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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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"Was meinst Du, Herr.") wie alt Krakau sei?" frug mein
Reisegefährte, um mit einer Erzählung vom Ursprünge Krakau'S zu
beginnen.

Ich möcht' eS wissen, weil ich eS nicht weiß," antwortete ich.

"Ich weiß es auch nicht," sprach er, "aber es ist jedenfalls
vor Christi Zeit schon gegründet worden; wenigstens stand es schon
im zweiten Jahrhunderte, wie der in eben diesem Jahrhunderte le¬
bende Geograph Claudius Ptolemäus in seinem Werke zeigt. Er
führt an der Weichsel, genau an dem Orte, wo Krakau stehet, eine
Stadt an, welche Carrodonum heißt. Leitet man den Namen wei¬
ter: Carrodonum: Craronum: Craconum: so kommt man auf den
Namen Krakau."

"Steh Herr," äußerte meine Reisegefährtin, "ich habe meinem
Bruder zehn Mal versichert und bewiesen, daß Krakau so alt nicht
sein könne; aber er bleibt immerfort bet seiner Behauptung. Zur
Zeit Christi hat es in unseren Gegenden noch keine Städte gegeben.
Die Menschen hier lebten damals in den Wäldern unter den dichten
Laubdächern der Bäume, in Hütten, die das Gestrüpp bildete, in
Erd- und Felsenhöhlen und anderen ähnlichen natürlichen Wohnge¬
bäuden, die hie und da wohl in Menge bei einander sich befinden,
aber auch bet der größten Menge nimmer eine Stadt bilden konn¬
ten. Krakau tst erst siebenhundert Jahre nach Christus gegründet
worden durch den Herzog von Chrobazien, welcher KrakuS hieß.
Nach ihm hat die Stadt den Namen erhalten. Die Stadt ist vom
Herzog Krakus zur Residenz gemacht worden. Von dem Schloss^
das er sich hier auf dem Berge Wawel erbaut hatte, herrschte er
mit seiner Gemahlin Libussa herab über das Land Chrobazien. Die¬
ses Chrobazien hat hier gelegen von den Karpathen bis an den jen¬
seitigen (nördlichen) Fuß der krakauer Gebirge (im Königreich Po¬
len), und von dem Brinicoflusse bis an den Savstrom. So hat
es die Volkssage aufbewahrt und die Geschichte als wahr aufge¬
nommen , und diese Wahrheit in Zweifel zu stellen, haben wir keinen
hinreichenden Grund."

"Die Geschichte hat dies aufgenommen als Sage, als nichts
anderes," entgegnete unmuthig der Bruder der Rednerin.



*) Ich muß bemerken, das? polnisch gesprochen wurde.

„Was meinst Du, Herr.») wie alt Krakau sei?" frug mein
Reisegefährte, um mit einer Erzählung vom Ursprünge Krakau'S zu
beginnen.

Ich möcht' eS wissen, weil ich eS nicht weiß," antwortete ich.

„Ich weiß es auch nicht," sprach er, „aber es ist jedenfalls
vor Christi Zeit schon gegründet worden; wenigstens stand es schon
im zweiten Jahrhunderte, wie der in eben diesem Jahrhunderte le¬
bende Geograph Claudius Ptolemäus in seinem Werke zeigt. Er
führt an der Weichsel, genau an dem Orte, wo Krakau stehet, eine
Stadt an, welche Carrodonum heißt. Leitet man den Namen wei¬
ter: Carrodonum: Craronum: Craconum: so kommt man auf den
Namen Krakau."

„Steh Herr," äußerte meine Reisegefährtin, „ich habe meinem
Bruder zehn Mal versichert und bewiesen, daß Krakau so alt nicht
sein könne; aber er bleibt immerfort bet seiner Behauptung. Zur
Zeit Christi hat es in unseren Gegenden noch keine Städte gegeben.
Die Menschen hier lebten damals in den Wäldern unter den dichten
Laubdächern der Bäume, in Hütten, die das Gestrüpp bildete, in
Erd- und Felsenhöhlen und anderen ähnlichen natürlichen Wohnge¬
bäuden, die hie und da wohl in Menge bei einander sich befinden,
aber auch bet der größten Menge nimmer eine Stadt bilden konn¬
ten. Krakau tst erst siebenhundert Jahre nach Christus gegründet
worden durch den Herzog von Chrobazien, welcher KrakuS hieß.
Nach ihm hat die Stadt den Namen erhalten. Die Stadt ist vom
Herzog Krakus zur Residenz gemacht worden. Von dem Schloss^
das er sich hier auf dem Berge Wawel erbaut hatte, herrschte er
mit seiner Gemahlin Libussa herab über das Land Chrobazien. Die¬
ses Chrobazien hat hier gelegen von den Karpathen bis an den jen¬
seitigen (nördlichen) Fuß der krakauer Gebirge (im Königreich Po¬
len), und von dem Brinicoflusse bis an den Savstrom. So hat
es die Volkssage aufbewahrt und die Geschichte als wahr aufge¬
nommen , und diese Wahrheit in Zweifel zu stellen, haben wir keinen
hinreichenden Grund."

„Die Geschichte hat dies aufgenommen als Sage, als nichts
anderes," entgegnete unmuthig der Bruder der Rednerin.



*) Ich muß bemerken, das? polnisch gesprochen wurde.
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[0170] „Was meinst Du, Herr.») wie alt Krakau sei?" frug mein Reisegefährte, um mit einer Erzählung vom Ursprünge Krakau'S zu beginnen. Ich möcht' eS wissen, weil ich eS nicht weiß," antwortete ich. „Ich weiß es auch nicht," sprach er, „aber es ist jedenfalls vor Christi Zeit schon gegründet worden; wenigstens stand es schon im zweiten Jahrhunderte, wie der in eben diesem Jahrhunderte le¬ bende Geograph Claudius Ptolemäus in seinem Werke zeigt. Er führt an der Weichsel, genau an dem Orte, wo Krakau stehet, eine Stadt an, welche Carrodonum heißt. Leitet man den Namen wei¬ ter: Carrodonum: Craronum: Craconum: so kommt man auf den Namen Krakau." „Steh Herr," äußerte meine Reisegefährtin, „ich habe meinem Bruder zehn Mal versichert und bewiesen, daß Krakau so alt nicht sein könne; aber er bleibt immerfort bet seiner Behauptung. Zur Zeit Christi hat es in unseren Gegenden noch keine Städte gegeben. Die Menschen hier lebten damals in den Wäldern unter den dichten Laubdächern der Bäume, in Hütten, die das Gestrüpp bildete, in Erd- und Felsenhöhlen und anderen ähnlichen natürlichen Wohnge¬ bäuden, die hie und da wohl in Menge bei einander sich befinden, aber auch bet der größten Menge nimmer eine Stadt bilden konn¬ ten. Krakau tst erst siebenhundert Jahre nach Christus gegründet worden durch den Herzog von Chrobazien, welcher KrakuS hieß. Nach ihm hat die Stadt den Namen erhalten. Die Stadt ist vom Herzog Krakus zur Residenz gemacht worden. Von dem Schloss^ das er sich hier auf dem Berge Wawel erbaut hatte, herrschte er mit seiner Gemahlin Libussa herab über das Land Chrobazien. Die¬ ses Chrobazien hat hier gelegen von den Karpathen bis an den jen¬ seitigen (nördlichen) Fuß der krakauer Gebirge (im Königreich Po¬ len), und von dem Brinicoflusse bis an den Savstrom. So hat es die Volkssage aufbewahrt und die Geschichte als wahr aufge¬ nommen , und diese Wahrheit in Zweifel zu stellen, haben wir keinen hinreichenden Grund." „Die Geschichte hat dies aufgenommen als Sage, als nichts anderes," entgegnete unmuthig der Bruder der Rednerin. *) Ich muß bemerken, das? polnisch gesprochen wurde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/170>, abgerufen am 05.02.2025.