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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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pheten, von welchem Christus spricht, daß er in seinem Vaterlands
am wenigsten erkannt werde, oder vielmehr am spätesten zur Gel¬
tung komme.'

Wie mir bei eines Krakauers Nichtkennen Krakaus der Pro¬
phet einfällt, so fällt mir jetzt bei dem vom Vaterlande am spätesten
gekannten Propheten der Schriftsteller ein. Ich möchte wissen, wie
oft es ihm anders gehet, als dem unglücklichen Propheten, dessen
Wort man eher in der Ferne vernimmt, wohin seine Augen und
Ohren nicht einmal reichen, als in seiner nächsten Nähe, auf wel¬
cher seine Sinne liegen und vergebens zu erkennen suchen, daß sein
Wort gehört sei. Der Schriftsteller thät vielleicht wohl, in das Aus- °
land zu gehen, damit er schneller in seinem Vaterlande Anerkennung
fände. Ginge der deutsche Poet nach Frankreich, wie schnell würde
sein Ruhm in Deutschland ertönen; und ließe er seine Werke gleich
vom Manuscript in'ö Französische übersetzt erscheinen, wie würden
schnell Leipzigs hochgeschätzte Verleger, die die deutschen Originale
mit Achselzucken oder dem Stolze der Weltweisen zurückgewiesen hät¬
ten, ergreifen und die französische Uebersetzung in'ö Deutsche, also
ins Original, übersetzen lassen! Ginge also der deutsche Schrift¬
steller nach Frankreich und schriebe da, so würde er schnell in seinem
Deutschland Anerkennung erlangen. Dann dürfte er ja nur zurück¬
kommen und das Kleinod, welches sich in seiner Abwesenheit gebil¬
det, und in seiner Anwesenheit nicht bilden mochte, einnehmen und
seinen vielen Doppelübersetzungsverlegern die Hand sarkastisch drücken
für den Kranz, der von seiner hohen Stirne herabprangt. Warum
schlagen denn so wenige diesen klar vorliegenden krummen Trinmpf-
weg ein, und quälen sich auf dem geraden, auf dem es so jämmer¬
lich langsam geht? "Nach Frankreich hin, von Frankreich her zu
siegen!" sollten die jungen deutschen Poeten singen.

Der Papa meiner Reisegefährten, der seit einem Generations-
verlauf nicht aus Krakau gekommen war, wußte also nichts von
Krakau zu erzählen, oder mochte es vielleicht nicht aus Widerwillen.
Meine Reisegefährten, Sohn und Tochter des Herren Papa, welche
in Warschau gewesen waren und wahrscheinlich dort ihr Krakau
kennen, oder wenigstens lieben gelernt hatten, wußten mir genug zu
erzählen und erzählten mit Freuden.


Grcnztotm, 1"-i!>, IV. 21

pheten, von welchem Christus spricht, daß er in seinem Vaterlands
am wenigsten erkannt werde, oder vielmehr am spätesten zur Gel¬
tung komme.'

Wie mir bei eines Krakauers Nichtkennen Krakaus der Pro¬
phet einfällt, so fällt mir jetzt bei dem vom Vaterlande am spätesten
gekannten Propheten der Schriftsteller ein. Ich möchte wissen, wie
oft es ihm anders gehet, als dem unglücklichen Propheten, dessen
Wort man eher in der Ferne vernimmt, wohin seine Augen und
Ohren nicht einmal reichen, als in seiner nächsten Nähe, auf wel¬
cher seine Sinne liegen und vergebens zu erkennen suchen, daß sein
Wort gehört sei. Der Schriftsteller thät vielleicht wohl, in das Aus- °
land zu gehen, damit er schneller in seinem Vaterlande Anerkennung
fände. Ginge der deutsche Poet nach Frankreich, wie schnell würde
sein Ruhm in Deutschland ertönen; und ließe er seine Werke gleich
vom Manuscript in'ö Französische übersetzt erscheinen, wie würden
schnell Leipzigs hochgeschätzte Verleger, die die deutschen Originale
mit Achselzucken oder dem Stolze der Weltweisen zurückgewiesen hät¬
ten, ergreifen und die französische Uebersetzung in'ö Deutsche, also
ins Original, übersetzen lassen! Ginge also der deutsche Schrift¬
steller nach Frankreich und schriebe da, so würde er schnell in seinem
Deutschland Anerkennung erlangen. Dann dürfte er ja nur zurück¬
kommen und das Kleinod, welches sich in seiner Abwesenheit gebil¬
det, und in seiner Anwesenheit nicht bilden mochte, einnehmen und
seinen vielen Doppelübersetzungsverlegern die Hand sarkastisch drücken
für den Kranz, der von seiner hohen Stirne herabprangt. Warum
schlagen denn so wenige diesen klar vorliegenden krummen Trinmpf-
weg ein, und quälen sich auf dem geraden, auf dem es so jämmer¬
lich langsam geht? „Nach Frankreich hin, von Frankreich her zu
siegen!" sollten die jungen deutschen Poeten singen.

Der Papa meiner Reisegefährten, der seit einem Generations-
verlauf nicht aus Krakau gekommen war, wußte also nichts von
Krakau zu erzählen, oder mochte es vielleicht nicht aus Widerwillen.
Meine Reisegefährten, Sohn und Tochter des Herren Papa, welche
in Warschau gewesen waren und wahrscheinlich dort ihr Krakau
kennen, oder wenigstens lieben gelernt hatten, wußten mir genug zu
erzählen und erzählten mit Freuden.


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[0169] pheten, von welchem Christus spricht, daß er in seinem Vaterlands am wenigsten erkannt werde, oder vielmehr am spätesten zur Gel¬ tung komme.' Wie mir bei eines Krakauers Nichtkennen Krakaus der Pro¬ phet einfällt, so fällt mir jetzt bei dem vom Vaterlande am spätesten gekannten Propheten der Schriftsteller ein. Ich möchte wissen, wie oft es ihm anders gehet, als dem unglücklichen Propheten, dessen Wort man eher in der Ferne vernimmt, wohin seine Augen und Ohren nicht einmal reichen, als in seiner nächsten Nähe, auf wel¬ cher seine Sinne liegen und vergebens zu erkennen suchen, daß sein Wort gehört sei. Der Schriftsteller thät vielleicht wohl, in das Aus- ° land zu gehen, damit er schneller in seinem Vaterlande Anerkennung fände. Ginge der deutsche Poet nach Frankreich, wie schnell würde sein Ruhm in Deutschland ertönen; und ließe er seine Werke gleich vom Manuscript in'ö Französische übersetzt erscheinen, wie würden schnell Leipzigs hochgeschätzte Verleger, die die deutschen Originale mit Achselzucken oder dem Stolze der Weltweisen zurückgewiesen hät¬ ten, ergreifen und die französische Uebersetzung in'ö Deutsche, also ins Original, übersetzen lassen! Ginge also der deutsche Schrift¬ steller nach Frankreich und schriebe da, so würde er schnell in seinem Deutschland Anerkennung erlangen. Dann dürfte er ja nur zurück¬ kommen und das Kleinod, welches sich in seiner Abwesenheit gebil¬ det, und in seiner Anwesenheit nicht bilden mochte, einnehmen und seinen vielen Doppelübersetzungsverlegern die Hand sarkastisch drücken für den Kranz, der von seiner hohen Stirne herabprangt. Warum schlagen denn so wenige diesen klar vorliegenden krummen Trinmpf- weg ein, und quälen sich auf dem geraden, auf dem es so jämmer¬ lich langsam geht? „Nach Frankreich hin, von Frankreich her zu siegen!" sollten die jungen deutschen Poeten singen. Der Papa meiner Reisegefährten, der seit einem Generations- verlauf nicht aus Krakau gekommen war, wußte also nichts von Krakau zu erzählen, oder mochte es vielleicht nicht aus Widerwillen. Meine Reisegefährten, Sohn und Tochter des Herren Papa, welche in Warschau gewesen waren und wahrscheinlich dort ihr Krakau kennen, oder wenigstens lieben gelernt hatten, wußten mir genug zu erzählen und erzählten mit Freuden. Grcnztotm, 1»-i!>, IV. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/169>, abgerufen am 05.02.2025.