Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.welche sich aus dem Wesen selbst, daS sie umhüllt, entwickelt und welche sich aus dem Wesen selbst, daS sie umhüllt, entwickelt und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271615"/> <p xml:id="ID_967" prev="#ID_966" next="#ID_968"> welche sich aus dem Wesen selbst, daS sie umhüllt, entwickelt und<lb/> gestaltet hat. Die Staatsverfassungen bedürfen deshalb in solchen<lb/> Zeitmomenten, in welchen das Volksleben eine wesentliche Verände¬<lb/> rung erlitten hat, und so gleichsam in eine neue Altersperiode über¬<lb/> tritt, solcher Verbesserungen, welche den neuen materiellen und gei¬<lb/> stigen Bedürfnissen entsprechen. Erfolgen die zum Bedürfnisse ge¬<lb/> wordenen Verbesserungen nicht, so wird entweder, wenn nämlich die<lb/> alte Staatsverfassung mit mehr Kraft und Ausdauer gehandhabt<lb/> wird, als dem neuen Volksleben eigen ist, das Volk verkrüppeln<lb/> und allmählig absiechen, wie ein organischer Körper, dem es an<lb/> Nahrung und Raum gebricht, oder es sind gewaltsame Umwälzun¬<lb/> gen zu befürchten, wenn, wie es in der Regel der Fall sein wird,<lb/> Kraft und Ausdauer dem Volksleben in höherem Maße beiwohnt,<lb/> als den Beschützern der alten Staatsform zu Gebote steht. Das<lb/> Eine ist so schlimm wie das Andere, aber eines von beidem stets<lb/> die nothwendige Folge der unterlassener zeitigen und zeitgemäßen<lb/> Verbesserungen. Man steht freilich nur zu häufig in dem Wahne,<lb/> als seien die Staatsumwälzungen (Revolutionen) willkürliche Er¬<lb/> zeugnisse einiger Uebelgesinnten, die sich zum Umsturze des Staates<lb/> verschworen hätten, da doch eine Staatsumwälzung ebensowenig<lb/> künstlich hervorgebracht als künstlich verhindert werden kann, wenn<lb/> sie einmal zum Ausbruche gekommen ist. Als die eigentlichen Ur¬<lb/> heber von Revolutionen, diesem größten der Uebel, womit Völker<lb/> heimgesucht werden können, sind Diejenigen zu betrachten, welche,<lb/> thöricht wähnend, man könne die wahren Anforderungen der Zeit<lb/> mit Gewalt zum Schweigen bringen, sich den unabweislichen Re¬<lb/> formen hartnäckig entgegenstellen und, obgleich selbst nur Wellen des<lb/> großen Zeitstromes, dessen Lauf zu hemmen wagen; denn das ein¬<lb/> zige Mittel, den Revolutionen sicher und dauerhaft vorzubeugen,<lb/> sind zeitige und zeitgemäße Reformen. Die wahren Freunde der<lb/> guten Ordnung müssen und werden daher immer, wenn ihnen an¬<lb/> ders die nöthige Einsicht nicht abgeht und sie den Gang der Mensch¬<lb/> heit, ihrer Cultur und Geschichte richtig erfaßt haben, zu Reformen<lb/> rathen, weil sie überzeugt sind, daß nur auf diese Weise gewaltsame<lb/> Zertrümmerungen der Staatsformen verhindert werden können. —<lb/> Für die deutschen Völker ist nach ihrem jetzigen Culturstande, nach<lb/> ihren geschichtlichen Verhältnissen und den gemachten Erfahrungen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0354]
welche sich aus dem Wesen selbst, daS sie umhüllt, entwickelt und
gestaltet hat. Die Staatsverfassungen bedürfen deshalb in solchen
Zeitmomenten, in welchen das Volksleben eine wesentliche Verände¬
rung erlitten hat, und so gleichsam in eine neue Altersperiode über¬
tritt, solcher Verbesserungen, welche den neuen materiellen und gei¬
stigen Bedürfnissen entsprechen. Erfolgen die zum Bedürfnisse ge¬
wordenen Verbesserungen nicht, so wird entweder, wenn nämlich die
alte Staatsverfassung mit mehr Kraft und Ausdauer gehandhabt
wird, als dem neuen Volksleben eigen ist, das Volk verkrüppeln
und allmählig absiechen, wie ein organischer Körper, dem es an
Nahrung und Raum gebricht, oder es sind gewaltsame Umwälzun¬
gen zu befürchten, wenn, wie es in der Regel der Fall sein wird,
Kraft und Ausdauer dem Volksleben in höherem Maße beiwohnt,
als den Beschützern der alten Staatsform zu Gebote steht. Das
Eine ist so schlimm wie das Andere, aber eines von beidem stets
die nothwendige Folge der unterlassener zeitigen und zeitgemäßen
Verbesserungen. Man steht freilich nur zu häufig in dem Wahne,
als seien die Staatsumwälzungen (Revolutionen) willkürliche Er¬
zeugnisse einiger Uebelgesinnten, die sich zum Umsturze des Staates
verschworen hätten, da doch eine Staatsumwälzung ebensowenig
künstlich hervorgebracht als künstlich verhindert werden kann, wenn
sie einmal zum Ausbruche gekommen ist. Als die eigentlichen Ur¬
heber von Revolutionen, diesem größten der Uebel, womit Völker
heimgesucht werden können, sind Diejenigen zu betrachten, welche,
thöricht wähnend, man könne die wahren Anforderungen der Zeit
mit Gewalt zum Schweigen bringen, sich den unabweislichen Re¬
formen hartnäckig entgegenstellen und, obgleich selbst nur Wellen des
großen Zeitstromes, dessen Lauf zu hemmen wagen; denn das ein¬
zige Mittel, den Revolutionen sicher und dauerhaft vorzubeugen,
sind zeitige und zeitgemäße Reformen. Die wahren Freunde der
guten Ordnung müssen und werden daher immer, wenn ihnen an¬
ders die nöthige Einsicht nicht abgeht und sie den Gang der Mensch¬
heit, ihrer Cultur und Geschichte richtig erfaßt haben, zu Reformen
rathen, weil sie überzeugt sind, daß nur auf diese Weise gewaltsame
Zertrümmerungen der Staatsformen verhindert werden können. —
Für die deutschen Völker ist nach ihrem jetzigen Culturstande, nach
ihren geschichtlichen Verhältnissen und den gemachten Erfahrungen
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