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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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schaun seiner Größe, oder beschämt, wo ihm seine Schwäche entge¬
gentritt.

Director. Aber Herr Redacteur--!

Redacteur. Unterbrechen Sie mich nicht! Herr Director!
Das ist mein Fach! -- Das deutsche Volk ist reif für eine reife
Bühne, und jenen Jndifferentismus, mit dem es die prunkende Ar¬
muth antiker und moderner Flitter anstarrt, ehre ich, anstatt ihn zu ta¬
deln. Der Dichter, welcher den Funken der Begeisterung in die
ruhende Pulvertonne werfen will, er greife nur in's Leben hinaus,
in das Herz des Volkes, in sein eigenes Herz. Dort findet er
Trauerspiele genug, rührende, gewaltige Trauerspiele; er schreibe sie
getreulich nieder, und ein blühender Lorbeer entgeht ihm nicht.

Attache. Sehr brav, sehr gut! Auch ich liebe die freie Mei¬
nung, wenn nur in den Dramen Nichts gegen die Regierungen vor¬
kommt.

Redacteur. Herr Attache! Man schreibt niemals gegen die
Regierungen, wenn man für's Volk schreibt. Vom Wohl deS Volkes
hängt das Wohl der Negierung ab.

Fräulein. Verzeihen Sie, Herr Redacteur! Bei den Stücken,
welche Sie fordern, ist wohl alle Romantik dahin?

Redacteur. Bewahre, gnädiges Fräulein! Sie werden Ro¬
mantik genug bringen! Romantik in Lumpen und in Gold!

Professor. Ach, ich hatte so schöne Träume vom Wieder¬
erwachen reiner Klassicität! hoffte ich doch sogar, den Chor hervor¬
gerufen zu sehn; nun ist es aus.

Redacteur. Und warum denn? Der Chor hat bisher in
Deutschland freilich keine Wurzeln schlagen können. Dieses bedeu¬
tende Zusammenwirken der Menge, diese Wichtigkeit jedes Einzelnen,
als Glied des Ganzen, blieb uns leider fremd. Wir verstanden nur
bestimmt isolirte Erscheinungen und den Haufen stummer, theilnahm¬
loser Statisten. Die Griechen lebten im jugendfrischem Weltalter deS
Gemeinsinns, wir im entnervten Jahrhundert des Egoismus. Zwar
sind manche künstlerische Versuche gemacht worden, den Chor bei uns
herzustellen, aber sie mußten mißglücken, denn allein auf moralischem
Wege kann errungen werden, was auf moralischem Wege verloren
ging-

Commerzienrath. Einen Rath will ich Ihnen geben, Herr


schaun seiner Größe, oder beschämt, wo ihm seine Schwäche entge¬
gentritt.

Director. Aber Herr Redacteur--!

Redacteur. Unterbrechen Sie mich nicht! Herr Director!
Das ist mein Fach! — Das deutsche Volk ist reif für eine reife
Bühne, und jenen Jndifferentismus, mit dem es die prunkende Ar¬
muth antiker und moderner Flitter anstarrt, ehre ich, anstatt ihn zu ta¬
deln. Der Dichter, welcher den Funken der Begeisterung in die
ruhende Pulvertonne werfen will, er greife nur in's Leben hinaus,
in das Herz des Volkes, in sein eigenes Herz. Dort findet er
Trauerspiele genug, rührende, gewaltige Trauerspiele; er schreibe sie
getreulich nieder, und ein blühender Lorbeer entgeht ihm nicht.

Attache. Sehr brav, sehr gut! Auch ich liebe die freie Mei¬
nung, wenn nur in den Dramen Nichts gegen die Regierungen vor¬
kommt.

Redacteur. Herr Attache! Man schreibt niemals gegen die
Regierungen, wenn man für's Volk schreibt. Vom Wohl deS Volkes
hängt das Wohl der Negierung ab.

Fräulein. Verzeihen Sie, Herr Redacteur! Bei den Stücken,
welche Sie fordern, ist wohl alle Romantik dahin?

Redacteur. Bewahre, gnädiges Fräulein! Sie werden Ro¬
mantik genug bringen! Romantik in Lumpen und in Gold!

Professor. Ach, ich hatte so schöne Träume vom Wieder¬
erwachen reiner Klassicität! hoffte ich doch sogar, den Chor hervor¬
gerufen zu sehn; nun ist es aus.

Redacteur. Und warum denn? Der Chor hat bisher in
Deutschland freilich keine Wurzeln schlagen können. Dieses bedeu¬
tende Zusammenwirken der Menge, diese Wichtigkeit jedes Einzelnen,
als Glied des Ganzen, blieb uns leider fremd. Wir verstanden nur
bestimmt isolirte Erscheinungen und den Haufen stummer, theilnahm¬
loser Statisten. Die Griechen lebten im jugendfrischem Weltalter deS
Gemeinsinns, wir im entnervten Jahrhundert des Egoismus. Zwar
sind manche künstlerische Versuche gemacht worden, den Chor bei uns
herzustellen, aber sie mußten mißglücken, denn allein auf moralischem
Wege kann errungen werden, was auf moralischem Wege verloren
ging-

Commerzienrath. Einen Rath will ich Ihnen geben, Herr


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[0086] schaun seiner Größe, oder beschämt, wo ihm seine Schwäche entge¬ gentritt. Director. Aber Herr Redacteur--! Redacteur. Unterbrechen Sie mich nicht! Herr Director! Das ist mein Fach! — Das deutsche Volk ist reif für eine reife Bühne, und jenen Jndifferentismus, mit dem es die prunkende Ar¬ muth antiker und moderner Flitter anstarrt, ehre ich, anstatt ihn zu ta¬ deln. Der Dichter, welcher den Funken der Begeisterung in die ruhende Pulvertonne werfen will, er greife nur in's Leben hinaus, in das Herz des Volkes, in sein eigenes Herz. Dort findet er Trauerspiele genug, rührende, gewaltige Trauerspiele; er schreibe sie getreulich nieder, und ein blühender Lorbeer entgeht ihm nicht. Attache. Sehr brav, sehr gut! Auch ich liebe die freie Mei¬ nung, wenn nur in den Dramen Nichts gegen die Regierungen vor¬ kommt. Redacteur. Herr Attache! Man schreibt niemals gegen die Regierungen, wenn man für's Volk schreibt. Vom Wohl deS Volkes hängt das Wohl der Negierung ab. Fräulein. Verzeihen Sie, Herr Redacteur! Bei den Stücken, welche Sie fordern, ist wohl alle Romantik dahin? Redacteur. Bewahre, gnädiges Fräulein! Sie werden Ro¬ mantik genug bringen! Romantik in Lumpen und in Gold! Professor. Ach, ich hatte so schöne Träume vom Wieder¬ erwachen reiner Klassicität! hoffte ich doch sogar, den Chor hervor¬ gerufen zu sehn; nun ist es aus. Redacteur. Und warum denn? Der Chor hat bisher in Deutschland freilich keine Wurzeln schlagen können. Dieses bedeu¬ tende Zusammenwirken der Menge, diese Wichtigkeit jedes Einzelnen, als Glied des Ganzen, blieb uns leider fremd. Wir verstanden nur bestimmt isolirte Erscheinungen und den Haufen stummer, theilnahm¬ loser Statisten. Die Griechen lebten im jugendfrischem Weltalter deS Gemeinsinns, wir im entnervten Jahrhundert des Egoismus. Zwar sind manche künstlerische Versuche gemacht worden, den Chor bei uns herzustellen, aber sie mußten mißglücken, denn allein auf moralischem Wege kann errungen werden, was auf moralischem Wege verloren ging- Commerzienrath. Einen Rath will ich Ihnen geben, Herr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/86>, abgerufen am 22.07.2024.