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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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bekennen, daß das Instrument, das Materielle den Beweger, das gei¬
stige Element nicht beherrschen dürfe. Das Virtuosenthum ist nur
der Abglanz der industriellen Sonne im Kunstspiegel des Jahrhunderts
und es gereicht der Tonwelt zur Ehre, früher jene nothwendige Um¬
kehr zum Geiste, zur inneren Schöpfung erzeugt zu haben in ihrem
Schooße, als diese im allgemeinen Leben der Zeit zur Erscheinung ge¬
langte. Der Violinist Prume aus Belgien besitzt Eigenschaften, welche
ihm vor zehn Jahren einen Himmel voll Enthusiasmus verschafft
haben würden, indeß sie jetzt in Summa seinen nur zur Hälfte ge¬
füllten Concertsaal zu bewerkstelligen vermögen. Prume ist jung, von
dem interessantesten Aeußern, ist vollendeter Geiger, hat ein Ordens¬
band im Knopfloch und ^ - was das Wichtigste -- war selbst einmal
im Irrenhause und dennoch -- in der That, unsere Zeit geht einer
großen Umwälzung entgegen; zu welchen Mitteln soll heutzutage noch
ein Virtuose greifen, wenn Ordensband und Narrenhaus nicht mehr
imponiren wollen? Auch Moscheles war hier, um die bittere Erfah¬
rung zu machen, daß die schönen Tage von Aranjuez vorüber sind!
Zum Mindesten fand er den Trost, daß die Kälte des Publicums all¬
gemein trifft und seine kühle Ausnahme keine persönliche Bedeutung hatte.
MoscheleS, ein Prager von Geburt, war im Jahre 1825 zum letzten Male
hier und nahm damals die lauteste Begeisterung mit fort, allein seit¬
her hat Wien die ganze Pianistenschule in seinen Mauern gehabt, als
deren Stifter Moscheles zu betrachten; Liszt, Thalberg und Döhler, das
Triumvirat des Pianoforte, schütteten die Schätze ihrer Kunst vor den
staunenden aus und nun kommt der erste Anreger nach Verlauf von
zwanzig Jahren abermals und biedre sein Schmuckkästchen. Da man
aber wahrend der Zwischenzeit eine reiche Schatzkammer, das grüne
Gewölbe der Musik kennen gelernt, so konnte das einfache Kästlein
nicht mehr ansprechen, und das schöne, gemäßigte Spiel des Herrn
Moscheles kam mir jetzt vor wie die wiederholte Lectüre der Vorrede
eines Buches, nachdem man dasselbe bereits durchgelesen; vordem
mochte manche leise Andeutung, mancher helle Wink ungemein wirk¬
sam sein, jetzt aber, wo man den Inhalt des Liedes bereits kennt,
jetzt lassen die Versprechungen kalt, und es tritt jene Gleichgiltigkeir
ein, die sich an ein Ding knüpft, das keine Perspektive mehr hat.
Moscheles ist in London, wo er blos Lectionen zu einer Guinee für die
Seeente gegeben, reich geworden und will sich jetzt in seiner Vaterstadt
niederlassen. Seine Composttionen werden ihn lange überleben.




bekennen, daß das Instrument, das Materielle den Beweger, das gei¬
stige Element nicht beherrschen dürfe. Das Virtuosenthum ist nur
der Abglanz der industriellen Sonne im Kunstspiegel des Jahrhunderts
und es gereicht der Tonwelt zur Ehre, früher jene nothwendige Um¬
kehr zum Geiste, zur inneren Schöpfung erzeugt zu haben in ihrem
Schooße, als diese im allgemeinen Leben der Zeit zur Erscheinung ge¬
langte. Der Violinist Prume aus Belgien besitzt Eigenschaften, welche
ihm vor zehn Jahren einen Himmel voll Enthusiasmus verschafft
haben würden, indeß sie jetzt in Summa seinen nur zur Hälfte ge¬
füllten Concertsaal zu bewerkstelligen vermögen. Prume ist jung, von
dem interessantesten Aeußern, ist vollendeter Geiger, hat ein Ordens¬
band im Knopfloch und ^ - was das Wichtigste — war selbst einmal
im Irrenhause und dennoch — in der That, unsere Zeit geht einer
großen Umwälzung entgegen; zu welchen Mitteln soll heutzutage noch
ein Virtuose greifen, wenn Ordensband und Narrenhaus nicht mehr
imponiren wollen? Auch Moscheles war hier, um die bittere Erfah¬
rung zu machen, daß die schönen Tage von Aranjuez vorüber sind!
Zum Mindesten fand er den Trost, daß die Kälte des Publicums all¬
gemein trifft und seine kühle Ausnahme keine persönliche Bedeutung hatte.
MoscheleS, ein Prager von Geburt, war im Jahre 1825 zum letzten Male
hier und nahm damals die lauteste Begeisterung mit fort, allein seit¬
her hat Wien die ganze Pianistenschule in seinen Mauern gehabt, als
deren Stifter Moscheles zu betrachten; Liszt, Thalberg und Döhler, das
Triumvirat des Pianoforte, schütteten die Schätze ihrer Kunst vor den
staunenden aus und nun kommt der erste Anreger nach Verlauf von
zwanzig Jahren abermals und biedre sein Schmuckkästchen. Da man
aber wahrend der Zwischenzeit eine reiche Schatzkammer, das grüne
Gewölbe der Musik kennen gelernt, so konnte das einfache Kästlein
nicht mehr ansprechen, und das schöne, gemäßigte Spiel des Herrn
Moscheles kam mir jetzt vor wie die wiederholte Lectüre der Vorrede
eines Buches, nachdem man dasselbe bereits durchgelesen; vordem
mochte manche leise Andeutung, mancher helle Wink ungemein wirk¬
sam sein, jetzt aber, wo man den Inhalt des Liedes bereits kennt,
jetzt lassen die Versprechungen kalt, und es tritt jene Gleichgiltigkeir
ein, die sich an ein Ding knüpft, das keine Perspektive mehr hat.
Moscheles ist in London, wo er blos Lectionen zu einer Guinee für die
Seeente gegeben, reich geworden und will sich jetzt in seiner Vaterstadt
niederlassen. Seine Composttionen werden ihn lange überleben.




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[0098] bekennen, daß das Instrument, das Materielle den Beweger, das gei¬ stige Element nicht beherrschen dürfe. Das Virtuosenthum ist nur der Abglanz der industriellen Sonne im Kunstspiegel des Jahrhunderts und es gereicht der Tonwelt zur Ehre, früher jene nothwendige Um¬ kehr zum Geiste, zur inneren Schöpfung erzeugt zu haben in ihrem Schooße, als diese im allgemeinen Leben der Zeit zur Erscheinung ge¬ langte. Der Violinist Prume aus Belgien besitzt Eigenschaften, welche ihm vor zehn Jahren einen Himmel voll Enthusiasmus verschafft haben würden, indeß sie jetzt in Summa seinen nur zur Hälfte ge¬ füllten Concertsaal zu bewerkstelligen vermögen. Prume ist jung, von dem interessantesten Aeußern, ist vollendeter Geiger, hat ein Ordens¬ band im Knopfloch und ^ - was das Wichtigste — war selbst einmal im Irrenhause und dennoch — in der That, unsere Zeit geht einer großen Umwälzung entgegen; zu welchen Mitteln soll heutzutage noch ein Virtuose greifen, wenn Ordensband und Narrenhaus nicht mehr imponiren wollen? Auch Moscheles war hier, um die bittere Erfah¬ rung zu machen, daß die schönen Tage von Aranjuez vorüber sind! Zum Mindesten fand er den Trost, daß die Kälte des Publicums all¬ gemein trifft und seine kühle Ausnahme keine persönliche Bedeutung hatte. MoscheleS, ein Prager von Geburt, war im Jahre 1825 zum letzten Male hier und nahm damals die lauteste Begeisterung mit fort, allein seit¬ her hat Wien die ganze Pianistenschule in seinen Mauern gehabt, als deren Stifter Moscheles zu betrachten; Liszt, Thalberg und Döhler, das Triumvirat des Pianoforte, schütteten die Schätze ihrer Kunst vor den staunenden aus und nun kommt der erste Anreger nach Verlauf von zwanzig Jahren abermals und biedre sein Schmuckkästchen. Da man aber wahrend der Zwischenzeit eine reiche Schatzkammer, das grüne Gewölbe der Musik kennen gelernt, so konnte das einfache Kästlein nicht mehr ansprechen, und das schöne, gemäßigte Spiel des Herrn Moscheles kam mir jetzt vor wie die wiederholte Lectüre der Vorrede eines Buches, nachdem man dasselbe bereits durchgelesen; vordem mochte manche leise Andeutung, mancher helle Wink ungemein wirk¬ sam sein, jetzt aber, wo man den Inhalt des Liedes bereits kennt, jetzt lassen die Versprechungen kalt, und es tritt jene Gleichgiltigkeir ein, die sich an ein Ding knüpft, das keine Perspektive mehr hat. Moscheles ist in London, wo er blos Lectionen zu einer Guinee für die Seeente gegeben, reich geworden und will sich jetzt in seiner Vaterstadt niederlassen. Seine Composttionen werden ihn lange überleben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/98>, abgerufen am 22.07.2024.