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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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eingeschrieben ist, und jedem Gaste bis in die kleinsten Einzelnheiten
mit schmerzlich freudigem Stolze erzählt wird.

Die Grundherrschast des Grafen Lewowski liegt ungefähr sie¬
ben Meilen westlich von Wlodowa von einem ziemlich umfangrei
chön See, in den sich eine große Menge kleiner aus den Brüchen
kommender Bäche ergießt. DaS Dorf, in welchem der Graf wohnt,
liegt mitten er einer ebenen Feld- und Wiesenfläche, die rings von
Wald umgeben ist, und zeichnet sich unter den Dörfern des König¬
reichs nicht eben aus.

Als ich hineinfuhr, sah ich mitten in dem rechts vom Wege
gelegenen Teiche zwei junge Frauenzimmer mit Schwimmkünsten sich
beschäftigen. Sie suchten schwimmend einen Kahn zu erreichen, den
eine Bäuerin fortruderte; doch war ihre Mühe fruchtlos, und die
Bäuerin mußte auf Befehl anhalten, und die beiden schlanken, von
den Knien bis unter den Busen im eng an die Körpergestalt sich
anlegenden Badegewand bedeckten Schwimmerinnen in ihren Kahn
aufnehmen. In dergleichen Schauspielen hatte ich schon zu oft die
Amazonennatur der Polinnen kennen gelernt, als daß dieses mir
hätte von großem Interesse sein können, zumal ich nicht wußte, daß die
beiden Schwimmerinnen die beiden jüngsten Töchter des Grafen seien.

Bald, nachdem ich in den Palast des Grafen, der nichts an¬
deres als ein garstiges unansehnliches Erdgeschoßgebäude mit Schin¬
deldach war, von mir Palast aber darum genannt wird, weil so in
Polen alle Wohngebäude des Adels, gleichviel von welcher Art sie
sind, genannt werden, getreten war, erschienen auch die beiden
Schwimmerinnen, die eine ein ungefähr vierzehnjähriges, aber kör¬
perlich fast vollkommenes, die andere ein neunzehn- bis zwanzigjäh¬
riges Mädchen. Ich würde damals nicht gezögert haben, den beiden
Fräuleins das Prädicat "wundervoll schön", oder "überirdisch", oder
"engel-schön" beizulegen, doch dürfte ich auf Grund meiner Täu¬
schung ein Unrecht begangen haben. In dem allerdings sehr ange¬
nehmen Gesicht der polnischen Frau findet das deutsche Auge einen
berauschenden Reiz. Dieser Reiz aber liegt nicht in der Schönheit,
sondern darin, daß der Bau der Phisiognomie der polnischen Frau
ein anderer ist, als der der deutschen. Dieses Andersalsdeutsch, das
dem deutschen Auge etwas Neues ist, erhebt täuschend die wirklich
vorhandene Hübschheit zur wundervollen, hinreißenden Schönheit.


eingeschrieben ist, und jedem Gaste bis in die kleinsten Einzelnheiten
mit schmerzlich freudigem Stolze erzählt wird.

Die Grundherrschast des Grafen Lewowski liegt ungefähr sie¬
ben Meilen westlich von Wlodowa von einem ziemlich umfangrei
chön See, in den sich eine große Menge kleiner aus den Brüchen
kommender Bäche ergießt. DaS Dorf, in welchem der Graf wohnt,
liegt mitten er einer ebenen Feld- und Wiesenfläche, die rings von
Wald umgeben ist, und zeichnet sich unter den Dörfern des König¬
reichs nicht eben aus.

Als ich hineinfuhr, sah ich mitten in dem rechts vom Wege
gelegenen Teiche zwei junge Frauenzimmer mit Schwimmkünsten sich
beschäftigen. Sie suchten schwimmend einen Kahn zu erreichen, den
eine Bäuerin fortruderte; doch war ihre Mühe fruchtlos, und die
Bäuerin mußte auf Befehl anhalten, und die beiden schlanken, von
den Knien bis unter den Busen im eng an die Körpergestalt sich
anlegenden Badegewand bedeckten Schwimmerinnen in ihren Kahn
aufnehmen. In dergleichen Schauspielen hatte ich schon zu oft die
Amazonennatur der Polinnen kennen gelernt, als daß dieses mir
hätte von großem Interesse sein können, zumal ich nicht wußte, daß die
beiden Schwimmerinnen die beiden jüngsten Töchter des Grafen seien.

Bald, nachdem ich in den Palast des Grafen, der nichts an¬
deres als ein garstiges unansehnliches Erdgeschoßgebäude mit Schin¬
deldach war, von mir Palast aber darum genannt wird, weil so in
Polen alle Wohngebäude des Adels, gleichviel von welcher Art sie
sind, genannt werden, getreten war, erschienen auch die beiden
Schwimmerinnen, die eine ein ungefähr vierzehnjähriges, aber kör¬
perlich fast vollkommenes, die andere ein neunzehn- bis zwanzigjäh¬
riges Mädchen. Ich würde damals nicht gezögert haben, den beiden
Fräuleins das Prädicat „wundervoll schön", oder „überirdisch", oder
„engel-schön" beizulegen, doch dürfte ich auf Grund meiner Täu¬
schung ein Unrecht begangen haben. In dem allerdings sehr ange¬
nehmen Gesicht der polnischen Frau findet das deutsche Auge einen
berauschenden Reiz. Dieser Reiz aber liegt nicht in der Schönheit,
sondern darin, daß der Bau der Phisiognomie der polnischen Frau
ein anderer ist, als der der deutschen. Dieses Andersalsdeutsch, das
dem deutschen Auge etwas Neues ist, erhebt täuschend die wirklich
vorhandene Hübschheit zur wundervollen, hinreißenden Schönheit.


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[0016] eingeschrieben ist, und jedem Gaste bis in die kleinsten Einzelnheiten mit schmerzlich freudigem Stolze erzählt wird. Die Grundherrschast des Grafen Lewowski liegt ungefähr sie¬ ben Meilen westlich von Wlodowa von einem ziemlich umfangrei chön See, in den sich eine große Menge kleiner aus den Brüchen kommender Bäche ergießt. DaS Dorf, in welchem der Graf wohnt, liegt mitten er einer ebenen Feld- und Wiesenfläche, die rings von Wald umgeben ist, und zeichnet sich unter den Dörfern des König¬ reichs nicht eben aus. Als ich hineinfuhr, sah ich mitten in dem rechts vom Wege gelegenen Teiche zwei junge Frauenzimmer mit Schwimmkünsten sich beschäftigen. Sie suchten schwimmend einen Kahn zu erreichen, den eine Bäuerin fortruderte; doch war ihre Mühe fruchtlos, und die Bäuerin mußte auf Befehl anhalten, und die beiden schlanken, von den Knien bis unter den Busen im eng an die Körpergestalt sich anlegenden Badegewand bedeckten Schwimmerinnen in ihren Kahn aufnehmen. In dergleichen Schauspielen hatte ich schon zu oft die Amazonennatur der Polinnen kennen gelernt, als daß dieses mir hätte von großem Interesse sein können, zumal ich nicht wußte, daß die beiden Schwimmerinnen die beiden jüngsten Töchter des Grafen seien. Bald, nachdem ich in den Palast des Grafen, der nichts an¬ deres als ein garstiges unansehnliches Erdgeschoßgebäude mit Schin¬ deldach war, von mir Palast aber darum genannt wird, weil so in Polen alle Wohngebäude des Adels, gleichviel von welcher Art sie sind, genannt werden, getreten war, erschienen auch die beiden Schwimmerinnen, die eine ein ungefähr vierzehnjähriges, aber kör¬ perlich fast vollkommenes, die andere ein neunzehn- bis zwanzigjäh¬ riges Mädchen. Ich würde damals nicht gezögert haben, den beiden Fräuleins das Prädicat „wundervoll schön", oder „überirdisch", oder „engel-schön" beizulegen, doch dürfte ich auf Grund meiner Täu¬ schung ein Unrecht begangen haben. In dem allerdings sehr ange¬ nehmen Gesicht der polnischen Frau findet das deutsche Auge einen berauschenden Reiz. Dieser Reiz aber liegt nicht in der Schönheit, sondern darin, daß der Bau der Phisiognomie der polnischen Frau ein anderer ist, als der der deutschen. Dieses Andersalsdeutsch, das dem deutschen Auge etwas Neues ist, erhebt täuschend die wirklich vorhandene Hübschheit zur wundervollen, hinreißenden Schönheit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/16>, abgerufen am 05.02.2025.