb/>
stimmen. Die relativ beste Verfassung ist aber diejenige, welche für<lb/>
dieses bestimmte Volk am meisten geeignet ist, die Herrschaft des<lb/>
Rechtsgesetzes für dasselbe zu begründen, für die Dauer zu verbür-<lb/>
gen und zu vervollkommnen. Dies läßt sich jedoch nur von derje¬<lb/>
nigen Verfassung erwarten, welche sich aus dem Geiste und Leben<lb/>
des Volkes selbst entwickelt hat und so gleichsam das Getriebe der<lb/>
Geschicke und der sittlichen und intellektuellen Bildung deS Volkes<lb/>
selbst ist. Denn der Staat ist nur die Form des Volkslebens; die<lb/>
Form muß aber vermöge des Zweckes ihres Daseins dem Wesen<lb/>
völlig entsprechen. Dieses läßt sich nur von jener Form erwarten,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grcuzbott», 1«is. VI. 45</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] wagt hatten, ihr Unterfangen ernstlich leid zu machen, und Andere, die etwa versucht sein möchten, ihnen nachzufolgen, von solchem Un¬ terfangen abzuschrecken. Jordan entwickelte seine politischen Grundsätze, das Ergebniß, wie er selbst in seiner Vertheidigung bemerkt, eigener langjähriger Forschung auf dem Gebiete der Philosophie und Geschichte, zuerst in den „Versuchen über allgemeines Staatsrecht" mit besonderer Bezie¬ hung auf die Zeitbedürfnisse Deutschlands. DaS Wesentliche dersel¬ ben in Bezug auf die durch die damaligen Zeitereignisse besonders angeregte und wichtig gewordene Verfassungsfrage hat er in gedräng¬ ter Uebersicht in seiner Selbstvertheidigung (I. S. 10. f.) zusammen¬ gestellt und uns dadurch Gelegenheit gegeben, die Summe seiner hierher gehörigen Ansichten in seinen eigenen Worten kurz mitzuthei¬ len. Er sagt: „Der Staat ist eine für den physischen Bestand und die sittliche intellektuelle Entwickelung und Fortbildung deS Menschengeschlechts nothwendige, sohin von der Natur und Vernunft gleichmäßig gebo¬ tene Anstalt, deren vernunftnothwendige innere Beschaffenheit sich aus dem Gegensatze des Staates, dem Naturstande, ergtebt, deren äußere (rechtliche) Form aber Gegenstand der Vertragung ist, und deren nächster Zweck für die Staatsgewalt, eilf zwingende Gewalt, endlich in der Begründung der Herrschaft deS Rechtsgesetzes besteht, damit unter dem Schutze derselben die wahren Menschheitszwecke (Religion, Sittlichkeit, Wissenschaft und Kunst) verfolgt werden kön¬ nen (Endzweck des Staates). Die Verfassung eines wirklichen Staa¬ tes läßt sich ihrer Güte und Zweckmäßigkeit nach nicht absolut, son¬ dern nur relativ, d. h. in Beziehung auf ein bestimmtes Volk be¬ stimmen. Die relativ beste Verfassung ist aber diejenige, welche für dieses bestimmte Volk am meisten geeignet ist, die Herrschaft des Rechtsgesetzes für dasselbe zu begründen, für die Dauer zu verbür- gen und zu vervollkommnen. Dies läßt sich jedoch nur von derje¬ nigen Verfassung erwarten, welche sich aus dem Geiste und Leben des Volkes selbst entwickelt hat und so gleichsam das Getriebe der Geschicke und der sittlichen und intellektuellen Bildung deS Volkes selbst ist. Denn der Staat ist nur die Form des Volkslebens; die Form muß aber vermöge des Zweckes ihres Daseins dem Wesen völlig entsprechen. Dieses läßt sich nur von jener Form erwarten, Grcuzbott», 1«is. VI. 45

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/353>, abgerufen am 05.02.2025.