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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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aus falsch verstandenen Patriotismus glaubt man jeden Autor auf¬
muntern zu müssen. Man sieht nicht ein, daß jede Literatur erst
durch die Kalklauge der Kritik zum eigentlichen Gedeihen kommt,
daß man Raupen und böse Auswüchse bannen muß, soll der Baum
emporschießen. In Belgien reicht es hin, daß der geistloseste, unwis-
sendste Autor nur einen guten Freund in der Journalistik habe,
und dieser eine Freund versorgt die ganze Zeitungspresse mit Trom¬
petenstößen und Hallelujageschrei. Die Redacteure nehmen Alles,
wenn es nur nichts kostet und leidlich geschrieben ist. Gerade weil
die meisten Redacteure Franzosen sind, sagt ihnen ihr Jnstinct, daß
sie, um als belgische Patrioten sich zu zeigen, der belgischen Literatur
ein freundliches, aufmunterndes Gesicht zeigen müssen. Und so wird
der Lobhudelunfug in den von den Franzosen redigirten Journalen
am ärgsten getrieben. Die Folgen sind, daß das Unkraut am höch¬
sten und unverschämtesten aufschießt, während der verdienstvolle
Schriftsteller auf fein Bewußtsein gestützt und zu stolz, um Charla-
tanerie zu treiben, im Hintergrunde wartet, bis die Reihe an ihn
kommt; aber sie kommt selten und er wird unwillig und wirft die
Feder wieder weg. Das Allerschlimmste aber ist, daß das Publikum
selbst diese Lobhudclassekuranz nicht mehr mag und die meisten soge¬
nannten kritischen Feuilletons ungelesen übergebet, so daß diese aus
übertriebener Dienstfertigkeit eigentlich gar keinen Dienst erweisen. --

Am besten bestellt ist in Belgien jene positive Literatur, die auf
gegebenen Thatsachen, auf Zahlen und praktischen Beobachtungen
beruht, besonders in Dingen, welche das Land selbst berühren. Die
Akademie der Wissenschaften (^c-uZt-mi" rü^-ils 6es scisoces et Iielles
Iettre8 <Zs Ki-uxizUe") ergänzt hier theilweise die Lücken des buch¬
händlerischen Verkehrs durch ihre öffentlichen Sitzungen, Bulletins,
durch Preisaufgaben und sonstige Ermunterungen Unter den



Die Brüsseler Akademie der Wissenschaften wurde von Maria Theresia
begründet. Die Einrichtung derselben ist ganz nach französischem Muster.
Alle Monate findet eine öffentliche Sitzung Statt, deren Bulletins publicirt
werden. Sie zerfällt, wie schon ihr Titel sagt, in zwei Abtheilungen, wovon
die eine den positiven Wissenschafren die andere der Geschichte und der schönen
Literatur gewidmet ist. Diese letztere Hälfte kann vermöge der ultramontanen
Geistesrichtung, welche in der Akademie überwiegend vertreten ist, nicht
zum Aufschwung kommen. Die Abtheilung der "soivnevs" zeigt dagegen
eine um so tüchtigere Regsamkeit. -- Die Regierung dotirt diesen wissenschaft¬
lichen Körper jedes Jahr mit 25,000 Franken, zur Bestreitung der Puhu-

aus falsch verstandenen Patriotismus glaubt man jeden Autor auf¬
muntern zu müssen. Man sieht nicht ein, daß jede Literatur erst
durch die Kalklauge der Kritik zum eigentlichen Gedeihen kommt,
daß man Raupen und böse Auswüchse bannen muß, soll der Baum
emporschießen. In Belgien reicht es hin, daß der geistloseste, unwis-
sendste Autor nur einen guten Freund in der Journalistik habe,
und dieser eine Freund versorgt die ganze Zeitungspresse mit Trom¬
petenstößen und Hallelujageschrei. Die Redacteure nehmen Alles,
wenn es nur nichts kostet und leidlich geschrieben ist. Gerade weil
die meisten Redacteure Franzosen sind, sagt ihnen ihr Jnstinct, daß
sie, um als belgische Patrioten sich zu zeigen, der belgischen Literatur
ein freundliches, aufmunterndes Gesicht zeigen müssen. Und so wird
der Lobhudelunfug in den von den Franzosen redigirten Journalen
am ärgsten getrieben. Die Folgen sind, daß das Unkraut am höch¬
sten und unverschämtesten aufschießt, während der verdienstvolle
Schriftsteller auf fein Bewußtsein gestützt und zu stolz, um Charla-
tanerie zu treiben, im Hintergrunde wartet, bis die Reihe an ihn
kommt; aber sie kommt selten und er wird unwillig und wirft die
Feder wieder weg. Das Allerschlimmste aber ist, daß das Publikum
selbst diese Lobhudclassekuranz nicht mehr mag und die meisten soge¬
nannten kritischen Feuilletons ungelesen übergebet, so daß diese aus
übertriebener Dienstfertigkeit eigentlich gar keinen Dienst erweisen. —

Am besten bestellt ist in Belgien jene positive Literatur, die auf
gegebenen Thatsachen, auf Zahlen und praktischen Beobachtungen
beruht, besonders in Dingen, welche das Land selbst berühren. Die
Akademie der Wissenschaften (^c-uZt-mi« rü^-ils 6es scisoces et Iielles
Iettre8 <Zs Ki-uxizUe») ergänzt hier theilweise die Lücken des buch¬
händlerischen Verkehrs durch ihre öffentlichen Sitzungen, Bulletins,
durch Preisaufgaben und sonstige Ermunterungen Unter den



Die Brüsseler Akademie der Wissenschaften wurde von Maria Theresia
begründet. Die Einrichtung derselben ist ganz nach französischem Muster.
Alle Monate findet eine öffentliche Sitzung Statt, deren Bulletins publicirt
werden. Sie zerfällt, wie schon ihr Titel sagt, in zwei Abtheilungen, wovon
die eine den positiven Wissenschafren die andere der Geschichte und der schönen
Literatur gewidmet ist. Diese letztere Hälfte kann vermöge der ultramontanen
Geistesrichtung, welche in der Akademie überwiegend vertreten ist, nicht
zum Aufschwung kommen. Die Abtheilung der „soivnevs" zeigt dagegen
eine um so tüchtigere Regsamkeit. — Die Regierung dotirt diesen wissenschaft¬
lichen Körper jedes Jahr mit 25,000 Franken, zur Bestreitung der Puhu-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/112>, abgerufen am 05.02.2025.