Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Noch sprechender ist ein zweites Beispiel. "1^ Lot^i,,"v monu-
ment-lie", ein durchaus indifferentes Werk, das nach der Art des
"malerischen Deutschlands" den Beschreibungen schöner Landstriche
und Monumente gewidmet ist, bringt unter Anderem eine SclMerung
der Provinz Luxemburg. Die alten Legenden des berühmten Stamm¬
hauses der Lützelburger werden mit aller Ausführlichkeit erzählt, aber
als die redselige Schilderung bei dem Tode Kaiser Heinrich's VII.
angelangt ist, wird sie plötzlich einsilbig. "Il rvyut la couronne im-
j"erii"le <1ö8 nuüiis "les ein-äinittix-IexiUs, in"r o>"ir"z 6u mlNv "um"
l'v^Iisv >Je 8nine-^vim >lo Interim, lo 29 jüm 1312 ot mourut
Jo 24 "vnd >to 1'ilnnvv suivitiitv a Luon convento. pr'es 6s Liennv."
Dies ist Alles, was man zu erzählen wagt. Daß der edle Kaiser,
der gefeierte Held deS Dante, von einem Mönche im Abendmahle
vergiftet wurde, daß er diesem Mörder im Verscheiden noch die milden
Worte zurief: Im Kelche des Lebens hast du mir den Tod gegeben,
entfliehe, bevor die Meinigen dich fassen! -- davon ist kein Wort
erwähnt, obgleich eS doch sehr pikant wäre, in einem gerade dem
Pikanten gewidmeten Buche. Aber freilich könnten sich die katho¬
lischen Käufer scandalisiren und so heißt es schlecht weg: it mourut!

Angeht man also schon in derlei spielerischen Büchern die präg¬
nantesten Thatsachen, so kann man erst denken, wie man andere wich¬
tigere Werke zu "purifiziren" sucht. Ich könnte unzählige Entstellun¬
gen historischer Thatsachen in dem kleinen Bereiche der bisherigen
belgischen Originalliteratur aufzählen. Bei den katholischen Par¬
theischriftstellern finden wir dieß in Ordnung, es ist die Prozedur
aller Partheikämpfe; aber wenn in indifferenten Büchern, bei Schrif¬
ten, die im Verlage von "liberalen" Verlegern erscheinen, derlei vor¬
geht, so ist dieses ein böses Omen. Diese selbstauferlegte Censur in
einem so preßfreien Lande ist fürchterlicher, als die vom Gesetz auf¬
gedrungene -- weil sie unmoralischer ist.

Was solche Unterschleife und Manipulationen begünstigt, ist der
vollständige Mangel an literarischer Kritik. Der Autor hat nicht zu
fürchten, an den Pranger gestellt zu werden und verfolgt daher seine
Privatabsichten ohne Scheu. Man findet zwar in den Feuilletons
der Journale häufig genug bandwurmartige Besprechungen inlän¬
discher Büchererzeugnisse. Aber es läuft in der Regel alles auf Lob¬
hudelei und Reclamen hinaus. Theils aus Gutmüthigkeit, theils


Noch sprechender ist ein zweites Beispiel. „1^ Lot^i,,»v monu-
ment-lie", ein durchaus indifferentes Werk, das nach der Art des
„malerischen Deutschlands" den Beschreibungen schöner Landstriche
und Monumente gewidmet ist, bringt unter Anderem eine SclMerung
der Provinz Luxemburg. Die alten Legenden des berühmten Stamm¬
hauses der Lützelburger werden mit aller Ausführlichkeit erzählt, aber
als die redselige Schilderung bei dem Tode Kaiser Heinrich's VII.
angelangt ist, wird sie plötzlich einsilbig. „Il rvyut la couronne im-
j»erii»le <1ö8 nuüiis «les ein-äinittix-IexiUs, in»r o>«ir«z 6u mlNv «um«
l'v^Iisv >Je 8nine-^vim >lo Interim, lo 29 jüm 1312 ot mourut
Jo 24 »vnd >to 1'ilnnvv suivitiitv a Luon convento. pr'es 6s Liennv."
Dies ist Alles, was man zu erzählen wagt. Daß der edle Kaiser,
der gefeierte Held deS Dante, von einem Mönche im Abendmahle
vergiftet wurde, daß er diesem Mörder im Verscheiden noch die milden
Worte zurief: Im Kelche des Lebens hast du mir den Tod gegeben,
entfliehe, bevor die Meinigen dich fassen! — davon ist kein Wort
erwähnt, obgleich eS doch sehr pikant wäre, in einem gerade dem
Pikanten gewidmeten Buche. Aber freilich könnten sich die katho¬
lischen Käufer scandalisiren und so heißt es schlecht weg: it mourut!

Angeht man also schon in derlei spielerischen Büchern die präg¬
nantesten Thatsachen, so kann man erst denken, wie man andere wich¬
tigere Werke zu „purifiziren" sucht. Ich könnte unzählige Entstellun¬
gen historischer Thatsachen in dem kleinen Bereiche der bisherigen
belgischen Originalliteratur aufzählen. Bei den katholischen Par¬
theischriftstellern finden wir dieß in Ordnung, es ist die Prozedur
aller Partheikämpfe; aber wenn in indifferenten Büchern, bei Schrif¬
ten, die im Verlage von „liberalen" Verlegern erscheinen, derlei vor¬
geht, so ist dieses ein böses Omen. Diese selbstauferlegte Censur in
einem so preßfreien Lande ist fürchterlicher, als die vom Gesetz auf¬
gedrungene — weil sie unmoralischer ist.

Was solche Unterschleife und Manipulationen begünstigt, ist der
vollständige Mangel an literarischer Kritik. Der Autor hat nicht zu
fürchten, an den Pranger gestellt zu werden und verfolgt daher seine
Privatabsichten ohne Scheu. Man findet zwar in den Feuilletons
der Journale häufig genug bandwurmartige Besprechungen inlän¬
discher Büchererzeugnisse. Aber es läuft in der Regel alles auf Lob¬
hudelei und Reclamen hinaus. Theils aus Gutmüthigkeit, theils


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271372"/>
          <p xml:id="ID_261"> Noch sprechender ist ein zweites Beispiel. &#x201E;1^ Lot^i,,»v monu-<lb/>
ment-lie", ein durchaus indifferentes Werk, das nach der Art des<lb/>
&#x201E;malerischen Deutschlands" den Beschreibungen schöner Landstriche<lb/>
und Monumente gewidmet ist, bringt unter Anderem eine SclMerung<lb/>
der Provinz Luxemburg. Die alten Legenden des berühmten Stamm¬<lb/>
hauses der Lützelburger werden mit aller Ausführlichkeit erzählt, aber<lb/>
als die redselige Schilderung bei dem Tode Kaiser Heinrich's VII.<lb/>
angelangt ist, wird sie plötzlich einsilbig. &#x201E;Il rvyut la couronne im-<lb/>
j»erii»le &lt;1ö8 nuüiis «les ein-äinittix-IexiUs, in»r o&gt;«ir«z 6u mlNv «um«<lb/>
l'v^Iisv &gt;Je 8nine-^vim &gt;lo Interim, lo 29 jüm 1312 ot mourut<lb/>
Jo 24 »vnd &gt;to 1'ilnnvv suivitiitv a Luon convento. pr'es 6s Liennv."<lb/>
Dies ist Alles, was man zu erzählen wagt. Daß der edle Kaiser,<lb/>
der gefeierte Held deS Dante, von einem Mönche im Abendmahle<lb/>
vergiftet wurde, daß er diesem Mörder im Verscheiden noch die milden<lb/>
Worte zurief: Im Kelche des Lebens hast du mir den Tod gegeben,<lb/>
entfliehe, bevor die Meinigen dich fassen! &#x2014; davon ist kein Wort<lb/>
erwähnt, obgleich eS doch sehr pikant wäre, in einem gerade dem<lb/>
Pikanten gewidmeten Buche. Aber freilich könnten sich die katho¬<lb/>
lischen Käufer scandalisiren und so heißt es schlecht weg: it mourut!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_262"> Angeht man also schon in derlei spielerischen Büchern die präg¬<lb/>
nantesten Thatsachen, so kann man erst denken, wie man andere wich¬<lb/>
tigere Werke zu &#x201E;purifiziren" sucht. Ich könnte unzählige Entstellun¬<lb/>
gen historischer Thatsachen in dem kleinen Bereiche der bisherigen<lb/>
belgischen Originalliteratur aufzählen. Bei den katholischen Par¬<lb/>
theischriftstellern finden wir dieß in Ordnung, es ist die Prozedur<lb/>
aller Partheikämpfe; aber wenn in indifferenten Büchern, bei Schrif¬<lb/>
ten, die im Verlage von &#x201E;liberalen" Verlegern erscheinen, derlei vor¬<lb/>
geht, so ist dieses ein böses Omen. Diese selbstauferlegte Censur in<lb/>
einem so preßfreien Lande ist fürchterlicher, als die vom Gesetz auf¬<lb/>
gedrungene &#x2014; weil sie unmoralischer ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_263" next="#ID_264"> Was solche Unterschleife und Manipulationen begünstigt, ist der<lb/>
vollständige Mangel an literarischer Kritik. Der Autor hat nicht zu<lb/>
fürchten, an den Pranger gestellt zu werden und verfolgt daher seine<lb/>
Privatabsichten ohne Scheu. Man findet zwar in den Feuilletons<lb/>
der Journale häufig genug bandwurmartige Besprechungen inlän¬<lb/>
discher Büchererzeugnisse. Aber es läuft in der Regel alles auf Lob¬<lb/>
hudelei und Reclamen hinaus. Theils aus Gutmüthigkeit, theils</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0111] Noch sprechender ist ein zweites Beispiel. „1^ Lot^i,,»v monu- ment-lie", ein durchaus indifferentes Werk, das nach der Art des „malerischen Deutschlands" den Beschreibungen schöner Landstriche und Monumente gewidmet ist, bringt unter Anderem eine SclMerung der Provinz Luxemburg. Die alten Legenden des berühmten Stamm¬ hauses der Lützelburger werden mit aller Ausführlichkeit erzählt, aber als die redselige Schilderung bei dem Tode Kaiser Heinrich's VII. angelangt ist, wird sie plötzlich einsilbig. „Il rvyut la couronne im- j»erii»le <1ö8 nuüiis «les ein-äinittix-IexiUs, in»r o>«ir«z 6u mlNv «um« l'v^Iisv >Je 8nine-^vim >lo Interim, lo 29 jüm 1312 ot mourut Jo 24 »vnd >to 1'ilnnvv suivitiitv a Luon convento. pr'es 6s Liennv." Dies ist Alles, was man zu erzählen wagt. Daß der edle Kaiser, der gefeierte Held deS Dante, von einem Mönche im Abendmahle vergiftet wurde, daß er diesem Mörder im Verscheiden noch die milden Worte zurief: Im Kelche des Lebens hast du mir den Tod gegeben, entfliehe, bevor die Meinigen dich fassen! — davon ist kein Wort erwähnt, obgleich eS doch sehr pikant wäre, in einem gerade dem Pikanten gewidmeten Buche. Aber freilich könnten sich die katho¬ lischen Käufer scandalisiren und so heißt es schlecht weg: it mourut! Angeht man also schon in derlei spielerischen Büchern die präg¬ nantesten Thatsachen, so kann man erst denken, wie man andere wich¬ tigere Werke zu „purifiziren" sucht. Ich könnte unzählige Entstellun¬ gen historischer Thatsachen in dem kleinen Bereiche der bisherigen belgischen Originalliteratur aufzählen. Bei den katholischen Par¬ theischriftstellern finden wir dieß in Ordnung, es ist die Prozedur aller Partheikämpfe; aber wenn in indifferenten Büchern, bei Schrif¬ ten, die im Verlage von „liberalen" Verlegern erscheinen, derlei vor¬ geht, so ist dieses ein böses Omen. Diese selbstauferlegte Censur in einem so preßfreien Lande ist fürchterlicher, als die vom Gesetz auf¬ gedrungene — weil sie unmoralischer ist. Was solche Unterschleife und Manipulationen begünstigt, ist der vollständige Mangel an literarischer Kritik. Der Autor hat nicht zu fürchten, an den Pranger gestellt zu werden und verfolgt daher seine Privatabsichten ohne Scheu. Man findet zwar in den Feuilletons der Journale häufig genug bandwurmartige Besprechungen inlän¬ discher Büchererzeugnisse. Aber es läuft in der Regel alles auf Lob¬ hudelei und Reclamen hinaus. Theils aus Gutmüthigkeit, theils

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/111
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/111>, abgerufen am 05.02.2025.