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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Melodie ist bei der italienischen Manier vor Allem nöthig, aber
die Melodie verdankt ihren Ursprung meist der Phantasie und wie
Viele behaupten, verdankt Meyerbeer sein Genie mindestens zu eben
so großem Theil der Arbeit und der Wissenschaft, als glücklichen
Naturanlagen.

Angesichts dieses großen Schmerzes und dieser großen Einsam¬
keit, von welcher ich schon oben sprach, versenkte sich die Seele des
Componisten ganz in sich selbst, es ging in seinem Innern ein eigen¬
thümlicher Prozeß vor sich, in welchem sich beide erwähnte Manieren
vermischten. Der Grundgedanke blieb deutsch, die Phantasie nahm
eine düstere und großartige Begeisterung an; die Kirchenmusik er¬
schien wieder wie eine Erinnerung aus der Kindheit, verschönt durch
alle Träumereien der Jugend, und allen Kummer und alle Leiden¬
schaften des reiferen Alters. Ein Stabat, ein Miserere, ein Tedeum,
zwölf Psalmen mit doppeltem Chor, acht Gesänge von Kloppstock wa¬
ren gleichsam die Vorboten eines großen lyrischen Ausbruches. Lange
Zeit trug der Komponist sein großes Gedicht im Kopfe herum; um
das Gewinde dieses furchtbaren Kampfes zwischen dem Guten und
Bösen glücklich zu vollenden, bedürfte es einer schmerzlichen langen
und unbequemen Schwangerschaft; endlich kam der Augenblick der
Niederkunft, Sande schickte sein kleines Textbuch als Wikkelzeug und
Robert der Teufel kam zur Welt.

Was soll ich jetzt von einer Oper sagen, welche in zwei Jah¬
ren die Reise um die Welt gemacht hat? Zum ersten Male zu Pa¬
ris am 21 November 1831 dargestellt, hat Robert der Teufel seit¬
dem eine europäische Popularität erlangt, eine Popularität, welche
um so wunderbarer ist, als daS Werk an sich selbst von der erha¬
bensten Art ist, und sich der Gedanke desselben in jene höhere Regionen
erhebt von welchen man glauben konnte, daß sie dem Haufen nicht
zugänglich seien; und doch ist dem nicht so, es giebt keine Provin-
zialstadt, in welcher man nicht Robert den Teufel hören möchte. Ich
erinnere mich in dieser Beziehung selbst einer sehr merkwürdigen Vor¬
stellung, welche im Jahre 1836 in einem kleinen Seehafen Statt
fand. Das Theater war auf einem Schiffe errichtet worden, das
ungeheure friedliche und wie ein Spiegel glatte Meer, die schöne
Mai-Sonne und ein reiner blauer Himmel ersetzten die gemalte Lein-


Melodie ist bei der italienischen Manier vor Allem nöthig, aber
die Melodie verdankt ihren Ursprung meist der Phantasie und wie
Viele behaupten, verdankt Meyerbeer sein Genie mindestens zu eben
so großem Theil der Arbeit und der Wissenschaft, als glücklichen
Naturanlagen.

Angesichts dieses großen Schmerzes und dieser großen Einsam¬
keit, von welcher ich schon oben sprach, versenkte sich die Seele des
Componisten ganz in sich selbst, es ging in seinem Innern ein eigen¬
thümlicher Prozeß vor sich, in welchem sich beide erwähnte Manieren
vermischten. Der Grundgedanke blieb deutsch, die Phantasie nahm
eine düstere und großartige Begeisterung an; die Kirchenmusik er¬
schien wieder wie eine Erinnerung aus der Kindheit, verschönt durch
alle Träumereien der Jugend, und allen Kummer und alle Leiden¬
schaften des reiferen Alters. Ein Stabat, ein Miserere, ein Tedeum,
zwölf Psalmen mit doppeltem Chor, acht Gesänge von Kloppstock wa¬
ren gleichsam die Vorboten eines großen lyrischen Ausbruches. Lange
Zeit trug der Komponist sein großes Gedicht im Kopfe herum; um
das Gewinde dieses furchtbaren Kampfes zwischen dem Guten und
Bösen glücklich zu vollenden, bedürfte es einer schmerzlichen langen
und unbequemen Schwangerschaft; endlich kam der Augenblick der
Niederkunft, Sande schickte sein kleines Textbuch als Wikkelzeug und
Robert der Teufel kam zur Welt.

Was soll ich jetzt von einer Oper sagen, welche in zwei Jah¬
ren die Reise um die Welt gemacht hat? Zum ersten Male zu Pa¬
ris am 21 November 1831 dargestellt, hat Robert der Teufel seit¬
dem eine europäische Popularität erlangt, eine Popularität, welche
um so wunderbarer ist, als daS Werk an sich selbst von der erha¬
bensten Art ist, und sich der Gedanke desselben in jene höhere Regionen
erhebt von welchen man glauben konnte, daß sie dem Haufen nicht
zugänglich seien; und doch ist dem nicht so, es giebt keine Provin-
zialstadt, in welcher man nicht Robert den Teufel hören möchte. Ich
erinnere mich in dieser Beziehung selbst einer sehr merkwürdigen Vor¬
stellung, welche im Jahre 1836 in einem kleinen Seehafen Statt
fand. Das Theater war auf einem Schiffe errichtet worden, das
ungeheure friedliche und wie ein Spiegel glatte Meer, die schöne
Mai-Sonne und ein reiner blauer Himmel ersetzten die gemalte Lein-


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[0133] Melodie ist bei der italienischen Manier vor Allem nöthig, aber die Melodie verdankt ihren Ursprung meist der Phantasie und wie Viele behaupten, verdankt Meyerbeer sein Genie mindestens zu eben so großem Theil der Arbeit und der Wissenschaft, als glücklichen Naturanlagen. Angesichts dieses großen Schmerzes und dieser großen Einsam¬ keit, von welcher ich schon oben sprach, versenkte sich die Seele des Componisten ganz in sich selbst, es ging in seinem Innern ein eigen¬ thümlicher Prozeß vor sich, in welchem sich beide erwähnte Manieren vermischten. Der Grundgedanke blieb deutsch, die Phantasie nahm eine düstere und großartige Begeisterung an; die Kirchenmusik er¬ schien wieder wie eine Erinnerung aus der Kindheit, verschönt durch alle Träumereien der Jugend, und allen Kummer und alle Leiden¬ schaften des reiferen Alters. Ein Stabat, ein Miserere, ein Tedeum, zwölf Psalmen mit doppeltem Chor, acht Gesänge von Kloppstock wa¬ ren gleichsam die Vorboten eines großen lyrischen Ausbruches. Lange Zeit trug der Komponist sein großes Gedicht im Kopfe herum; um das Gewinde dieses furchtbaren Kampfes zwischen dem Guten und Bösen glücklich zu vollenden, bedürfte es einer schmerzlichen langen und unbequemen Schwangerschaft; endlich kam der Augenblick der Niederkunft, Sande schickte sein kleines Textbuch als Wikkelzeug und Robert der Teufel kam zur Welt. Was soll ich jetzt von einer Oper sagen, welche in zwei Jah¬ ren die Reise um die Welt gemacht hat? Zum ersten Male zu Pa¬ ris am 21 November 1831 dargestellt, hat Robert der Teufel seit¬ dem eine europäische Popularität erlangt, eine Popularität, welche um so wunderbarer ist, als daS Werk an sich selbst von der erha¬ bensten Art ist, und sich der Gedanke desselben in jene höhere Regionen erhebt von welchen man glauben konnte, daß sie dem Haufen nicht zugänglich seien; und doch ist dem nicht so, es giebt keine Provin- zialstadt, in welcher man nicht Robert den Teufel hören möchte. Ich erinnere mich in dieser Beziehung selbst einer sehr merkwürdigen Vor¬ stellung, welche im Jahre 1836 in einem kleinen Seehafen Statt fand. Das Theater war auf einem Schiffe errichtet worden, das ungeheure friedliche und wie ein Spiegel glatte Meer, die schöne Mai-Sonne und ein reiner blauer Himmel ersetzten die gemalte Lein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/133>, abgerufen am 10.02.2025.