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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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scher sie bewundert. Das Herz der polnischen Wirthschaft aber ist
die Viehzucht, und so liefert diese auch die Hauptsache zur Tafel.
Bei einem Mahle von zehn Gerichten bestehen mindestens sieben
Gerichte aus Fleisch, und diese sind stets etwas Vortreffliches, höchst
Delicatcs. Die Zubereitung ist in so hohem Grade sett, daß die
Speisen sich kaum würden genießen lassen, wechselten nicht mit den
süßen ziemlich regelmäßig sauere. Ueberdies ist ein guter Ungarwetn
bei jedem Mahle eines vornehmen Polen zu finden, und dieser ist
der kräftigste und liebenswürdigste Helfer zu Ueberwindung des Fett¬
übermaaßes.

Die Speisen wurden schnell auf" und abgetragen. Der Graf
selbst commandirte sie oder vielmehr den Träger, den Kammerdiener.
Er gab aber auch selbst das Commando in die Küche, und das war
mir als einem Deutschen auffällig. Die polnischen vornehmen Da¬
men bekümmern sich nicht im Mindesten um die Küche, dies thut
der Hausherr. Er bestimmt die Zeit des Mahles, die stets eine
unbestimmte ist, aber gewöhnlich in die späten Nachmittagsstunden
fällt, und wählt die zu bereitenden Speisen. Die Damen haben
nicht mehr dabei zu thun, als zu genießen. Diese Sitte ist uns
Deutschen' auffällig, erwächst aber aus sehr natürlichem Grunde. Die
Küchen der vornehmen Polen sind stets in männlichen Händen. Kö¬
chinnen findet man nie in ihnen, stets Köche. Die Herrschaft über
Männer gebührt aber dem Manne. In unseren deutschen Küchen
walten dagegen beinahe ausnahmslos Köchinnen, und so müssen
natürlich bei uns die Damen die Herrschaft in der Küche führen,
zumal es wegen der weiblichen Natur der Köchinnen oft gefährlich
werden könnte, diese Herrschaft den Herren zu überlassen.

Gleich nach dem Mahle ereignete sich ein Schauspiel, welches
mir in hohem Grade widerlich war. Einer jener drei Wirthschafts-
aufseher trat ein und an dessen Hand jenes ausreißerische Dienst¬
mädchen, ein siebzehn- bis achtzehnjähriges schlankes, hübsches Ge¬
schöpf. Dem Aufseher folgend traten in langer Reihe sämmtliche
weibliche Dienstboten des Grafen, elf an der Zahl, in das Zimmer.
Die Sünderin sollte jetzt die Strafe empfangen, die der Graf be¬
stimmt hatte und in dreiunddreißig Peitschenhieben bestand. Diese
Strafe sollten die Dienstmädchen -- wahrscheinlich zu desto warnen-
derem Beispiel für sie -- an ihrer Collegin vollstrecken.


scher sie bewundert. Das Herz der polnischen Wirthschaft aber ist
die Viehzucht, und so liefert diese auch die Hauptsache zur Tafel.
Bei einem Mahle von zehn Gerichten bestehen mindestens sieben
Gerichte aus Fleisch, und diese sind stets etwas Vortreffliches, höchst
Delicatcs. Die Zubereitung ist in so hohem Grade sett, daß die
Speisen sich kaum würden genießen lassen, wechselten nicht mit den
süßen ziemlich regelmäßig sauere. Ueberdies ist ein guter Ungarwetn
bei jedem Mahle eines vornehmen Polen zu finden, und dieser ist
der kräftigste und liebenswürdigste Helfer zu Ueberwindung des Fett¬
übermaaßes.

Die Speisen wurden schnell auf" und abgetragen. Der Graf
selbst commandirte sie oder vielmehr den Träger, den Kammerdiener.
Er gab aber auch selbst das Commando in die Küche, und das war
mir als einem Deutschen auffällig. Die polnischen vornehmen Da¬
men bekümmern sich nicht im Mindesten um die Küche, dies thut
der Hausherr. Er bestimmt die Zeit des Mahles, die stets eine
unbestimmte ist, aber gewöhnlich in die späten Nachmittagsstunden
fällt, und wählt die zu bereitenden Speisen. Die Damen haben
nicht mehr dabei zu thun, als zu genießen. Diese Sitte ist uns
Deutschen' auffällig, erwächst aber aus sehr natürlichem Grunde. Die
Küchen der vornehmen Polen sind stets in männlichen Händen. Kö¬
chinnen findet man nie in ihnen, stets Köche. Die Herrschaft über
Männer gebührt aber dem Manne. In unseren deutschen Küchen
walten dagegen beinahe ausnahmslos Köchinnen, und so müssen
natürlich bei uns die Damen die Herrschaft in der Küche führen,
zumal es wegen der weiblichen Natur der Köchinnen oft gefährlich
werden könnte, diese Herrschaft den Herren zu überlassen.

Gleich nach dem Mahle ereignete sich ein Schauspiel, welches
mir in hohem Grade widerlich war. Einer jener drei Wirthschafts-
aufseher trat ein und an dessen Hand jenes ausreißerische Dienst¬
mädchen, ein siebzehn- bis achtzehnjähriges schlankes, hübsches Ge¬
schöpf. Dem Aufseher folgend traten in langer Reihe sämmtliche
weibliche Dienstboten des Grafen, elf an der Zahl, in das Zimmer.
Die Sünderin sollte jetzt die Strafe empfangen, die der Graf be¬
stimmt hatte und in dreiunddreißig Peitschenhieben bestand. Diese
Strafe sollten die Dienstmädchen — wahrscheinlich zu desto warnen-
derem Beispiel für sie — an ihrer Collegin vollstrecken.


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[0022] scher sie bewundert. Das Herz der polnischen Wirthschaft aber ist die Viehzucht, und so liefert diese auch die Hauptsache zur Tafel. Bei einem Mahle von zehn Gerichten bestehen mindestens sieben Gerichte aus Fleisch, und diese sind stets etwas Vortreffliches, höchst Delicatcs. Die Zubereitung ist in so hohem Grade sett, daß die Speisen sich kaum würden genießen lassen, wechselten nicht mit den süßen ziemlich regelmäßig sauere. Ueberdies ist ein guter Ungarwetn bei jedem Mahle eines vornehmen Polen zu finden, und dieser ist der kräftigste und liebenswürdigste Helfer zu Ueberwindung des Fett¬ übermaaßes. Die Speisen wurden schnell auf" und abgetragen. Der Graf selbst commandirte sie oder vielmehr den Träger, den Kammerdiener. Er gab aber auch selbst das Commando in die Küche, und das war mir als einem Deutschen auffällig. Die polnischen vornehmen Da¬ men bekümmern sich nicht im Mindesten um die Küche, dies thut der Hausherr. Er bestimmt die Zeit des Mahles, die stets eine unbestimmte ist, aber gewöhnlich in die späten Nachmittagsstunden fällt, und wählt die zu bereitenden Speisen. Die Damen haben nicht mehr dabei zu thun, als zu genießen. Diese Sitte ist uns Deutschen' auffällig, erwächst aber aus sehr natürlichem Grunde. Die Küchen der vornehmen Polen sind stets in männlichen Händen. Kö¬ chinnen findet man nie in ihnen, stets Köche. Die Herrschaft über Männer gebührt aber dem Manne. In unseren deutschen Küchen walten dagegen beinahe ausnahmslos Köchinnen, und so müssen natürlich bei uns die Damen die Herrschaft in der Küche führen, zumal es wegen der weiblichen Natur der Köchinnen oft gefährlich werden könnte, diese Herrschaft den Herren zu überlassen. Gleich nach dem Mahle ereignete sich ein Schauspiel, welches mir in hohem Grade widerlich war. Einer jener drei Wirthschafts- aufseher trat ein und an dessen Hand jenes ausreißerische Dienst¬ mädchen, ein siebzehn- bis achtzehnjähriges schlankes, hübsches Ge¬ schöpf. Dem Aufseher folgend traten in langer Reihe sämmtliche weibliche Dienstboten des Grafen, elf an der Zahl, in das Zimmer. Die Sünderin sollte jetzt die Strafe empfangen, die der Graf be¬ stimmt hatte und in dreiunddreißig Peitschenhieben bestand. Diese Strafe sollten die Dienstmädchen — wahrscheinlich zu desto warnen- derem Beispiel für sie — an ihrer Collegin vollstrecken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/22>, abgerufen am 05.02.2025.