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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Die ältere Tochter des Grafen bat den strengen Vater, der
Sünderin zu vergeben, und es kamen mir die Schiller'schen Verse
in die Gedanken:


Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
Und mit schmeichelndem Munde sie fleht --

Der Graf schenkte aber, so wenig wie dort der König, dem
Fräulein Gehör, erklärend: er habe die erste Flucht des Mädchens
unbestraft gelassen, aber jetzt dürfe er nicht barmherzig sein, weil sonst
sämmtliche Dienstboten des Glaubens werden könnten, ihre Verpflich¬
tungen gegen ihn, als den Grundherrn, seien aufgelöst oder unwich¬
tig geworden, was dein Mädchen Nachahmerinnen verschaffen werde.
(Auf den Kindern der Bauern liegt nämlich der gebräuchliche Zwang,
dem Grundherrn eine bestimmte Zahl von Jahren als Knechte oder
Mägde zu dienen )

Die Damen verließen das Zimmer und der garstige Act be¬
gann. Der Wirthschaftsaufseher zog das Hemd vom Oberkörper
des Mädchens herab (nach ihrer Alltagstracht sind die Bäuerinnen
von der Taille bis zum Hals nur mit dem Hemd bekleidet), so daß
der Rücken bloß wurde, und beugre dasselbe über sinen Tisch. Ein
Dienstmädchen nach dem andern trat vor und ertheilte mit der Peitsche
dem nackten Rücken der Collegin drei Hiebe. Natürlich hatte die
Peitsche in den Händen der jungen Bauermädchen nicht eben eine
gewaltige Wucht, doch mochte sie der Deliquentin empfindbar genug
sein. Nachdem dieselbe ihre Strafe überstanden hatte, umarmte sie
dem Grafen die Knie und sprach die Worte: "Ä"i>?K"^o
(ich danke dem Herrn).

Ein solcher, in Polen nur noch zu gewöhnlicher Act, ist eine
schauerliche, widerliche Spur der aufgehobenen Leibeigenschaft; eine
Spur, die einem glauben machen könnte, die Leibeigenschaft bestehe
noch. Es ist keiner Frage unterworfen, daß solche Nachbleibsel der
Leibeigenschaft das Emporkommen des Bauernstandes aus seiner trau¬
rigen Unmündigkeit sehr hindern. Daher mag man wohl hoffen,
daß die Grundherren diese Nachbleibsel um so lieber verschwinden
lassen werden, jemehr sie erkennen, daß dieselben ihr Streben, den
Bauernstand um des Vaterlandes willen zu veredeln, zu bilden und
emporzuheben, beeinträchtigen.




Die ältere Tochter des Grafen bat den strengen Vater, der
Sünderin zu vergeben, und es kamen mir die Schiller'schen Verse
in die Gedanken:


Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
Und mit schmeichelndem Munde sie fleht —

Der Graf schenkte aber, so wenig wie dort der König, dem
Fräulein Gehör, erklärend: er habe die erste Flucht des Mädchens
unbestraft gelassen, aber jetzt dürfe er nicht barmherzig sein, weil sonst
sämmtliche Dienstboten des Glaubens werden könnten, ihre Verpflich¬
tungen gegen ihn, als den Grundherrn, seien aufgelöst oder unwich¬
tig geworden, was dein Mädchen Nachahmerinnen verschaffen werde.
(Auf den Kindern der Bauern liegt nämlich der gebräuchliche Zwang,
dem Grundherrn eine bestimmte Zahl von Jahren als Knechte oder
Mägde zu dienen )

Die Damen verließen das Zimmer und der garstige Act be¬
gann. Der Wirthschaftsaufseher zog das Hemd vom Oberkörper
des Mädchens herab (nach ihrer Alltagstracht sind die Bäuerinnen
von der Taille bis zum Hals nur mit dem Hemd bekleidet), so daß
der Rücken bloß wurde, und beugre dasselbe über sinen Tisch. Ein
Dienstmädchen nach dem andern trat vor und ertheilte mit der Peitsche
dem nackten Rücken der Collegin drei Hiebe. Natürlich hatte die
Peitsche in den Händen der jungen Bauermädchen nicht eben eine
gewaltige Wucht, doch mochte sie der Deliquentin empfindbar genug
sein. Nachdem dieselbe ihre Strafe überstanden hatte, umarmte sie
dem Grafen die Knie und sprach die Worte: „Ä»i>?K»^o
(ich danke dem Herrn).

Ein solcher, in Polen nur noch zu gewöhnlicher Act, ist eine
schauerliche, widerliche Spur der aufgehobenen Leibeigenschaft; eine
Spur, die einem glauben machen könnte, die Leibeigenschaft bestehe
noch. Es ist keiner Frage unterworfen, daß solche Nachbleibsel der
Leibeigenschaft das Emporkommen des Bauernstandes aus seiner trau¬
rigen Unmündigkeit sehr hindern. Daher mag man wohl hoffen,
daß die Grundherren diese Nachbleibsel um so lieber verschwinden
lassen werden, jemehr sie erkennen, daß dieselben ihr Streben, den
Bauernstand um des Vaterlandes willen zu veredeln, zu bilden und
emporzuheben, beeinträchtigen.




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[0023] Die ältere Tochter des Grafen bat den strengen Vater, der Sünderin zu vergeben, und es kamen mir die Schiller'schen Verse in die Gedanken: Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl, Und mit schmeichelndem Munde sie fleht — Der Graf schenkte aber, so wenig wie dort der König, dem Fräulein Gehör, erklärend: er habe die erste Flucht des Mädchens unbestraft gelassen, aber jetzt dürfe er nicht barmherzig sein, weil sonst sämmtliche Dienstboten des Glaubens werden könnten, ihre Verpflich¬ tungen gegen ihn, als den Grundherrn, seien aufgelöst oder unwich¬ tig geworden, was dein Mädchen Nachahmerinnen verschaffen werde. (Auf den Kindern der Bauern liegt nämlich der gebräuchliche Zwang, dem Grundherrn eine bestimmte Zahl von Jahren als Knechte oder Mägde zu dienen ) Die Damen verließen das Zimmer und der garstige Act be¬ gann. Der Wirthschaftsaufseher zog das Hemd vom Oberkörper des Mädchens herab (nach ihrer Alltagstracht sind die Bäuerinnen von der Taille bis zum Hals nur mit dem Hemd bekleidet), so daß der Rücken bloß wurde, und beugre dasselbe über sinen Tisch. Ein Dienstmädchen nach dem andern trat vor und ertheilte mit der Peitsche dem nackten Rücken der Collegin drei Hiebe. Natürlich hatte die Peitsche in den Händen der jungen Bauermädchen nicht eben eine gewaltige Wucht, doch mochte sie der Deliquentin empfindbar genug sein. Nachdem dieselbe ihre Strafe überstanden hatte, umarmte sie dem Grafen die Knie und sprach die Worte: „Ä»i>?K»^o (ich danke dem Herrn). Ein solcher, in Polen nur noch zu gewöhnlicher Act, ist eine schauerliche, widerliche Spur der aufgehobenen Leibeigenschaft; eine Spur, die einem glauben machen könnte, die Leibeigenschaft bestehe noch. Es ist keiner Frage unterworfen, daß solche Nachbleibsel der Leibeigenschaft das Emporkommen des Bauernstandes aus seiner trau¬ rigen Unmündigkeit sehr hindern. Daher mag man wohl hoffen, daß die Grundherren diese Nachbleibsel um so lieber verschwinden lassen werden, jemehr sie erkennen, daß dieselben ihr Streben, den Bauernstand um des Vaterlandes willen zu veredeln, zu bilden und emporzuheben, beeinträchtigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/23>, abgerufen am 05.02.2025.