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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Als wir vom Koseiuszkohügel heimkehrten, mußten wir die Ju¬
denvorstadt, welche eine durch ihre eigenthümliche Einrichtung und
durch die Weichsel von Krakau abgesonderte Stadt bildet, und den
Namen ihres Erbauers, Kasimir, führt, Passiren. Wer den Zustand
der polnischen Juden kennen lernen will, der beehre die Stadt Ka¬
simir mit seinem Besuche. Aus schmutzigen kleinen Hütten wehet
uns ein so übeler Dunst an, daß wir kaum zu athmen wagen.
Die Masse der Bewohner lebt eng auf einander geschichtet. In ei¬
ner der elenden Hütten dort befinden sich selten mehr als vier Stu¬
ben, aber in einer Stube selten weniger als achtzehn bis zwanzig
Menschen bei einander. Meist enthält eine Stube zwei und drei
Familien. Aus den Straßen liegt der Koth vom Kehricht und an¬
derem Unrath so hoch, daß man in ihm bei nassem Wetter zu ver¬
sinken befürchte" muß. 12000 Juden enthält die Stadt Kasimir;
Christen gar nicht. Kasimir der Große hat da, wie man sieht,
den vielen herrlichen Denkmälern, die er sich in seinem Reiche er¬
richtet, ein sehr widriges gesellt. Es war eine Wohlthat, die
dieser Monarch seinem Reiche erwies, indem er die Juden hineinzog
und mit unzähligen Privilegien beschenkte, die denselben in mancher
Hinsicht sogar einen Vorrang, oder vielmehr ein Uebergewicht ge¬
gen seine christlichen Unterthanen verliehen; aber zugleich ein schwe¬
res Unheil. Nie werden in Polen Handel und Industrie erblühen
können, denn sie werden stets in die Hände dieser Juden fallen,
nie allgemein werden. Nicht staatsmännische Berechnung hat übrigens
diese folgenreiche Maßregel eingegeben, sondern Kasimirs Liebe zu
einer Jüdin.

Diese Jüdin, welche lange Jahre Kasimirs Maitresse war, hieß
Esther. Als ich vom Lustschloß Lobe.'.w erzählte, habe ich ihrer nicht
gedacht. Sie hat aber dort gewohnt. Dort hat sie den großen König
in ihren weichen Armen gehalten; und dort ist sie von dem Könige
ermordet worden, wenn anders der Sage zu trauen ist; wenigstens
habe ich in keinem historischen Werke etwas darüber gefunden. Der
Sage nach ist Kasimir von den Kroßen Polens, welche etwas Un¬
würdiges in der königlichen Neigung zu einer Jüdin fanden, vor¬
nehmlich aber von der Geistlichkeit so lange bestürmt worden, bis
er sich sein Liebeöbündniß aufzulösen entschloß. Er suchte seine Est-


Als wir vom Koseiuszkohügel heimkehrten, mußten wir die Ju¬
denvorstadt, welche eine durch ihre eigenthümliche Einrichtung und
durch die Weichsel von Krakau abgesonderte Stadt bildet, und den
Namen ihres Erbauers, Kasimir, führt, Passiren. Wer den Zustand
der polnischen Juden kennen lernen will, der beehre die Stadt Ka¬
simir mit seinem Besuche. Aus schmutzigen kleinen Hütten wehet
uns ein so übeler Dunst an, daß wir kaum zu athmen wagen.
Die Masse der Bewohner lebt eng auf einander geschichtet. In ei¬
ner der elenden Hütten dort befinden sich selten mehr als vier Stu¬
ben, aber in einer Stube selten weniger als achtzehn bis zwanzig
Menschen bei einander. Meist enthält eine Stube zwei und drei
Familien. Aus den Straßen liegt der Koth vom Kehricht und an¬
derem Unrath so hoch, daß man in ihm bei nassem Wetter zu ver¬
sinken befürchte» muß. 12000 Juden enthält die Stadt Kasimir;
Christen gar nicht. Kasimir der Große hat da, wie man sieht,
den vielen herrlichen Denkmälern, die er sich in seinem Reiche er¬
richtet, ein sehr widriges gesellt. Es war eine Wohlthat, die
dieser Monarch seinem Reiche erwies, indem er die Juden hineinzog
und mit unzähligen Privilegien beschenkte, die denselben in mancher
Hinsicht sogar einen Vorrang, oder vielmehr ein Uebergewicht ge¬
gen seine christlichen Unterthanen verliehen; aber zugleich ein schwe¬
res Unheil. Nie werden in Polen Handel und Industrie erblühen
können, denn sie werden stets in die Hände dieser Juden fallen,
nie allgemein werden. Nicht staatsmännische Berechnung hat übrigens
diese folgenreiche Maßregel eingegeben, sondern Kasimirs Liebe zu
einer Jüdin.

Diese Jüdin, welche lange Jahre Kasimirs Maitresse war, hieß
Esther. Als ich vom Lustschloß Lobe.'.w erzählte, habe ich ihrer nicht
gedacht. Sie hat aber dort gewohnt. Dort hat sie den großen König
in ihren weichen Armen gehalten; und dort ist sie von dem Könige
ermordet worden, wenn anders der Sage zu trauen ist; wenigstens
habe ich in keinem historischen Werke etwas darüber gefunden. Der
Sage nach ist Kasimir von den Kroßen Polens, welche etwas Un¬
würdiges in der königlichen Neigung zu einer Jüdin fanden, vor¬
nehmlich aber von der Geistlichkeit so lange bestürmt worden, bis
er sich sein Liebeöbündniß aufzulösen entschloß. Er suchte seine Est-


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[0305] Als wir vom Koseiuszkohügel heimkehrten, mußten wir die Ju¬ denvorstadt, welche eine durch ihre eigenthümliche Einrichtung und durch die Weichsel von Krakau abgesonderte Stadt bildet, und den Namen ihres Erbauers, Kasimir, führt, Passiren. Wer den Zustand der polnischen Juden kennen lernen will, der beehre die Stadt Ka¬ simir mit seinem Besuche. Aus schmutzigen kleinen Hütten wehet uns ein so übeler Dunst an, daß wir kaum zu athmen wagen. Die Masse der Bewohner lebt eng auf einander geschichtet. In ei¬ ner der elenden Hütten dort befinden sich selten mehr als vier Stu¬ ben, aber in einer Stube selten weniger als achtzehn bis zwanzig Menschen bei einander. Meist enthält eine Stube zwei und drei Familien. Aus den Straßen liegt der Koth vom Kehricht und an¬ derem Unrath so hoch, daß man in ihm bei nassem Wetter zu ver¬ sinken befürchte» muß. 12000 Juden enthält die Stadt Kasimir; Christen gar nicht. Kasimir der Große hat da, wie man sieht, den vielen herrlichen Denkmälern, die er sich in seinem Reiche er¬ richtet, ein sehr widriges gesellt. Es war eine Wohlthat, die dieser Monarch seinem Reiche erwies, indem er die Juden hineinzog und mit unzähligen Privilegien beschenkte, die denselben in mancher Hinsicht sogar einen Vorrang, oder vielmehr ein Uebergewicht ge¬ gen seine christlichen Unterthanen verliehen; aber zugleich ein schwe¬ res Unheil. Nie werden in Polen Handel und Industrie erblühen können, denn sie werden stets in die Hände dieser Juden fallen, nie allgemein werden. Nicht staatsmännische Berechnung hat übrigens diese folgenreiche Maßregel eingegeben, sondern Kasimirs Liebe zu einer Jüdin. Diese Jüdin, welche lange Jahre Kasimirs Maitresse war, hieß Esther. Als ich vom Lustschloß Lobe.'.w erzählte, habe ich ihrer nicht gedacht. Sie hat aber dort gewohnt. Dort hat sie den großen König in ihren weichen Armen gehalten; und dort ist sie von dem Könige ermordet worden, wenn anders der Sage zu trauen ist; wenigstens habe ich in keinem historischen Werke etwas darüber gefunden. Der Sage nach ist Kasimir von den Kroßen Polens, welche etwas Un¬ würdiges in der königlichen Neigung zu einer Jüdin fanden, vor¬ nehmlich aber von der Geistlichkeit so lange bestürmt worden, bis er sich sein Liebeöbündniß aufzulösen entschloß. Er suchte seine Est-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/305>, abgerufen am 05.02.2025.