Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sind die Straßen gerade und symmetrisch, nach einem gut entwor¬
fenen Plane angelegt.

In der Urzeit ist Krakau eine häßliche, ungeregelte, hölzerne
Stadt gewesen. Erst von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
an ist sie zu einer schönen geworden. Die Tatarenkriege, welche
jener Zeit in Polen wütheten, hatten die Stadt bis auf weniges
was auf der Nordseite stehen blieb, vernichtet. Sie mußte von
Neuem aufgebaut werden, und dies geschah nun nach Planen. Der
König Boleslaus von Polen soll selbst den Stadtbau vorgezeichnet
haben. Statt der früheren hölzernen Häuser entstanden nun stei¬
nerne, und von denen wurde, ein großer Theil des PalasttitelS würdig.

In der Grodzker-Straße fanden meine Gefährten das Ende
ihrer Reise; gewissermaßen ich auch das der meinigen, denn ich war
von meinen Gefährten gebeten worden, in das Haus ihrer Aeltern
abzutreten und die kurze Zeit meines Aufenthalts zu Krakau Gast
in demselben zu sein.

Auf Reisen verwickele ich mich nie gern in Familien, weil man
dadurch meist etwas verliert, was Einem die Reise bietet, allein hier
mußte ich es, denn dem polnischen Gefühle ist das Abschlagen einer
Einladung etwas sehr Feindseliges, ungemein Bitteres. Uebrigens
verlor ich diesmal durch diesen Eintritt in eine Familie nicht gerade
viel, oder wenigstens hat sich mir das, was ich verloren haben
könnte, zum großen Theil ersetzt.

Während dem Mittagsmahl frug ich den Vater meiner Reise¬
gefährten -- derselbe ist ein polnischer Evelmann, der von dem Er¬
trag seines Antheils an einem Steinsalzbruche lebt -- waS Merk¬
würdiges die Volkssage von Krakau berichtet, lind erhielt zur Ant¬
wort: "Herr, Dein Glas ist ja immer noch nicht leer -- was Kra¬
kau, was soll die Sage davon berichten, ich weiß wenigstens nichts
-- die Geschichte unserer Könige ist mir lieber, aber die hat nur
mit Polen zu thun."

Ist es doch überall so, daß das, was dem Menschen daS
Nächste, gerade das Unbekannteste, Ungeschätzteste ist. In Warschau
wird Krakau, dieser uralte Sitz der Könige Polens, geheiliget; in
Krakau gilt dieses Krakau nichts, und dafür wird Warschau ge¬
priesen.

Es ist dies ein ähnliches Verhältniß, wie das mit dem Pro-


sind die Straßen gerade und symmetrisch, nach einem gut entwor¬
fenen Plane angelegt.

In der Urzeit ist Krakau eine häßliche, ungeregelte, hölzerne
Stadt gewesen. Erst von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
an ist sie zu einer schönen geworden. Die Tatarenkriege, welche
jener Zeit in Polen wütheten, hatten die Stadt bis auf weniges
was auf der Nordseite stehen blieb, vernichtet. Sie mußte von
Neuem aufgebaut werden, und dies geschah nun nach Planen. Der
König Boleslaus von Polen soll selbst den Stadtbau vorgezeichnet
haben. Statt der früheren hölzernen Häuser entstanden nun stei¬
nerne, und von denen wurde, ein großer Theil des PalasttitelS würdig.

In der Grodzker-Straße fanden meine Gefährten das Ende
ihrer Reise; gewissermaßen ich auch das der meinigen, denn ich war
von meinen Gefährten gebeten worden, in das Haus ihrer Aeltern
abzutreten und die kurze Zeit meines Aufenthalts zu Krakau Gast
in demselben zu sein.

Auf Reisen verwickele ich mich nie gern in Familien, weil man
dadurch meist etwas verliert, was Einem die Reise bietet, allein hier
mußte ich es, denn dem polnischen Gefühle ist das Abschlagen einer
Einladung etwas sehr Feindseliges, ungemein Bitteres. Uebrigens
verlor ich diesmal durch diesen Eintritt in eine Familie nicht gerade
viel, oder wenigstens hat sich mir das, was ich verloren haben
könnte, zum großen Theil ersetzt.

Während dem Mittagsmahl frug ich den Vater meiner Reise¬
gefährten — derselbe ist ein polnischer Evelmann, der von dem Er¬
trag seines Antheils an einem Steinsalzbruche lebt — waS Merk¬
würdiges die Volkssage von Krakau berichtet, lind erhielt zur Ant¬
wort: „Herr, Dein Glas ist ja immer noch nicht leer — was Kra¬
kau, was soll die Sage davon berichten, ich weiß wenigstens nichts
— die Geschichte unserer Könige ist mir lieber, aber die hat nur
mit Polen zu thun."

Ist es doch überall so, daß das, was dem Menschen daS
Nächste, gerade das Unbekannteste, Ungeschätzteste ist. In Warschau
wird Krakau, dieser uralte Sitz der Könige Polens, geheiliget; in
Krakau gilt dieses Krakau nichts, und dafür wird Warschau ge¬
priesen.

Es ist dies ein ähnliches Verhältniß, wie das mit dem Pro-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271429"/>
            <p xml:id="ID_413" prev="#ID_412"> sind die Straßen gerade und symmetrisch, nach einem gut entwor¬<lb/>
fenen Plane angelegt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_414"> In der Urzeit ist Krakau eine häßliche, ungeregelte, hölzerne<lb/>
Stadt gewesen. Erst von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts<lb/>
an ist sie zu einer schönen geworden. Die Tatarenkriege, welche<lb/>
jener Zeit in Polen wütheten, hatten die Stadt bis auf weniges<lb/>
was auf der Nordseite stehen blieb, vernichtet. Sie mußte von<lb/>
Neuem aufgebaut werden, und dies geschah nun nach Planen. Der<lb/>
König Boleslaus von Polen soll selbst den Stadtbau vorgezeichnet<lb/>
haben. Statt der früheren hölzernen Häuser entstanden nun stei¬<lb/>
nerne, und von denen wurde, ein großer Theil des PalasttitelS würdig.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_415"> In der Grodzker-Straße fanden meine Gefährten das Ende<lb/>
ihrer Reise; gewissermaßen ich auch das der meinigen, denn ich war<lb/>
von meinen Gefährten gebeten worden, in das Haus ihrer Aeltern<lb/>
abzutreten und die kurze Zeit meines Aufenthalts zu Krakau Gast<lb/>
in demselben zu sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_416"> Auf Reisen verwickele ich mich nie gern in Familien, weil man<lb/>
dadurch meist etwas verliert, was Einem die Reise bietet, allein hier<lb/>
mußte ich es, denn dem polnischen Gefühle ist das Abschlagen einer<lb/>
Einladung etwas sehr Feindseliges, ungemein Bitteres. Uebrigens<lb/>
verlor ich diesmal durch diesen Eintritt in eine Familie nicht gerade<lb/>
viel, oder wenigstens hat sich mir das, was ich verloren haben<lb/>
könnte, zum großen Theil ersetzt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_417"> Während dem Mittagsmahl frug ich den Vater meiner Reise¬<lb/>
gefährten &#x2014; derselbe ist ein polnischer Evelmann, der von dem Er¬<lb/>
trag seines Antheils an einem Steinsalzbruche lebt &#x2014; waS Merk¬<lb/>
würdiges die Volkssage von Krakau berichtet, lind erhielt zur Ant¬<lb/>
wort: &#x201E;Herr, Dein Glas ist ja immer noch nicht leer &#x2014; was Kra¬<lb/>
kau, was soll die Sage davon berichten, ich weiß wenigstens nichts<lb/>
&#x2014; die Geschichte unserer Könige ist mir lieber, aber die hat nur<lb/>
mit Polen zu thun."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_418"> Ist es doch überall so, daß das, was dem Menschen daS<lb/>
Nächste, gerade das Unbekannteste, Ungeschätzteste ist. In Warschau<lb/>
wird Krakau, dieser uralte Sitz der Könige Polens, geheiliget; in<lb/>
Krakau gilt dieses Krakau nichts, und dafür wird Warschau ge¬<lb/>
priesen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_419" next="#ID_420"> Es ist dies ein ähnliches Verhältniß, wie das mit dem Pro-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0168] sind die Straßen gerade und symmetrisch, nach einem gut entwor¬ fenen Plane angelegt. In der Urzeit ist Krakau eine häßliche, ungeregelte, hölzerne Stadt gewesen. Erst von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts an ist sie zu einer schönen geworden. Die Tatarenkriege, welche jener Zeit in Polen wütheten, hatten die Stadt bis auf weniges was auf der Nordseite stehen blieb, vernichtet. Sie mußte von Neuem aufgebaut werden, und dies geschah nun nach Planen. Der König Boleslaus von Polen soll selbst den Stadtbau vorgezeichnet haben. Statt der früheren hölzernen Häuser entstanden nun stei¬ nerne, und von denen wurde, ein großer Theil des PalasttitelS würdig. In der Grodzker-Straße fanden meine Gefährten das Ende ihrer Reise; gewissermaßen ich auch das der meinigen, denn ich war von meinen Gefährten gebeten worden, in das Haus ihrer Aeltern abzutreten und die kurze Zeit meines Aufenthalts zu Krakau Gast in demselben zu sein. Auf Reisen verwickele ich mich nie gern in Familien, weil man dadurch meist etwas verliert, was Einem die Reise bietet, allein hier mußte ich es, denn dem polnischen Gefühle ist das Abschlagen einer Einladung etwas sehr Feindseliges, ungemein Bitteres. Uebrigens verlor ich diesmal durch diesen Eintritt in eine Familie nicht gerade viel, oder wenigstens hat sich mir das, was ich verloren haben könnte, zum großen Theil ersetzt. Während dem Mittagsmahl frug ich den Vater meiner Reise¬ gefährten — derselbe ist ein polnischer Evelmann, der von dem Er¬ trag seines Antheils an einem Steinsalzbruche lebt — waS Merk¬ würdiges die Volkssage von Krakau berichtet, lind erhielt zur Ant¬ wort: „Herr, Dein Glas ist ja immer noch nicht leer — was Kra¬ kau, was soll die Sage davon berichten, ich weiß wenigstens nichts — die Geschichte unserer Könige ist mir lieber, aber die hat nur mit Polen zu thun." Ist es doch überall so, daß das, was dem Menschen daS Nächste, gerade das Unbekannteste, Ungeschätzteste ist. In Warschau wird Krakau, dieser uralte Sitz der Könige Polens, geheiliget; in Krakau gilt dieses Krakau nichts, und dafür wird Warschau ge¬ priesen. Es ist dies ein ähnliches Verhältniß, wie das mit dem Pro-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/168
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/168>, abgerufen am 05.02.2025.