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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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teil und Frömmigkeit seiner Aelter" durch den Druck der häuslichen
Verhältnisse an sich wenig begünstigt.

Den Vater beschlich bei seiner drückenden Lage oft Mi߬
mut!); Aufhetzereien böser Menschen vermehrten und reizten seine
aufgeregte, trübe Stimmung und durch diese ließ er sich zur Härte
gegen die Seinigen verleiten. Die Plackerei und saure Arbeit der
Werktage suchte er zuweilen an Sonn- lind Feiertagen im Genusse
geistiger Getränke zu vergessen oder zu vergüten; mehr aufgeregt und
erhitzt, als betrunken, kam er dann häufig des Abends nach Hause,
und bei diesem Zustande waren Weib und Kinder nicht sicher da¬
vor, sich aus der sonntäglichen Ruhe und Erholung durch Mißhand¬
lungen herausgerissen zu sehen, sondern sahen sich nicht selten ge¬
zwungen, sich denselben durch die Flucht zu entziehen. Erst in spä¬
terer Zeit, als der älteste Sohn, Aloys, das Hauswesen übernahm
und durch dessen Rührigkeit die nächste drückende Sorge für den
Unterhalt der Familie beseitigt ward, kehrte auch der häusliche Friede
wieder in die Schusterwohnung zu Omes ein und ein freundliches
Vernehmen in größter Einigkeit umschlang Aeltern und Kinder.

Diese häuslichen Mißverhältnisse konnten einen wesentlichen Ein¬
fluß auf das Gemüthsleben und die sittliche Entwickelung Jordans
nicht verfehle". Aber sie wirkten bei seiner Seelenanlage nur so,
daß sie ihn in sich hineindrängten, die ohnehin durch seine Körper¬
kräfte begründete Vorherrschaft deS Gefühlsvermögens steigerten und
einen Zug von Schwermuth, bei lebhafter Thätigkeit der Phantasie
seinem Charakter einprägten. Er fand keine große Freude an den
heitern Spielen seiner Jugendgenossen, sondern zog sich lieber auf
die einsame Beschäftigung mit sich selbst zurück. Die Gedanken des
Knaben richteten sich bereits darauf, sich die in seiner nächsten Um¬
gebung in erwähnter Weise vernachlässigten Pflichten eines Fami¬
lienvaters deutlich zu machen; die Lehren der Evangelien und die
Lebensgeschichten der Heiligen, durch wiederholtes Lesen dem Ge¬
dächtnisse eingeprägt, hatten ihn dazu hinlänglich vorbereitet.

Dem Tyroler ist die Liebe zur Musik angeboren; bei Jordan
aber fand sie besondere Nahrung durch seinen Hang zur Schwer¬
mut!) und Trauer. Er lernte auf der Quer- oder Schwögelpfeife,
wie man sie in Tyrol nennt, mit Hilfe eines jungen in diesem In¬
strumente unterrichteten Freundes einige Tänze spielen, übte sich


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teil und Frömmigkeit seiner Aelter» durch den Druck der häuslichen
Verhältnisse an sich wenig begünstigt.

Den Vater beschlich bei seiner drückenden Lage oft Mi߬
mut!); Aufhetzereien böser Menschen vermehrten und reizten seine
aufgeregte, trübe Stimmung und durch diese ließ er sich zur Härte
gegen die Seinigen verleiten. Die Plackerei und saure Arbeit der
Werktage suchte er zuweilen an Sonn- lind Feiertagen im Genusse
geistiger Getränke zu vergessen oder zu vergüten; mehr aufgeregt und
erhitzt, als betrunken, kam er dann häufig des Abends nach Hause,
und bei diesem Zustande waren Weib und Kinder nicht sicher da¬
vor, sich aus der sonntäglichen Ruhe und Erholung durch Mißhand¬
lungen herausgerissen zu sehen, sondern sahen sich nicht selten ge¬
zwungen, sich denselben durch die Flucht zu entziehen. Erst in spä¬
terer Zeit, als der älteste Sohn, Aloys, das Hauswesen übernahm
und durch dessen Rührigkeit die nächste drückende Sorge für den
Unterhalt der Familie beseitigt ward, kehrte auch der häusliche Friede
wieder in die Schusterwohnung zu Omes ein und ein freundliches
Vernehmen in größter Einigkeit umschlang Aeltern und Kinder.

Diese häuslichen Mißverhältnisse konnten einen wesentlichen Ein¬
fluß auf das Gemüthsleben und die sittliche Entwickelung Jordans
nicht verfehle». Aber sie wirkten bei seiner Seelenanlage nur so,
daß sie ihn in sich hineindrängten, die ohnehin durch seine Körper¬
kräfte begründete Vorherrschaft deS Gefühlsvermögens steigerten und
einen Zug von Schwermuth, bei lebhafter Thätigkeit der Phantasie
seinem Charakter einprägten. Er fand keine große Freude an den
heitern Spielen seiner Jugendgenossen, sondern zog sich lieber auf
die einsame Beschäftigung mit sich selbst zurück. Die Gedanken des
Knaben richteten sich bereits darauf, sich die in seiner nächsten Um¬
gebung in erwähnter Weise vernachlässigten Pflichten eines Fami¬
lienvaters deutlich zu machen; die Lehren der Evangelien und die
Lebensgeschichten der Heiligen, durch wiederholtes Lesen dem Ge¬
dächtnisse eingeprägt, hatten ihn dazu hinlänglich vorbereitet.

Dem Tyroler ist die Liebe zur Musik angeboren; bei Jordan
aber fand sie besondere Nahrung durch seinen Hang zur Schwer¬
mut!) und Trauer. Er lernte auf der Quer- oder Schwögelpfeife,
wie man sie in Tyrol nennt, mit Hilfe eines jungen in diesem In¬
strumente unterrichteten Freundes einige Tänze spielen, übte sich


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[0339] teil und Frömmigkeit seiner Aelter» durch den Druck der häuslichen Verhältnisse an sich wenig begünstigt. Den Vater beschlich bei seiner drückenden Lage oft Mi߬ mut!); Aufhetzereien böser Menschen vermehrten und reizten seine aufgeregte, trübe Stimmung und durch diese ließ er sich zur Härte gegen die Seinigen verleiten. Die Plackerei und saure Arbeit der Werktage suchte er zuweilen an Sonn- lind Feiertagen im Genusse geistiger Getränke zu vergessen oder zu vergüten; mehr aufgeregt und erhitzt, als betrunken, kam er dann häufig des Abends nach Hause, und bei diesem Zustande waren Weib und Kinder nicht sicher da¬ vor, sich aus der sonntäglichen Ruhe und Erholung durch Mißhand¬ lungen herausgerissen zu sehen, sondern sahen sich nicht selten ge¬ zwungen, sich denselben durch die Flucht zu entziehen. Erst in spä¬ terer Zeit, als der älteste Sohn, Aloys, das Hauswesen übernahm und durch dessen Rührigkeit die nächste drückende Sorge für den Unterhalt der Familie beseitigt ward, kehrte auch der häusliche Friede wieder in die Schusterwohnung zu Omes ein und ein freundliches Vernehmen in größter Einigkeit umschlang Aeltern und Kinder. Diese häuslichen Mißverhältnisse konnten einen wesentlichen Ein¬ fluß auf das Gemüthsleben und die sittliche Entwickelung Jordans nicht verfehle». Aber sie wirkten bei seiner Seelenanlage nur so, daß sie ihn in sich hineindrängten, die ohnehin durch seine Körper¬ kräfte begründete Vorherrschaft deS Gefühlsvermögens steigerten und einen Zug von Schwermuth, bei lebhafter Thätigkeit der Phantasie seinem Charakter einprägten. Er fand keine große Freude an den heitern Spielen seiner Jugendgenossen, sondern zog sich lieber auf die einsame Beschäftigung mit sich selbst zurück. Die Gedanken des Knaben richteten sich bereits darauf, sich die in seiner nächsten Um¬ gebung in erwähnter Weise vernachlässigten Pflichten eines Fami¬ lienvaters deutlich zu machen; die Lehren der Evangelien und die Lebensgeschichten der Heiligen, durch wiederholtes Lesen dem Ge¬ dächtnisse eingeprägt, hatten ihn dazu hinlänglich vorbereitet. Dem Tyroler ist die Liebe zur Musik angeboren; bei Jordan aber fand sie besondere Nahrung durch seinen Hang zur Schwer¬ mut!) und Trauer. Er lernte auf der Quer- oder Schwögelpfeife, wie man sie in Tyrol nennt, mit Hilfe eines jungen in diesem In¬ strumente unterrichteten Freundes einige Tänze spielen, übte sich 43»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/339>, abgerufen am 05.02.2025.