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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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genommen. Erst mußte ich in die Blumenausstellung, um nachzusehn,
ob dort alles gehörig arrangirt sei, denn ich bin beim Conn"-. Hier¬
auf hatte ich eine geheime Conferenz mit dem Minister der Finan¬
zen; dann fuhr ich in's Concert zu der großen Schillbock-Petrinski...
Gott, wie sang sie wieder! Hinreißend! Ich bin wahrhaftig noch
ganz aufgelöst!... dann sollte ich Durchaus Allein Urtheil über zwei
neue Bilder eines jungen Malers abgeben -- Genrebilder! recht
mein Fach! und nun bin ich endlich hier.

Direktor. Es ist mir sehr lieb, daß Sie gekommen sind, denn
die offen ausgesprochene Meinung eines so anerkannten Kunstkenners,
wie Sie, Herr Commerzienrath, hat einen großen Werth für uns.

Commerzienrath. Um was handelt es sich denn?

Director. Um die Interessen der deutschen Bühne, welche
gegenwärtig wohl nicht besonders in der Blüthe steht.

Commerzienrath. Wie heißt, nicht in der Blüthe? Ich ver¬
sichere Sie, daß sie sehr in der Blüthe steht. Gott, welchen Genuß
hatte ich neulich in Berlin! Was hab' ich in einer einzigen Woche
Alles gesehen! Antigone und zwei Genrebilder, den Sommernachts-
traum und Sampiero, Medea und ein Ballet, Thomas Thyrnau und
den gestiefelten Kater. Ich kann Sie versichern, daß unsere Bühne
auf dem höchsten Gipfel der Blüthe steht.

Director. Ist das Publicum auch dieser Meinung?

Attache Nein! das Publicum schläft!

Redacteur (stößt das Publicum unsanft an). Wachen Sie
auf!

Publicum (erschreckt.) Was ist denn los? Was gibt es?
Kommt ein Ballet vor?

Redacteur. Sie sollen die Güte haben, gerad heraus zu er¬
klären, welche Dramen Sie am liebsten sehn, ob bürgerliche, histo¬
rische, romantische, classische--?

Publicum (schläfrig). Mir ist Alles egal!

Redacteur. Schrecklich ist diese TheilnahmlosigM, aber sie
ist sehr natürlich bei den Gaben, die dem Publicum geboten werden.
Unsre Bühnen führen ja einen zweiten englisch-chinesischen Opium-
kncg wider das Volk. Man will nicht, daß es auf den Brettern
sein Spiegelbild erblicke, man will nicht, daß es stolz werde im An-


II -i-

genommen. Erst mußte ich in die Blumenausstellung, um nachzusehn,
ob dort alles gehörig arrangirt sei, denn ich bin beim Conn«-. Hier¬
auf hatte ich eine geheime Conferenz mit dem Minister der Finan¬
zen; dann fuhr ich in's Concert zu der großen Schillbock-Petrinski...
Gott, wie sang sie wieder! Hinreißend! Ich bin wahrhaftig noch
ganz aufgelöst!... dann sollte ich Durchaus Allein Urtheil über zwei
neue Bilder eines jungen Malers abgeben — Genrebilder! recht
mein Fach! und nun bin ich endlich hier.

Direktor. Es ist mir sehr lieb, daß Sie gekommen sind, denn
die offen ausgesprochene Meinung eines so anerkannten Kunstkenners,
wie Sie, Herr Commerzienrath, hat einen großen Werth für uns.

Commerzienrath. Um was handelt es sich denn?

Director. Um die Interessen der deutschen Bühne, welche
gegenwärtig wohl nicht besonders in der Blüthe steht.

Commerzienrath. Wie heißt, nicht in der Blüthe? Ich ver¬
sichere Sie, daß sie sehr in der Blüthe steht. Gott, welchen Genuß
hatte ich neulich in Berlin! Was hab' ich in einer einzigen Woche
Alles gesehen! Antigone und zwei Genrebilder, den Sommernachts-
traum und Sampiero, Medea und ein Ballet, Thomas Thyrnau und
den gestiefelten Kater. Ich kann Sie versichern, daß unsere Bühne
auf dem höchsten Gipfel der Blüthe steht.

Director. Ist das Publicum auch dieser Meinung?

Attache Nein! das Publicum schläft!

Redacteur (stößt das Publicum unsanft an). Wachen Sie
auf!

Publicum (erschreckt.) Was ist denn los? Was gibt es?
Kommt ein Ballet vor?

Redacteur. Sie sollen die Güte haben, gerad heraus zu er¬
klären, welche Dramen Sie am liebsten sehn, ob bürgerliche, histo¬
rische, romantische, classische--?

Publicum (schläfrig). Mir ist Alles egal!

Redacteur. Schrecklich ist diese TheilnahmlosigM, aber sie
ist sehr natürlich bei den Gaben, die dem Publicum geboten werden.
Unsre Bühnen führen ja einen zweiten englisch-chinesischen Opium-
kncg wider das Volk. Man will nicht, daß es auf den Brettern
sein Spiegelbild erblicke, man will nicht, daß es stolz werde im An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/85>, abgerufen am 22.07.2024.