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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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gelmäßig den Schnupfen. Lassen Sie, wenn Ihnen die gute Laune
der Schauspieler und der Beifall des Publikums lieb ist, meinetwe¬
gen Botokuden, Kamtschadalen oder Irokesen auftreten, aber nur
keine Griechen und Römer.

Professor. Warum denn nicht? Gibt es irgendwo eine
edlere Tracht, als die einfache, plastisch schöne Toga, den wallenden
Frauenschleier und den blitzenden Helm?

Hofschauspielerin. Aber der Schnupfen, der Schnupfen,
wollen Sie, daß ich nach jeder Vorstellung vierzehn Tage krank
sein soll?

Direktor und Dichter (zugleich). Um Gotteswillen nur
das nicht!

Director. Nein, Herr Professor! Du sublime -in ri"lie>no
it n'^ a "ni'un und das griechische Kostüm streift unserm Pu¬
blikum an's Lächerliche. Göthe's Iphigenia würde viel mehr Häu¬
ser machen, wenn wir sie in altdeutscher oder in spanischer Tracht
spielen dürsten.

Professor (schmerzlich.) Oh! oh!

Fräulein. Also zu einem andern Stoff, mit der Historie ist
es ohnehin Nichts! Wie viel freier schwingt sich die entfesselte Phan¬
tasie empor, wenn keine trockengeschichtlichen Bande sie einpressen,
wenn sie alle Höhen und Tiefen der Romantik erklimmt und Wun¬
derbilder sammelt.

Professor. Die Historie in ihrer ursprünglichen Breite paßt
allerdings besser für das Schulbuch, als für's Trauerspiel. Wo sich
gewaltige Charaktere mit welterschütternden Ereignissen zu einem Gan¬
zen verbinden, da herrscht fast immer eine Ueberfülle von Personen
und Begebenheiten, deshalb muß erst durch Zusammenschmelzung sich
der grandiose Stoff zum künstlerischen Drama gestalten. Dies hat
auch Aristoteles gebilligt, indem er sagte: "der dramatische Dichter
benutzt einen historischen Stoff nicht etwa, weil er historisch ist, son¬
dern weil er ihn zu seinem vorliegenden Zwecke schwerlich besser er¬
dichten könnte."

Hofschauspiel er in. DaS ist sehr verständig gesprochen!
War Herr Aristoteles selbst ausübender Künstler?

Professor. Nein, Madame! Er schuf in Griechenland das
Gesetzbuch der Tragödie, und es ist so weise, als hätte es Solon,


Grcnzlwtcn I84S. I. II

gelmäßig den Schnupfen. Lassen Sie, wenn Ihnen die gute Laune
der Schauspieler und der Beifall des Publikums lieb ist, meinetwe¬
gen Botokuden, Kamtschadalen oder Irokesen auftreten, aber nur
keine Griechen und Römer.

Professor. Warum denn nicht? Gibt es irgendwo eine
edlere Tracht, als die einfache, plastisch schöne Toga, den wallenden
Frauenschleier und den blitzenden Helm?

Hofschauspielerin. Aber der Schnupfen, der Schnupfen,
wollen Sie, daß ich nach jeder Vorstellung vierzehn Tage krank
sein soll?

Direktor und Dichter (zugleich). Um Gotteswillen nur
das nicht!

Director. Nein, Herr Professor! Du sublime -in ri«lie>no
it n'^ a «ni'un und das griechische Kostüm streift unserm Pu¬
blikum an's Lächerliche. Göthe's Iphigenia würde viel mehr Häu¬
ser machen, wenn wir sie in altdeutscher oder in spanischer Tracht
spielen dürsten.

Professor (schmerzlich.) Oh! oh!

Fräulein. Also zu einem andern Stoff, mit der Historie ist
es ohnehin Nichts! Wie viel freier schwingt sich die entfesselte Phan¬
tasie empor, wenn keine trockengeschichtlichen Bande sie einpressen,
wenn sie alle Höhen und Tiefen der Romantik erklimmt und Wun¬
derbilder sammelt.

Professor. Die Historie in ihrer ursprünglichen Breite paßt
allerdings besser für das Schulbuch, als für's Trauerspiel. Wo sich
gewaltige Charaktere mit welterschütternden Ereignissen zu einem Gan¬
zen verbinden, da herrscht fast immer eine Ueberfülle von Personen
und Begebenheiten, deshalb muß erst durch Zusammenschmelzung sich
der grandiose Stoff zum künstlerischen Drama gestalten. Dies hat
auch Aristoteles gebilligt, indem er sagte: „der dramatische Dichter
benutzt einen historischen Stoff nicht etwa, weil er historisch ist, son¬
dern weil er ihn zu seinem vorliegenden Zwecke schwerlich besser er¬
dichten könnte."

Hofschauspiel er in. DaS ist sehr verständig gesprochen!
War Herr Aristoteles selbst ausübender Künstler?

Professor. Nein, Madame! Er schuf in Griechenland das
Gesetzbuch der Tragödie, und es ist so weise, als hätte es Solon,


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[0083] gelmäßig den Schnupfen. Lassen Sie, wenn Ihnen die gute Laune der Schauspieler und der Beifall des Publikums lieb ist, meinetwe¬ gen Botokuden, Kamtschadalen oder Irokesen auftreten, aber nur keine Griechen und Römer. Professor. Warum denn nicht? Gibt es irgendwo eine edlere Tracht, als die einfache, plastisch schöne Toga, den wallenden Frauenschleier und den blitzenden Helm? Hofschauspielerin. Aber der Schnupfen, der Schnupfen, wollen Sie, daß ich nach jeder Vorstellung vierzehn Tage krank sein soll? Direktor und Dichter (zugleich). Um Gotteswillen nur das nicht! Director. Nein, Herr Professor! Du sublime -in ri«lie>no it n'^ a «ni'un und das griechische Kostüm streift unserm Pu¬ blikum an's Lächerliche. Göthe's Iphigenia würde viel mehr Häu¬ ser machen, wenn wir sie in altdeutscher oder in spanischer Tracht spielen dürsten. Professor (schmerzlich.) Oh! oh! Fräulein. Also zu einem andern Stoff, mit der Historie ist es ohnehin Nichts! Wie viel freier schwingt sich die entfesselte Phan¬ tasie empor, wenn keine trockengeschichtlichen Bande sie einpressen, wenn sie alle Höhen und Tiefen der Romantik erklimmt und Wun¬ derbilder sammelt. Professor. Die Historie in ihrer ursprünglichen Breite paßt allerdings besser für das Schulbuch, als für's Trauerspiel. Wo sich gewaltige Charaktere mit welterschütternden Ereignissen zu einem Gan¬ zen verbinden, da herrscht fast immer eine Ueberfülle von Personen und Begebenheiten, deshalb muß erst durch Zusammenschmelzung sich der grandiose Stoff zum künstlerischen Drama gestalten. Dies hat auch Aristoteles gebilligt, indem er sagte: „der dramatische Dichter benutzt einen historischen Stoff nicht etwa, weil er historisch ist, son¬ dern weil er ihn zu seinem vorliegenden Zwecke schwerlich besser er¬ dichten könnte." Hofschauspiel er in. DaS ist sehr verständig gesprochen! War Herr Aristoteles selbst ausübender Künstler? Professor. Nein, Madame! Er schuf in Griechenland das Gesetzbuch der Tragödie, und es ist so weise, als hätte es Solon, Grcnzlwtcn I84S. I. II

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/83>, abgerufen am 22.07.2024.