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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Schönheit desselben sich zu mindern. Die Gebäude verloren sich,
eines sich hinter dem and.rü verbergend, mehr und mehr, und unse-
rem Auge blieb fast nur die gewaltige Masse der schwarzen Schin¬
deldächer.

Die Schindeldächer sind dem Fremden, welcher Krakau besucht,
etwas ungemein Auffallendes. Auch die prächtigsten Paläste tragen
solche. Unter denen sind nur einige, welche mit Metall bedacht sind.
Der Ueberfluß an Waldungen in der Umgegend von Krakau, wel¬
cher das Holz kaum glaubhaft billig macht, mag die Ursache dieser
garstigen und feuergefährlichen Dächer sein, die sich am Ende ver-
lieren werden, wenn die Waldungen lichter und die Holzpreise be¬
deutender werden, was schon jetzt in sehr merkbaren Beginnen stehet.

"Ich habe mich gewaltig getäuscht; Krakau erschien mir so
schön!" äußerte ich, als wir eben Krakau so nahe und in solcher
Stellung vor uns hatten, daß kaum mehr davon zu sehen war, als
die häßlichen schwarzen, hier und da von Moos bewachsenen Dächer.

"Und Sie haben sich gewiß nicht getäuscht; Schönheiten lassen
sich nicht von fern sehen," entgegnete meine fröhliche Reisegefährtin.

Ihre Entgegnung enthielt nicht allein für'ö Allgemeine, sondern
auch für diesen besonderen Fall ihre Wahrheit. Krakau ist schön,
befindet man sich in ihm. Herrliche Paläste zum Theil, denen das
hohe Alter ein Putz ist, bieten sich sehr zahlreich dem Auge dar,
namentlich in der Grodzker-Straße, die man für die Prachtstraße
der Stadt zu halten hat.

Es liegt etwas so tief Ehrwürdiges in dem Ansehen der Stadt
Krakau, daß Einen bei nicht gedankenlosem, leichtsinnigem Anschauen
tausend erbauende und durchschauernde Gefühle überkommen. Aller
Schritte begegnet man einer herrlichen Kirche, der man es ansieht,
daß sie vor vielen Jahrhunderten jung war.

Die Straßen Krakau'S sind an sich nicht schön. Nicht einen.-it
Reinlichkeit gehört zu ihren Tugenden, und in manchen in dem
Stadttheile, welchen die Juden bewohnen, wird die Unreinlichkeit zu
einem lebensgefährlichen Laster, indem sie den Wanderer im Kothe
zu versenken und mit Ekel zu ersticken drohet. Die einzelnen Stra¬
ßen verändern häufig ihre Breite, und man bemerkt hier und da
Vor- oder Rücksprünge von einzelnen und mehren Häusern. Doch


Schönheit desselben sich zu mindern. Die Gebäude verloren sich,
eines sich hinter dem and.rü verbergend, mehr und mehr, und unse-
rem Auge blieb fast nur die gewaltige Masse der schwarzen Schin¬
deldächer.

Die Schindeldächer sind dem Fremden, welcher Krakau besucht,
etwas ungemein Auffallendes. Auch die prächtigsten Paläste tragen
solche. Unter denen sind nur einige, welche mit Metall bedacht sind.
Der Ueberfluß an Waldungen in der Umgegend von Krakau, wel¬
cher das Holz kaum glaubhaft billig macht, mag die Ursache dieser
garstigen und feuergefährlichen Dächer sein, die sich am Ende ver-
lieren werden, wenn die Waldungen lichter und die Holzpreise be¬
deutender werden, was schon jetzt in sehr merkbaren Beginnen stehet.

„Ich habe mich gewaltig getäuscht; Krakau erschien mir so
schön!" äußerte ich, als wir eben Krakau so nahe und in solcher
Stellung vor uns hatten, daß kaum mehr davon zu sehen war, als
die häßlichen schwarzen, hier und da von Moos bewachsenen Dächer.

„Und Sie haben sich gewiß nicht getäuscht; Schönheiten lassen
sich nicht von fern sehen," entgegnete meine fröhliche Reisegefährtin.

Ihre Entgegnung enthielt nicht allein für'ö Allgemeine, sondern
auch für diesen besonderen Fall ihre Wahrheit. Krakau ist schön,
befindet man sich in ihm. Herrliche Paläste zum Theil, denen das
hohe Alter ein Putz ist, bieten sich sehr zahlreich dem Auge dar,
namentlich in der Grodzker-Straße, die man für die Prachtstraße
der Stadt zu halten hat.

Es liegt etwas so tief Ehrwürdiges in dem Ansehen der Stadt
Krakau, daß Einen bei nicht gedankenlosem, leichtsinnigem Anschauen
tausend erbauende und durchschauernde Gefühle überkommen. Aller
Schritte begegnet man einer herrlichen Kirche, der man es ansieht,
daß sie vor vielen Jahrhunderten jung war.

Die Straßen Krakau'S sind an sich nicht schön. Nicht einen.-it
Reinlichkeit gehört zu ihren Tugenden, und in manchen in dem
Stadttheile, welchen die Juden bewohnen, wird die Unreinlichkeit zu
einem lebensgefährlichen Laster, indem sie den Wanderer im Kothe
zu versenken und mit Ekel zu ersticken drohet. Die einzelnen Stra¬
ßen verändern häufig ihre Breite, und man bemerkt hier und da
Vor- oder Rücksprünge von einzelnen und mehren Häusern. Doch


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[0167] Schönheit desselben sich zu mindern. Die Gebäude verloren sich, eines sich hinter dem and.rü verbergend, mehr und mehr, und unse- rem Auge blieb fast nur die gewaltige Masse der schwarzen Schin¬ deldächer. Die Schindeldächer sind dem Fremden, welcher Krakau besucht, etwas ungemein Auffallendes. Auch die prächtigsten Paläste tragen solche. Unter denen sind nur einige, welche mit Metall bedacht sind. Der Ueberfluß an Waldungen in der Umgegend von Krakau, wel¬ cher das Holz kaum glaubhaft billig macht, mag die Ursache dieser garstigen und feuergefährlichen Dächer sein, die sich am Ende ver- lieren werden, wenn die Waldungen lichter und die Holzpreise be¬ deutender werden, was schon jetzt in sehr merkbaren Beginnen stehet. „Ich habe mich gewaltig getäuscht; Krakau erschien mir so schön!" äußerte ich, als wir eben Krakau so nahe und in solcher Stellung vor uns hatten, daß kaum mehr davon zu sehen war, als die häßlichen schwarzen, hier und da von Moos bewachsenen Dächer. „Und Sie haben sich gewiß nicht getäuscht; Schönheiten lassen sich nicht von fern sehen," entgegnete meine fröhliche Reisegefährtin. Ihre Entgegnung enthielt nicht allein für'ö Allgemeine, sondern auch für diesen besonderen Fall ihre Wahrheit. Krakau ist schön, befindet man sich in ihm. Herrliche Paläste zum Theil, denen das hohe Alter ein Putz ist, bieten sich sehr zahlreich dem Auge dar, namentlich in der Grodzker-Straße, die man für die Prachtstraße der Stadt zu halten hat. Es liegt etwas so tief Ehrwürdiges in dem Ansehen der Stadt Krakau, daß Einen bei nicht gedankenlosem, leichtsinnigem Anschauen tausend erbauende und durchschauernde Gefühle überkommen. Aller Schritte begegnet man einer herrlichen Kirche, der man es ansieht, daß sie vor vielen Jahrhunderten jung war. Die Straßen Krakau'S sind an sich nicht schön. Nicht einen.-it Reinlichkeit gehört zu ihren Tugenden, und in manchen in dem Stadttheile, welchen die Juden bewohnen, wird die Unreinlichkeit zu einem lebensgefährlichen Laster, indem sie den Wanderer im Kothe zu versenken und mit Ekel zu ersticken drohet. Die einzelnen Stra¬ ßen verändern häufig ihre Breite, und man bemerkt hier und da Vor- oder Rücksprünge von einzelnen und mehren Häusern. Doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/167>, abgerufen am 05.02.2025.