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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Jambus dagegen umschifft sich leicht die Klippe einer lächerlichen
Trivialität, und ihre Musik läßt selten Plumpheit und Anstandslosig-
keit durchdringen. Stände unsere Sprache auf dem Gipfel der Aus¬
bildung, wie die französische, dann müßte man unbedingt jede Tra¬
gödie in Prosa dichten. Aber noch leistet sie Widerstand, noch hat
sie zu wenig rein deutsche Eleganz, als daß man in ungebundener
Rede fremde Wörter völlig vermeiden könnte, und diese werden in
leidenschaftlichen Scenen stets unangenehm empfunden.

Dichter. Sie haben Recht! Was Sie eben sagten, empfand
ich deutlich, als ich versuchte, den König und die Königin eines
Trauerspiels in Prosa sprechen zu lassen. Und wie sollte mir das
auch wohl gelungen sein, da doch die Fürsten Deutschlands selbst ihre
Muttersprache verschmähen, da man noch an den meisten Höfen
fremde Laute zum Ausdruck der Gedanken wählt.

Attacho (beißt sich in die Lippe.)

Redacteur (für sich.) Das hat er gut gemacht.

Director. Die Meinungen sind getheilt! Glücklicherweise
lehren uns altenglische Dramatiker, die Prosa mit dem Verse zu ver¬
einen. -- Aber die Stoffe! Welche möchten wohl die dankbarsten
sein?

Altans". Nur die allermodernsten!

Professor. Im Gegentheil! Nur die antiken.

Fräulein. Wie wär' es, wenn Sie einmal den Somnambu¬
lismus, das Mittclreich und die Geister, in all ihrem träumerischen
Reiz, auf das Theater brächten?

Redacteur. Gespenster machen noch keine Geister, werthes
Fräulein; mit Träumen ist uns nicht gedient, wir brauchen Blut,
Leben, Geschichte, das ewige, großartige Abbild der Vvlkcrentwickelung.

Dichter. Ich habe einen trefflichen Stoff aus der römischen
Geschichte. . .

Hofschauspielerin. Hilfe! Rettung! Herr Genialio will
uns mit einer Tragödie beschenken, in der wir Tricots, Sandalen
und römische Schleier tragen sollen. Sie sind ja mit den scenischen
Verhältnissen so unbekannt, wie ein Waldmensch. Wer wird Ihnen
wohl in solchem Vogelscheuchencostüm spielen? Das Stück bringen
Sie nimmermehr zur Aufführung, denn die erste Heldin bekommt re-


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Jambus dagegen umschifft sich leicht die Klippe einer lächerlichen
Trivialität, und ihre Musik läßt selten Plumpheit und Anstandslosig-
keit durchdringen. Stände unsere Sprache auf dem Gipfel der Aus¬
bildung, wie die französische, dann müßte man unbedingt jede Tra¬
gödie in Prosa dichten. Aber noch leistet sie Widerstand, noch hat
sie zu wenig rein deutsche Eleganz, als daß man in ungebundener
Rede fremde Wörter völlig vermeiden könnte, und diese werden in
leidenschaftlichen Scenen stets unangenehm empfunden.

Dichter. Sie haben Recht! Was Sie eben sagten, empfand
ich deutlich, als ich versuchte, den König und die Königin eines
Trauerspiels in Prosa sprechen zu lassen. Und wie sollte mir das
auch wohl gelungen sein, da doch die Fürsten Deutschlands selbst ihre
Muttersprache verschmähen, da man noch an den meisten Höfen
fremde Laute zum Ausdruck der Gedanken wählt.

Attacho (beißt sich in die Lippe.)

Redacteur (für sich.) Das hat er gut gemacht.

Director. Die Meinungen sind getheilt! Glücklicherweise
lehren uns altenglische Dramatiker, die Prosa mit dem Verse zu ver¬
einen. — Aber die Stoffe! Welche möchten wohl die dankbarsten
sein?

Altans«. Nur die allermodernsten!

Professor. Im Gegentheil! Nur die antiken.

Fräulein. Wie wär' es, wenn Sie einmal den Somnambu¬
lismus, das Mittclreich und die Geister, in all ihrem träumerischen
Reiz, auf das Theater brächten?

Redacteur. Gespenster machen noch keine Geister, werthes
Fräulein; mit Träumen ist uns nicht gedient, wir brauchen Blut,
Leben, Geschichte, das ewige, großartige Abbild der Vvlkcrentwickelung.

Dichter. Ich habe einen trefflichen Stoff aus der römischen
Geschichte. . .

Hofschauspielerin. Hilfe! Rettung! Herr Genialio will
uns mit einer Tragödie beschenken, in der wir Tricots, Sandalen
und römische Schleier tragen sollen. Sie sind ja mit den scenischen
Verhältnissen so unbekannt, wie ein Waldmensch. Wer wird Ihnen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/82>, abgerufen am 22.07.2024.