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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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bald bei der fixen Taxe den gehofften Gewinn nicht finden und darum
selbst um Aufhebung der Taxe anhalten werden.

Im Hofburgtheatcr hat eine witzige Bluette, von Eastelli einem
Scribe'sehen Vaudeville nachgebildet, angesprochen. Als ein erfreuli¬
ches Ereigniß kann man die Fceisinnigkeit unserer Bühncncensur be¬
grüßen, welche d.n Moriz von Sachsen von Prutz "mit ""versengten
Flügeln" aus dem Probeseuer flattern ließ; nur eine einzige Ader
ward ihm ausgeschnitten und dafür eine andere eingeflochten. Der
Schmalkaldische Bund, der bekanntlich zur Wahrung der Rechte des
Protestantismus gegenüber den Verfolgungen des unduldsamen Katho¬
licismus geschlossen wurde, erscheint in der von der E.nsur beliebten
Umgestaltung als ein Bündniß des germanischen Patriotismus gegen
die Eindringlinge der spanischen Staatskunst. Diese Vertauschung des
religiösen Prinzips mit einem nationalen, welche den Kundigen nicht
einmal betrügt, und den dramatischen Effect in keiner Weise beein¬
trächtigt, mag in unserer Zeit confessionellcr Zwietracht und in dem
Brennpunkt des deutschen Katholicismus allerdings zu entschuldigen
sein.

Eine englische Oper von dem Jrländer Balfu: "Die vier Hai-
monskinder", gefiel in dern Theater in der Josephstadt ganz außer¬
ordentlich und Eingeweihte wollen behaupten, wäre dieses Werk vor
ein Paar Monaten statt Sechter's jämmerlicher Operette: "Ali Hitfch-
Hatsch" in die Scene gegangen, die Freunde des Direktors Pokorny
würden ihm ohne Zweifel die Leitung des Hofoperntheaters errungen
haben. Nun bleibt sie wieder auf zwei Jahre in den Händen von
Leuten, wovon Einer nicht einmal lesen und schreiben kann.

Die musikalische Saison hat begonnen und die leichten Truppen
des zahllosen Virtuosenheeres liefern bereits ihre Tressen, wobei sie
jedoch immer den Kürzern ziehn. Man lobt sie, man bewundert sie,
aber geht nicht in's Koncert. Die Unistande haben sich durchweg ge¬
ändert, das Publicum ist kalt und unempfindlich geworden wie Stahl,
all die noch vor einigen Jahren theuer bezahlten Hexenkünste des Vir-
tuosenthums locken kaum ein Häuflein geduldiger Freibilletsbesitzcr in
den gähnenden Saal, der sich mit Applaus füllt, aber mit keinem
zahlenden Publicum. Allein es ist dies nur ein ganz natürlicher Rück¬
schlag in der organischen Fortentwicklung der Kunstzustände; das Vir-
tuosenthum konnte einen Augenblick die überwuchernde Richtung be¬
zeichnen, welche die ausübende Kraft, die Perfection des Werkzeugs
über Alles hielt und die horchende Welt konnte einen Moment hin¬
durch, von der Neuheit des Schauspiels hingerissen, die höhere Auf¬
gabe aus den Augen verlieren und dem Tonkünstler zujubeln, wie
man dem Bühnenkünstler zujubelt, statt dem Dichter; allein die Be¬
sonnenheit mußte endlich zurückkehren, und man muß die Wahrheit


bald bei der fixen Taxe den gehofften Gewinn nicht finden und darum
selbst um Aufhebung der Taxe anhalten werden.

Im Hofburgtheatcr hat eine witzige Bluette, von Eastelli einem
Scribe'sehen Vaudeville nachgebildet, angesprochen. Als ein erfreuli¬
ches Ereigniß kann man die Fceisinnigkeit unserer Bühncncensur be¬
grüßen, welche d.n Moriz von Sachsen von Prutz „mit »»versengten
Flügeln" aus dem Probeseuer flattern ließ; nur eine einzige Ader
ward ihm ausgeschnitten und dafür eine andere eingeflochten. Der
Schmalkaldische Bund, der bekanntlich zur Wahrung der Rechte des
Protestantismus gegenüber den Verfolgungen des unduldsamen Katho¬
licismus geschlossen wurde, erscheint in der von der E.nsur beliebten
Umgestaltung als ein Bündniß des germanischen Patriotismus gegen
die Eindringlinge der spanischen Staatskunst. Diese Vertauschung des
religiösen Prinzips mit einem nationalen, welche den Kundigen nicht
einmal betrügt, und den dramatischen Effect in keiner Weise beein¬
trächtigt, mag in unserer Zeit confessionellcr Zwietracht und in dem
Brennpunkt des deutschen Katholicismus allerdings zu entschuldigen
sein.

Eine englische Oper von dem Jrländer Balfu: „Die vier Hai-
monskinder", gefiel in dern Theater in der Josephstadt ganz außer¬
ordentlich und Eingeweihte wollen behaupten, wäre dieses Werk vor
ein Paar Monaten statt Sechter's jämmerlicher Operette: „Ali Hitfch-
Hatsch" in die Scene gegangen, die Freunde des Direktors Pokorny
würden ihm ohne Zweifel die Leitung des Hofoperntheaters errungen
haben. Nun bleibt sie wieder auf zwei Jahre in den Händen von
Leuten, wovon Einer nicht einmal lesen und schreiben kann.

Die musikalische Saison hat begonnen und die leichten Truppen
des zahllosen Virtuosenheeres liefern bereits ihre Tressen, wobei sie
jedoch immer den Kürzern ziehn. Man lobt sie, man bewundert sie,
aber geht nicht in's Koncert. Die Unistande haben sich durchweg ge¬
ändert, das Publicum ist kalt und unempfindlich geworden wie Stahl,
all die noch vor einigen Jahren theuer bezahlten Hexenkünste des Vir-
tuosenthums locken kaum ein Häuflein geduldiger Freibilletsbesitzcr in
den gähnenden Saal, der sich mit Applaus füllt, aber mit keinem
zahlenden Publicum. Allein es ist dies nur ein ganz natürlicher Rück¬
schlag in der organischen Fortentwicklung der Kunstzustände; das Vir-
tuosenthum konnte einen Augenblick die überwuchernde Richtung be¬
zeichnen, welche die ausübende Kraft, die Perfection des Werkzeugs
über Alles hielt und die horchende Welt konnte einen Moment hin¬
durch, von der Neuheit des Schauspiels hingerissen, die höhere Auf¬
gabe aus den Augen verlieren und dem Tonkünstler zujubeln, wie
man dem Bühnenkünstler zujubelt, statt dem Dichter; allein die Be¬
sonnenheit mußte endlich zurückkehren, und man muß die Wahrheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/97>, abgerufen am 22.07.2024.