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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Redacteur! Lassen Sie die Chöre nur ja componiren. Es geht doch
Nichts über das musikalische Drama! Gott, ich bin ganz verliebt in
Mendelssohn's Antigone!

Dichter. Genuß wäre es schön, wenn wir aus dem trüben
Lampcndunst unserer Theateratmosphäre plötzlich in freie.Lust hinaus¬
treten könnten. Aber scheint es denn möglich? Wohl haben in neue¬
ster Zeit deutsche Dichter versucht, tüchtige Stücke zu schreiben, und
die Censur sogar fand Nichts dagegen zu erinnern, und doch gab es
Mittel, ihnen die Bühnen zu verschließen!

Attachv (erzürnt.) Mein Herr!

Director (beschwichügeno.) Ich bitte---

Redacteur. Des Dichters Klagen haben gerechten Grund,
indeß es gibt Hilfe dagegen. Soll eine deutsche Nationalbühnc ihre
Kraft entfalten, dann muß sie aller engherzigen Einflüsse enthoben
und nur vom Gesetz überwacht sein. Ein solches Theater kann die
Nation sich gründen, wenn sie die Summe aufbringt, die seine Er¬
richtung kosten wird, und wenn sie zu dessen Leitung einen Kreis von
Männern wählt, welche sich durch ehrenwerthen Charakter, durch
strenge Unparteilichkeit Vertrauen gewonnen haben.

Publicum (das ander ganzen Unterredung lebhast Theil nahm.)
Das ist endlich einmal ein gescheidtes Wort! Zum Teufel mit dem
Geschwätz. Was kümmert mich Euere Professorenweisheit, Euere
hysterischen Nerven, Euere Komödiantentricots, Euere Höftingszart-
heit. Ich bin Publicum, ich bin Herr und Meister! Ich habe Ge¬
schmack, ich habe ein Herz, und Geld habe ich auch. Wollt Ihr was
Rechtes schreiben, wollt Ihr was Rechtes aufführen -- hier ist mein
Beutel. Wollt Ihr einen Verein stiften -- hier ist meine Briefta¬
sche, ich unterzeichne. Holla! zahle ich Jahr aus Jahr ein so man¬
chen unnützen Thaler für Missions- und andere Vereine, und ich soll
nicht zahlen, wenn ich Abends, statt zu gähnen, mich ergötzen kann.
He, Ihr meint, weil ich Euerer jetzigen Wirthschaft den Rücken kehre?



Die Hoftheater, welche die Prätension haben, die Bühne zu fördern,
sind Leichenhäuser für sie geworden. Ein jedes dieser Hofthore hat tausend
Riegel, die dem Dichter vor der Nase zugeschoben werden, sobald er der Ur¬
großmutter irgend eines Sticfvctters eine unangenehme Wahrheit nachsagt.
Auch an protestantischen Höfen gibt es einen heiligen Kalender mit unantast¬
baren Röcken und unfehlbaren Reliquien! Heilige, denen keine Menschllchreir
nachgewiesen werden darf -- weil sie allzu oft unmenschlich waren- --

Redacteur! Lassen Sie die Chöre nur ja componiren. Es geht doch
Nichts über das musikalische Drama! Gott, ich bin ganz verliebt in
Mendelssohn's Antigone!

Dichter. Genuß wäre es schön, wenn wir aus dem trüben
Lampcndunst unserer Theateratmosphäre plötzlich in freie.Lust hinaus¬
treten könnten. Aber scheint es denn möglich? Wohl haben in neue¬
ster Zeit deutsche Dichter versucht, tüchtige Stücke zu schreiben, und
die Censur sogar fand Nichts dagegen zu erinnern, und doch gab es
Mittel, ihnen die Bühnen zu verschließen!

Attachv (erzürnt.) Mein Herr!

Director (beschwichügeno.) Ich bitte---

Redacteur. Des Dichters Klagen haben gerechten Grund,
indeß es gibt Hilfe dagegen. Soll eine deutsche Nationalbühnc ihre
Kraft entfalten, dann muß sie aller engherzigen Einflüsse enthoben
und nur vom Gesetz überwacht sein. Ein solches Theater kann die
Nation sich gründen, wenn sie die Summe aufbringt, die seine Er¬
richtung kosten wird, und wenn sie zu dessen Leitung einen Kreis von
Männern wählt, welche sich durch ehrenwerthen Charakter, durch
strenge Unparteilichkeit Vertrauen gewonnen haben.

Publicum (das ander ganzen Unterredung lebhast Theil nahm.)
Das ist endlich einmal ein gescheidtes Wort! Zum Teufel mit dem
Geschwätz. Was kümmert mich Euere Professorenweisheit, Euere
hysterischen Nerven, Euere Komödiantentricots, Euere Höftingszart-
heit. Ich bin Publicum, ich bin Herr und Meister! Ich habe Ge¬
schmack, ich habe ein Herz, und Geld habe ich auch. Wollt Ihr was
Rechtes schreiben, wollt Ihr was Rechtes aufführen — hier ist mein
Beutel. Wollt Ihr einen Verein stiften — hier ist meine Briefta¬
sche, ich unterzeichne. Holla! zahle ich Jahr aus Jahr ein so man¬
chen unnützen Thaler für Missions- und andere Vereine, und ich soll
nicht zahlen, wenn ich Abends, statt zu gähnen, mich ergötzen kann.
He, Ihr meint, weil ich Euerer jetzigen Wirthschaft den Rücken kehre?



Die Hoftheater, welche die Prätension haben, die Bühne zu fördern,
sind Leichenhäuser für sie geworden. Ein jedes dieser Hofthore hat tausend
Riegel, die dem Dichter vor der Nase zugeschoben werden, sobald er der Ur¬
großmutter irgend eines Sticfvctters eine unangenehme Wahrheit nachsagt.
Auch an protestantischen Höfen gibt es einen heiligen Kalender mit unantast¬
baren Röcken und unfehlbaren Reliquien! Heilige, denen keine Menschllchreir
nachgewiesen werden darf — weil sie allzu oft unmenschlich waren- —
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[0087] Redacteur! Lassen Sie die Chöre nur ja componiren. Es geht doch Nichts über das musikalische Drama! Gott, ich bin ganz verliebt in Mendelssohn's Antigone! Dichter. Genuß wäre es schön, wenn wir aus dem trüben Lampcndunst unserer Theateratmosphäre plötzlich in freie.Lust hinaus¬ treten könnten. Aber scheint es denn möglich? Wohl haben in neue¬ ster Zeit deutsche Dichter versucht, tüchtige Stücke zu schreiben, und die Censur sogar fand Nichts dagegen zu erinnern, und doch gab es Mittel, ihnen die Bühnen zu verschließen! Attachv (erzürnt.) Mein Herr! Director (beschwichügeno.) Ich bitte--- Redacteur. Des Dichters Klagen haben gerechten Grund, indeß es gibt Hilfe dagegen. Soll eine deutsche Nationalbühnc ihre Kraft entfalten, dann muß sie aller engherzigen Einflüsse enthoben und nur vom Gesetz überwacht sein. Ein solches Theater kann die Nation sich gründen, wenn sie die Summe aufbringt, die seine Er¬ richtung kosten wird, und wenn sie zu dessen Leitung einen Kreis von Männern wählt, welche sich durch ehrenwerthen Charakter, durch strenge Unparteilichkeit Vertrauen gewonnen haben. Publicum (das ander ganzen Unterredung lebhast Theil nahm.) Das ist endlich einmal ein gescheidtes Wort! Zum Teufel mit dem Geschwätz. Was kümmert mich Euere Professorenweisheit, Euere hysterischen Nerven, Euere Komödiantentricots, Euere Höftingszart- heit. Ich bin Publicum, ich bin Herr und Meister! Ich habe Ge¬ schmack, ich habe ein Herz, und Geld habe ich auch. Wollt Ihr was Rechtes schreiben, wollt Ihr was Rechtes aufführen — hier ist mein Beutel. Wollt Ihr einen Verein stiften — hier ist meine Briefta¬ sche, ich unterzeichne. Holla! zahle ich Jahr aus Jahr ein so man¬ chen unnützen Thaler für Missions- und andere Vereine, und ich soll nicht zahlen, wenn ich Abends, statt zu gähnen, mich ergötzen kann. He, Ihr meint, weil ich Euerer jetzigen Wirthschaft den Rücken kehre? Die Hoftheater, welche die Prätension haben, die Bühne zu fördern, sind Leichenhäuser für sie geworden. Ein jedes dieser Hofthore hat tausend Riegel, die dem Dichter vor der Nase zugeschoben werden, sobald er der Ur¬ großmutter irgend eines Sticfvctters eine unangenehme Wahrheit nachsagt. Auch an protestantischen Höfen gibt es einen heiligen Kalender mit unantast¬ baren Röcken und unfehlbaren Reliquien! Heilige, denen keine Menschllchreir nachgewiesen werden darf — weil sie allzu oft unmenschlich waren- —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/87>, abgerufen am 22.07.2024.