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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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eliristi-ma" müssen Alle sich gleich lieben. Privatfreundschaft,
auch die unschuldigste, ist Sünde. Dieser in den Folgen unbe¬
rechenbare Grundsatz wird so eindringlich ans Herz gelegt, und in
der Erziehungsweise sämmtlicher, dem Verbände deö Jesuitenordens
mittelbar oder unmittelbar eingereihten Zöglinge so streng controlirt,
daß eine Übertretung beinahe zu den Unmöglichkeiten gehört. Ueber-
dteß ist jeder Zögling, und im Orden selbst jeder Jesuit, auf Eid
und Gewissenstrenge verpflichtet, nach bestimmten Terminen Alles nie¬
derzuschreiben, was er an seiner Umgebung Tadelhafteö bemerkt.
Diese Sittencensuren hat der Zögling seinem Rector, der Pater sei¬
nem Superior einzuhändigen. Bon hier gelangen sie zum General
des Ordens, der seine Verfügungen darnach richtet. Dies System
reicht so weit durch die Welt, als der Jesuitenorden selbst. Die
Ankläger bleiben stets unverbrüchliches Geheimniß der Vorgesetzten.
Jeder Jesuit ist für seine Umgebung die auf Eid und Gewissen ver¬
pflichtete geheime Polizei.

Hiemit ist das collegiale Verhältniß wohl hinlänglich charac-
terisirt. Keiner wird mit dem Nachbar so bekannt, daß er ein offe¬
nes Wort an ihn wagen darf. Keine Unzufriedenheit findet den
Weg über die Lippen. Alles scheint im Geiste heiter und seelen¬
vergnügt, weil jede nähere und individuelle Gemüthsbewegung,
Sehnsucht, Melancholie oder entschiedener Seelenschmerz in der stil¬
len Brust der Einzelnen ersticken muß. Mitten unter dieser schein¬
bar allgemeinen Fröhlichkeit donnern die Predigten von den furcht¬
baren Strafen oder ungekannten Wonnen jenes nie gesehenen Lan¬
des im Jenseits aus das Herz des Geängstigten. Kein anderes Ge¬
fühl, kein anderer Sinn findet hier sein Echo. Selbst der stärkste
Charakter, Monate, Jahre lang hier eingekerkert, muß endlich zwei¬
felhaft werden an sich selbst, und es wäre eine Schwachheit von
mir, wollte ich dem Leser verhehlen, daß auch ich schon nach einem
mehrwöchentltchen Aufenthalt im furchtbarsten innern Kampfe den
Qualen des Zweifels verfiel, ob nicht hier doch wohl das einzige,
wahre Heil der Menschheit zu suchen sei! Der Jüngling, uner¬
fahren in der Welt, ohne feststehende Grundsätze, meist näher dem
fünfzehnten als dem einundzwanzigsten Lebensjahre, kommt hier an,
und hat er sich einmal hinüberführen lassen über die Sospirobrücke
des Eides, so ist der Schicksalöwürfel über ihn gefallen. Sein


eliristi-ma" müssen Alle sich gleich lieben. Privatfreundschaft,
auch die unschuldigste, ist Sünde. Dieser in den Folgen unbe¬
rechenbare Grundsatz wird so eindringlich ans Herz gelegt, und in
der Erziehungsweise sämmtlicher, dem Verbände deö Jesuitenordens
mittelbar oder unmittelbar eingereihten Zöglinge so streng controlirt,
daß eine Übertretung beinahe zu den Unmöglichkeiten gehört. Ueber-
dteß ist jeder Zögling, und im Orden selbst jeder Jesuit, auf Eid
und Gewissenstrenge verpflichtet, nach bestimmten Terminen Alles nie¬
derzuschreiben, was er an seiner Umgebung Tadelhafteö bemerkt.
Diese Sittencensuren hat der Zögling seinem Rector, der Pater sei¬
nem Superior einzuhändigen. Bon hier gelangen sie zum General
des Ordens, der seine Verfügungen darnach richtet. Dies System
reicht so weit durch die Welt, als der Jesuitenorden selbst. Die
Ankläger bleiben stets unverbrüchliches Geheimniß der Vorgesetzten.
Jeder Jesuit ist für seine Umgebung die auf Eid und Gewissen ver¬
pflichtete geheime Polizei.

Hiemit ist das collegiale Verhältniß wohl hinlänglich charac-
terisirt. Keiner wird mit dem Nachbar so bekannt, daß er ein offe¬
nes Wort an ihn wagen darf. Keine Unzufriedenheit findet den
Weg über die Lippen. Alles scheint im Geiste heiter und seelen¬
vergnügt, weil jede nähere und individuelle Gemüthsbewegung,
Sehnsucht, Melancholie oder entschiedener Seelenschmerz in der stil¬
len Brust der Einzelnen ersticken muß. Mitten unter dieser schein¬
bar allgemeinen Fröhlichkeit donnern die Predigten von den furcht¬
baren Strafen oder ungekannten Wonnen jenes nie gesehenen Lan¬
des im Jenseits aus das Herz des Geängstigten. Kein anderes Ge¬
fühl, kein anderer Sinn findet hier sein Echo. Selbst der stärkste
Charakter, Monate, Jahre lang hier eingekerkert, muß endlich zwei¬
felhaft werden an sich selbst, und es wäre eine Schwachheit von
mir, wollte ich dem Leser verhehlen, daß auch ich schon nach einem
mehrwöchentltchen Aufenthalt im furchtbarsten innern Kampfe den
Qualen des Zweifels verfiel, ob nicht hier doch wohl das einzige,
wahre Heil der Menschheit zu suchen sei! Der Jüngling, uner¬
fahren in der Welt, ohne feststehende Grundsätze, meist näher dem
fünfzehnten als dem einundzwanzigsten Lebensjahre, kommt hier an,
und hat er sich einmal hinüberführen lassen über die Sospirobrücke
des Eides, so ist der Schicksalöwürfel über ihn gefallen. Sein


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[0256] eliristi-ma" müssen Alle sich gleich lieben. Privatfreundschaft, auch die unschuldigste, ist Sünde. Dieser in den Folgen unbe¬ rechenbare Grundsatz wird so eindringlich ans Herz gelegt, und in der Erziehungsweise sämmtlicher, dem Verbände deö Jesuitenordens mittelbar oder unmittelbar eingereihten Zöglinge so streng controlirt, daß eine Übertretung beinahe zu den Unmöglichkeiten gehört. Ueber- dteß ist jeder Zögling, und im Orden selbst jeder Jesuit, auf Eid und Gewissenstrenge verpflichtet, nach bestimmten Terminen Alles nie¬ derzuschreiben, was er an seiner Umgebung Tadelhafteö bemerkt. Diese Sittencensuren hat der Zögling seinem Rector, der Pater sei¬ nem Superior einzuhändigen. Bon hier gelangen sie zum General des Ordens, der seine Verfügungen darnach richtet. Dies System reicht so weit durch die Welt, als der Jesuitenorden selbst. Die Ankläger bleiben stets unverbrüchliches Geheimniß der Vorgesetzten. Jeder Jesuit ist für seine Umgebung die auf Eid und Gewissen ver¬ pflichtete geheime Polizei. Hiemit ist das collegiale Verhältniß wohl hinlänglich charac- terisirt. Keiner wird mit dem Nachbar so bekannt, daß er ein offe¬ nes Wort an ihn wagen darf. Keine Unzufriedenheit findet den Weg über die Lippen. Alles scheint im Geiste heiter und seelen¬ vergnügt, weil jede nähere und individuelle Gemüthsbewegung, Sehnsucht, Melancholie oder entschiedener Seelenschmerz in der stil¬ len Brust der Einzelnen ersticken muß. Mitten unter dieser schein¬ bar allgemeinen Fröhlichkeit donnern die Predigten von den furcht¬ baren Strafen oder ungekannten Wonnen jenes nie gesehenen Lan¬ des im Jenseits aus das Herz des Geängstigten. Kein anderes Ge¬ fühl, kein anderer Sinn findet hier sein Echo. Selbst der stärkste Charakter, Monate, Jahre lang hier eingekerkert, muß endlich zwei¬ felhaft werden an sich selbst, und es wäre eine Schwachheit von mir, wollte ich dem Leser verhehlen, daß auch ich schon nach einem mehrwöchentltchen Aufenthalt im furchtbarsten innern Kampfe den Qualen des Zweifels verfiel, ob nicht hier doch wohl das einzige, wahre Heil der Menschheit zu suchen sei! Der Jüngling, uner¬ fahren in der Welt, ohne feststehende Grundsätze, meist näher dem fünfzehnten als dem einundzwanzigsten Lebensjahre, kommt hier an, und hat er sich einmal hinüberführen lassen über die Sospirobrücke des Eides, so ist der Schicksalöwürfel über ihn gefallen. Sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/256>, abgerufen am 05.02.2025.