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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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stimmten Platz. Die Tafel ist splendid und eS fehlt nicht an kräf¬
tigem Wein. An Festtagen mit doppelten Ceremonieen ist sogar auch
in Speisen und Wein "äuplvx", wobei geistvoller, süßer Ausländer
fließt. Ja selbst gesprochen darf an solchen Festen werden. An ge¬
wöhnlichen Tagen aber liest ein Alumnus während der Tafel er¬
bauliche Lebensbeschreibungen der Heiligen oder der Kirchenväter vor.
Dies Geschäft trifft wöchentlich einen andern Zögling. Das neueste
Werk, welches hier mitgetheilt werden durfte, und überhaupt das
Aufgeklärteste (!), das ich während meines Aufenthaltes im Colleg
gehört, war des bekannten Hurter von Schaffhausen Geschichte
des Papstes Jnnozenz. Alles andere gehörte einer frühern Periode
der katholischen Literatur an. Nach der Tafel, die mit Gebet be¬
gonnen und beendet wird, begeben sich die Zöglinge in das Sa-
cellum, hier den Dank für die genossenen Speisen dem Allerhöchsten
darzubringen. Nun kommt eine halbstündige Unterhaltung, welche
auf folgende Art eingeleitet wird: Die Zöglinge, welche niedergebeug¬
ten Hauptes, ohne bei Seite oder rückwärts zu schauen, im Sacel-
lum knien müssen, erheben sich auf einen lauten Handschlag des an¬
wesenden Präfektes oder Pedells. In gleichmäßigem Schritte, ohne
umzuschauen, bewegen sie sich durch die Thür, welche ihrer Enge
wegen zu gleicher Aelt nur ein Mann passiren kann. Unmittelbar
von dieser Thüre führt eine eben so enge Treppe in den bereits er¬
wähnten Porticus. Ist der Zögling hier angelangt, so darf er sich
erst umdrehen, und den nächsten Hintermann mit den Worten an¬
reden: " l^-uuletur ^osiiL vt Um-in!" welcher darauf "Runo vt
"<;in>et-r, zu erwidern hat. Die auf solche Art zu je zwei
und zwei zusammengewürfelten Zöglinge müssen sich nun, im Por¬
ticus auf- und abspazierend, gegenseitig unterhalten. Dabei ist so¬
wohl die zu wählende Sprache, als auch der Gegenstand des DiS-
curseö vorgeschrieben. Jene ist bald deutsch, bald lateinisch, bald
italienisch; diesem bleibt eine unverrückbar enge Gränze gezogen,
welche nur die Schulgegenstände oder heilige Sachen des ascetischen
Lebens einschließt. Berührung eines andern Themas wird streng
getadelt. Sollte es sich ereignen, daß zwei Zöglinge durch Wahl
des Platzes im Sacellum, oder durch einen schnellern oder langsa¬
mern Schritt gegen die Thüre sich zusammen zu finden suchen, so
werden sagleich Verhütungsmaßregeln getroffen, denn "ox ciuititt,i


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stimmten Platz. Die Tafel ist splendid und eS fehlt nicht an kräf¬
tigem Wein. An Festtagen mit doppelten Ceremonieen ist sogar auch
in Speisen und Wein „äuplvx", wobei geistvoller, süßer Ausländer
fließt. Ja selbst gesprochen darf an solchen Festen werden. An ge¬
wöhnlichen Tagen aber liest ein Alumnus während der Tafel er¬
bauliche Lebensbeschreibungen der Heiligen oder der Kirchenväter vor.
Dies Geschäft trifft wöchentlich einen andern Zögling. Das neueste
Werk, welches hier mitgetheilt werden durfte, und überhaupt das
Aufgeklärteste (!), das ich während meines Aufenthaltes im Colleg
gehört, war des bekannten Hurter von Schaffhausen Geschichte
des Papstes Jnnozenz. Alles andere gehörte einer frühern Periode
der katholischen Literatur an. Nach der Tafel, die mit Gebet be¬
gonnen und beendet wird, begeben sich die Zöglinge in das Sa-
cellum, hier den Dank für die genossenen Speisen dem Allerhöchsten
darzubringen. Nun kommt eine halbstündige Unterhaltung, welche
auf folgende Art eingeleitet wird: Die Zöglinge, welche niedergebeug¬
ten Hauptes, ohne bei Seite oder rückwärts zu schauen, im Sacel-
lum knien müssen, erheben sich auf einen lauten Handschlag des an¬
wesenden Präfektes oder Pedells. In gleichmäßigem Schritte, ohne
umzuschauen, bewegen sie sich durch die Thür, welche ihrer Enge
wegen zu gleicher Aelt nur ein Mann passiren kann. Unmittelbar
von dieser Thüre führt eine eben so enge Treppe in den bereits er¬
wähnten Porticus. Ist der Zögling hier angelangt, so darf er sich
erst umdrehen, und den nächsten Hintermann mit den Worten an¬
reden: „ l^-uuletur ^osiiL vt Um-in!" welcher darauf „Runo vt
«<;in>et-r, zu erwidern hat. Die auf solche Art zu je zwei
und zwei zusammengewürfelten Zöglinge müssen sich nun, im Por¬
ticus auf- und abspazierend, gegenseitig unterhalten. Dabei ist so¬
wohl die zu wählende Sprache, als auch der Gegenstand des DiS-
curseö vorgeschrieben. Jene ist bald deutsch, bald lateinisch, bald
italienisch; diesem bleibt eine unverrückbar enge Gränze gezogen,
welche nur die Schulgegenstände oder heilige Sachen des ascetischen
Lebens einschließt. Berührung eines andern Themas wird streng
getadelt. Sollte es sich ereignen, daß zwei Zöglinge durch Wahl
des Platzes im Sacellum, oder durch einen schnellern oder langsa¬
mern Schritt gegen die Thüre sich zusammen zu finden suchen, so
werden sagleich Verhütungsmaßregeln getroffen, denn „ox ciuititt,i


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[0255] stimmten Platz. Die Tafel ist splendid und eS fehlt nicht an kräf¬ tigem Wein. An Festtagen mit doppelten Ceremonieen ist sogar auch in Speisen und Wein „äuplvx", wobei geistvoller, süßer Ausländer fließt. Ja selbst gesprochen darf an solchen Festen werden. An ge¬ wöhnlichen Tagen aber liest ein Alumnus während der Tafel er¬ bauliche Lebensbeschreibungen der Heiligen oder der Kirchenväter vor. Dies Geschäft trifft wöchentlich einen andern Zögling. Das neueste Werk, welches hier mitgetheilt werden durfte, und überhaupt das Aufgeklärteste (!), das ich während meines Aufenthaltes im Colleg gehört, war des bekannten Hurter von Schaffhausen Geschichte des Papstes Jnnozenz. Alles andere gehörte einer frühern Periode der katholischen Literatur an. Nach der Tafel, die mit Gebet be¬ gonnen und beendet wird, begeben sich die Zöglinge in das Sa- cellum, hier den Dank für die genossenen Speisen dem Allerhöchsten darzubringen. Nun kommt eine halbstündige Unterhaltung, welche auf folgende Art eingeleitet wird: Die Zöglinge, welche niedergebeug¬ ten Hauptes, ohne bei Seite oder rückwärts zu schauen, im Sacel- lum knien müssen, erheben sich auf einen lauten Handschlag des an¬ wesenden Präfektes oder Pedells. In gleichmäßigem Schritte, ohne umzuschauen, bewegen sie sich durch die Thür, welche ihrer Enge wegen zu gleicher Aelt nur ein Mann passiren kann. Unmittelbar von dieser Thüre führt eine eben so enge Treppe in den bereits er¬ wähnten Porticus. Ist der Zögling hier angelangt, so darf er sich erst umdrehen, und den nächsten Hintermann mit den Worten an¬ reden: „ l^-uuletur ^osiiL vt Um-in!" welcher darauf „Runo vt «<;in>et-r, zu erwidern hat. Die auf solche Art zu je zwei und zwei zusammengewürfelten Zöglinge müssen sich nun, im Por¬ ticus auf- und abspazierend, gegenseitig unterhalten. Dabei ist so¬ wohl die zu wählende Sprache, als auch der Gegenstand des DiS- curseö vorgeschrieben. Jene ist bald deutsch, bald lateinisch, bald italienisch; diesem bleibt eine unverrückbar enge Gränze gezogen, welche nur die Schulgegenstände oder heilige Sachen des ascetischen Lebens einschließt. Berührung eines andern Themas wird streng getadelt. Sollte es sich ereignen, daß zwei Zöglinge durch Wahl des Platzes im Sacellum, oder durch einen schnellern oder langsa¬ mern Schritt gegen die Thüre sich zusammen zu finden suchen, so werden sagleich Verhütungsmaßregeln getroffen, denn „ox ciuititt,i 32-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/255>, abgerufen am 05.02.2025.