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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Herz muß brechen unter tausend Aengsten, oder die lange Gewohn¬
heit wird seine zweite Natur, 'und als blindes Werkzeug handelt er
nach der Eingebung des ringsum auf ihn einstürmenden Fanatis¬
mus. Hierin liegt die größte Politik, die jemals in eines Menschen
Kopfe geboren ward. Macchiavelli selbst steht nicht so furchtbar
erhaben va, als hier Ignatius von Loyola. Aus diesen ein¬
fachen Prinzipien ist die große, enggegliederte Kette aus Centrum
des Generals geschmiedet, welche einst so rasch, so allmächtig sich
über die Christenheit erhob, und auch jetzt wieder über ihren Fall
zu steigen beginnt.

Ich halte jede weitere Andeutung für überflüssig, und kehre zur
Tagesordnung zurück. Die Untersuchung schließt mit einem gemein¬
sam und laut gesprochenen Gebete, worauf sich jeder Zögling in seine
Zelle begiebt, und die nächste halbe Stunde der Wiederholung be¬
reits vorgetragener Lehrgegenstände widmet. Die Campanella ver¬
kündigt den Beginn des nachmittägigen Unterrichts, und die Zög¬
linge gelangen ganz auf die Art, wie Vormittags, wieder ins römi¬
sche Colleg. Nach Beendigung der Vorlesung finden (ein bis zwei¬
mal in der Woche) kleine (?neuli sclwlilstici statt. Die
Zuhörer ziehen sich nämlich in die zweite Hälfte des HörsaalS zu¬
rück, und vertheilen sich in abgesonderte Kreise zu je zehn uno zehn
unter dem Vorsitze eines Präses. Hier wiederholt und vertheidigt
ein Zögling die im Lauf der Woche vorgetragenen Theses. Zwei
andere sind bestimmt, sie gegen ihn zu bekämpfen. Für die Nieder¬
lage der letztern hat der Präses zu sorgen, wenn der aufgeforderte
Defensor sich nicht mehr selbst zurecht findet, denn dieser darf nie¬
mals im Stich gelassen werden. Ein ähnlicher allgemeiner Cir-
culus findet auch an jedem Monatsschlusse statt, wobei der den
Gegenstand docirende Pater selbst präsidire. Auf diese Art werden
die künftigen Missionäre zu einem ewigen Kampfe gewöhnt. -- Ist
der Circulus geschlossen, so kehren die Zöglinge, wie Vormittag,
nach Hause zurück, verrichten, wie Vormittag, im Sacellum ihr
Dankgebet, und legen in ihrer Zelle die Theta ab, worauf unmit¬
telbar entweder eine I^vctio spiritnitlis in der Aula folgt, oder
(gewöhnlich ein bis zweimal in der Woche) ein kurzer Spaziergang
ins Freie gemacht werden darf. Zu diesem ruft sie ebenfalls die
Campanella zusammen. Paarweis eng an einander gereiht und ge-


Herz muß brechen unter tausend Aengsten, oder die lange Gewohn¬
heit wird seine zweite Natur, 'und als blindes Werkzeug handelt er
nach der Eingebung des ringsum auf ihn einstürmenden Fanatis¬
mus. Hierin liegt die größte Politik, die jemals in eines Menschen
Kopfe geboren ward. Macchiavelli selbst steht nicht so furchtbar
erhaben va, als hier Ignatius von Loyola. Aus diesen ein¬
fachen Prinzipien ist die große, enggegliederte Kette aus Centrum
des Generals geschmiedet, welche einst so rasch, so allmächtig sich
über die Christenheit erhob, und auch jetzt wieder über ihren Fall
zu steigen beginnt.

Ich halte jede weitere Andeutung für überflüssig, und kehre zur
Tagesordnung zurück. Die Untersuchung schließt mit einem gemein¬
sam und laut gesprochenen Gebete, worauf sich jeder Zögling in seine
Zelle begiebt, und die nächste halbe Stunde der Wiederholung be¬
reits vorgetragener Lehrgegenstände widmet. Die Campanella ver¬
kündigt den Beginn des nachmittägigen Unterrichts, und die Zög¬
linge gelangen ganz auf die Art, wie Vormittags, wieder ins römi¬
sche Colleg. Nach Beendigung der Vorlesung finden (ein bis zwei¬
mal in der Woche) kleine (?neuli sclwlilstici statt. Die
Zuhörer ziehen sich nämlich in die zweite Hälfte des HörsaalS zu¬
rück, und vertheilen sich in abgesonderte Kreise zu je zehn uno zehn
unter dem Vorsitze eines Präses. Hier wiederholt und vertheidigt
ein Zögling die im Lauf der Woche vorgetragenen Theses. Zwei
andere sind bestimmt, sie gegen ihn zu bekämpfen. Für die Nieder¬
lage der letztern hat der Präses zu sorgen, wenn der aufgeforderte
Defensor sich nicht mehr selbst zurecht findet, denn dieser darf nie¬
mals im Stich gelassen werden. Ein ähnlicher allgemeiner Cir-
culus findet auch an jedem Monatsschlusse statt, wobei der den
Gegenstand docirende Pater selbst präsidire. Auf diese Art werden
die künftigen Missionäre zu einem ewigen Kampfe gewöhnt. — Ist
der Circulus geschlossen, so kehren die Zöglinge, wie Vormittag,
nach Hause zurück, verrichten, wie Vormittag, im Sacellum ihr
Dankgebet, und legen in ihrer Zelle die Theta ab, worauf unmit¬
telbar entweder eine I^vctio spiritnitlis in der Aula folgt, oder
(gewöhnlich ein bis zweimal in der Woche) ein kurzer Spaziergang
ins Freie gemacht werden darf. Zu diesem ruft sie ebenfalls die
Campanella zusammen. Paarweis eng an einander gereiht und ge-


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[0257] Herz muß brechen unter tausend Aengsten, oder die lange Gewohn¬ heit wird seine zweite Natur, 'und als blindes Werkzeug handelt er nach der Eingebung des ringsum auf ihn einstürmenden Fanatis¬ mus. Hierin liegt die größte Politik, die jemals in eines Menschen Kopfe geboren ward. Macchiavelli selbst steht nicht so furchtbar erhaben va, als hier Ignatius von Loyola. Aus diesen ein¬ fachen Prinzipien ist die große, enggegliederte Kette aus Centrum des Generals geschmiedet, welche einst so rasch, so allmächtig sich über die Christenheit erhob, und auch jetzt wieder über ihren Fall zu steigen beginnt. Ich halte jede weitere Andeutung für überflüssig, und kehre zur Tagesordnung zurück. Die Untersuchung schließt mit einem gemein¬ sam und laut gesprochenen Gebete, worauf sich jeder Zögling in seine Zelle begiebt, und die nächste halbe Stunde der Wiederholung be¬ reits vorgetragener Lehrgegenstände widmet. Die Campanella ver¬ kündigt den Beginn des nachmittägigen Unterrichts, und die Zög¬ linge gelangen ganz auf die Art, wie Vormittags, wieder ins römi¬ sche Colleg. Nach Beendigung der Vorlesung finden (ein bis zwei¬ mal in der Woche) kleine (?neuli sclwlilstici statt. Die Zuhörer ziehen sich nämlich in die zweite Hälfte des HörsaalS zu¬ rück, und vertheilen sich in abgesonderte Kreise zu je zehn uno zehn unter dem Vorsitze eines Präses. Hier wiederholt und vertheidigt ein Zögling die im Lauf der Woche vorgetragenen Theses. Zwei andere sind bestimmt, sie gegen ihn zu bekämpfen. Für die Nieder¬ lage der letztern hat der Präses zu sorgen, wenn der aufgeforderte Defensor sich nicht mehr selbst zurecht findet, denn dieser darf nie¬ mals im Stich gelassen werden. Ein ähnlicher allgemeiner Cir- culus findet auch an jedem Monatsschlusse statt, wobei der den Gegenstand docirende Pater selbst präsidire. Auf diese Art werden die künftigen Missionäre zu einem ewigen Kampfe gewöhnt. — Ist der Circulus geschlossen, so kehren die Zöglinge, wie Vormittag, nach Hause zurück, verrichten, wie Vormittag, im Sacellum ihr Dankgebet, und legen in ihrer Zelle die Theta ab, worauf unmit¬ telbar entweder eine I^vctio spiritnitlis in der Aula folgt, oder (gewöhnlich ein bis zweimal in der Woche) ein kurzer Spaziergang ins Freie gemacht werden darf. Zu diesem ruft sie ebenfalls die Campanella zusammen. Paarweis eng an einander gereiht und ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/257>, abgerufen am 05.02.2025.