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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Weil er das Volk kannte, liebte er es; weil das Volk sich von ihm
gekannt und verstanden sah, schätzte und liebte es ihn: nur durch
diese glückliche Uebereinstimmung der Gefühle und Gesinnungen wur¬
den die glänzenden und ersprießlichen Erfolge seiner öffentlichen
Wirksamkeit möglich.

Wenn irgend Jemandem Gelegenheit gegeben ist, durch Ver¬
breitung seiner Grundsätze auf fremde Gemüther einen wirksamen
und nachhaltigen Einfluß zu üben, so ist es der academische Lehrer.
Bei einem Manne von Jordans Wesen war es natürlich, daß er
seine Einwirkung auf die studirende Jugend nicht auf die Ueberlie.-
ferung trockener Conipendiengelehrsamkeit beschränkte; vielmehr war
er bemüht, die jungen Geister im Sinne derjenigen Ansicht, welche
er sich von einer nothwendigen Entwickelung des politischen Lebens
allmählig gewonnen hatte, für das Leben auszubilden. Das hatte
in jenen Jahren seiner academischen Wirksamkeit noch kein Bedenken.
So lange das Gebiet der Wissenschaft von dem des wirklichen Le¬
bens strenge abgesondert war und die Entwicklung von Theorien als
ein zur Ausbildung künftiger Staatsdiener recht dienliches Spiel des
Verstandes angesehen werden konnte, glaubte man von der freien
Bewegung auf jenem einsamen Gebiete nichts zu fürchten zu haben
und legte ihr nicht nur kein Hinderniß in den Weg, sondern man
suchte durch die Achtung, welche man den Gelehrten zollte, mochten
ihre für müssige Träume geltenden Systeme immerhin von den in
der Wirklichkeit herrschenden Grundsätzen abweiche", sich den Ruhm der
Liberalität in Hinsicht auf die Beförderung der freien Wissenschaft,
die man als unschädlich für das Leben ansah, zu erwerben. Erst
als der Lehrer zum Staatsmanne, der Mann des Gedankens zum
Manne der That wurde, als die in der Stille durchgearbeiteten
Gedanken in die Oeffentlichkeit heraustraten, und in die Berathun¬
gen der ständischen Ausschüsse und in die Reden der Tribüne ein¬
dringend, Einfluß auf die Staatseinrichtungen gewannen und dem
bis dahin unbedingt freien Schalten der Regierungsgewalt Schran¬
ken zu sehen anfingen, da gewahrte man, welche Schlange man am
eigenen Busen gewärmt hatte, da erkannte man die Nothwendigkeit,
zur Rettung der eigenen Machtvollkommenheit, die zudringliche Wis¬
senschaft mit Nachdruck in ihre alten Grenzen zurückzuweisen, Män¬
nern, welche den kühnen Sprung auf den Markt des Lebens ge-


Weil er das Volk kannte, liebte er es; weil das Volk sich von ihm
gekannt und verstanden sah, schätzte und liebte es ihn: nur durch
diese glückliche Uebereinstimmung der Gefühle und Gesinnungen wur¬
den die glänzenden und ersprießlichen Erfolge seiner öffentlichen
Wirksamkeit möglich.

Wenn irgend Jemandem Gelegenheit gegeben ist, durch Ver¬
breitung seiner Grundsätze auf fremde Gemüther einen wirksamen
und nachhaltigen Einfluß zu üben, so ist es der academische Lehrer.
Bei einem Manne von Jordans Wesen war es natürlich, daß er
seine Einwirkung auf die studirende Jugend nicht auf die Ueberlie.-
ferung trockener Conipendiengelehrsamkeit beschränkte; vielmehr war
er bemüht, die jungen Geister im Sinne derjenigen Ansicht, welche
er sich von einer nothwendigen Entwickelung des politischen Lebens
allmählig gewonnen hatte, für das Leben auszubilden. Das hatte
in jenen Jahren seiner academischen Wirksamkeit noch kein Bedenken.
So lange das Gebiet der Wissenschaft von dem des wirklichen Le¬
bens strenge abgesondert war und die Entwicklung von Theorien als
ein zur Ausbildung künftiger Staatsdiener recht dienliches Spiel des
Verstandes angesehen werden konnte, glaubte man von der freien
Bewegung auf jenem einsamen Gebiete nichts zu fürchten zu haben
und legte ihr nicht nur kein Hinderniß in den Weg, sondern man
suchte durch die Achtung, welche man den Gelehrten zollte, mochten
ihre für müssige Träume geltenden Systeme immerhin von den in
der Wirklichkeit herrschenden Grundsätzen abweiche», sich den Ruhm der
Liberalität in Hinsicht auf die Beförderung der freien Wissenschaft,
die man als unschädlich für das Leben ansah, zu erwerben. Erst
als der Lehrer zum Staatsmanne, der Mann des Gedankens zum
Manne der That wurde, als die in der Stille durchgearbeiteten
Gedanken in die Oeffentlichkeit heraustraten, und in die Berathun¬
gen der ständischen Ausschüsse und in die Reden der Tribüne ein¬
dringend, Einfluß auf die Staatseinrichtungen gewannen und dem
bis dahin unbedingt freien Schalten der Regierungsgewalt Schran¬
ken zu sehen anfingen, da gewahrte man, welche Schlange man am
eigenen Busen gewärmt hatte, da erkannte man die Nothwendigkeit,
zur Rettung der eigenen Machtvollkommenheit, die zudringliche Wis¬
senschaft mit Nachdruck in ihre alten Grenzen zurückzuweisen, Män¬
nern, welche den kühnen Sprung auf den Markt des Lebens ge-


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[0352] Weil er das Volk kannte, liebte er es; weil das Volk sich von ihm gekannt und verstanden sah, schätzte und liebte es ihn: nur durch diese glückliche Uebereinstimmung der Gefühle und Gesinnungen wur¬ den die glänzenden und ersprießlichen Erfolge seiner öffentlichen Wirksamkeit möglich. Wenn irgend Jemandem Gelegenheit gegeben ist, durch Ver¬ breitung seiner Grundsätze auf fremde Gemüther einen wirksamen und nachhaltigen Einfluß zu üben, so ist es der academische Lehrer. Bei einem Manne von Jordans Wesen war es natürlich, daß er seine Einwirkung auf die studirende Jugend nicht auf die Ueberlie.- ferung trockener Conipendiengelehrsamkeit beschränkte; vielmehr war er bemüht, die jungen Geister im Sinne derjenigen Ansicht, welche er sich von einer nothwendigen Entwickelung des politischen Lebens allmählig gewonnen hatte, für das Leben auszubilden. Das hatte in jenen Jahren seiner academischen Wirksamkeit noch kein Bedenken. So lange das Gebiet der Wissenschaft von dem des wirklichen Le¬ bens strenge abgesondert war und die Entwicklung von Theorien als ein zur Ausbildung künftiger Staatsdiener recht dienliches Spiel des Verstandes angesehen werden konnte, glaubte man von der freien Bewegung auf jenem einsamen Gebiete nichts zu fürchten zu haben und legte ihr nicht nur kein Hinderniß in den Weg, sondern man suchte durch die Achtung, welche man den Gelehrten zollte, mochten ihre für müssige Träume geltenden Systeme immerhin von den in der Wirklichkeit herrschenden Grundsätzen abweiche», sich den Ruhm der Liberalität in Hinsicht auf die Beförderung der freien Wissenschaft, die man als unschädlich für das Leben ansah, zu erwerben. Erst als der Lehrer zum Staatsmanne, der Mann des Gedankens zum Manne der That wurde, als die in der Stille durchgearbeiteten Gedanken in die Oeffentlichkeit heraustraten, und in die Berathun¬ gen der ständischen Ausschüsse und in die Reden der Tribüne ein¬ dringend, Einfluß auf die Staatseinrichtungen gewannen und dem bis dahin unbedingt freien Schalten der Regierungsgewalt Schran¬ ken zu sehen anfingen, da gewahrte man, welche Schlange man am eigenen Busen gewärmt hatte, da erkannte man die Nothwendigkeit, zur Rettung der eigenen Machtvollkommenheit, die zudringliche Wis¬ senschaft mit Nachdruck in ihre alten Grenzen zurückzuweisen, Män¬ nern, welche den kühnen Sprung auf den Markt des Lebens ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/352>, abgerufen am 05.02.2025.