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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Attache (zum Redacteur.) Da haben Sie Ihr sogenanntes
Volk, von dem Ihr Publicisten inimer so viel sprecht; Dummheit
und Jndifferentismus sind seine Haupteigenschaften.

Dichter. Ja, wer aber hat das Publicum so herabgestimmt.
als unsere Bühnendirectionen selbst. Seit Jahren schon haust ein
Lindwurm in ihren Höhlen, das schrecklichste Ungethüm, von welchem
Kunst und Poesie bedroht werden können. Sein Blick erschlafft, sein
Hauch vergiftet ... es heißt - die Mittelmäßigkeit.

Redacteur. Wohl gesprochen, junger Mann! Keine Kunst
bat das wirklich Schlechte, das positiv Unsinnige zu fürchten. Die
deutschen Ritterstücke gingen sporenklirrend, die französischen Melo¬
dramen zähneklappernd vorüber, doch sie verschwanden bald, ohne eine
Spur zurückzulassen. Aber die bleiche, farblose Mittelmäßigkeit, sie
ist die Pest, die allen frischen Muth erschlafft, sie ist die Blausäure,
die alle geistige Regsamkeit abstumpft. (Auf das schlafende Publicum
zeigend): Hier sind die Früchte dieser Aussaat!

Director. Lassen Sie uns wieder zu unseren Berathungen
kommen, meine Herrschaften, und wenn es Ihnen recht ist, zuerst das
Trauerspiel besprechen.

Dichter. Welche Form würden Sie mir empfehlen; die Prosa
oder den Vers?

Professor. Unbedingt den Vers! Er ist geheiligt durch das
Beispiel antiker und moderner Dichterheroen, und gewiß verleiht er
jedem tragischen Gebild eine classische Glätte, eine wohlthuende Har¬
monie.

Redacteur. Ich halt' es mit der Prosa, mit dieser verständi¬
gen, flinken und prätentionslosen Hausfrall, die ihre Empfindungen
gerade so heraussagt, während der Vers, einer listigen Coquette gleich,
jede Silbe hundertmal vor dem Spiegel umdreht, ob sie ihr s o bes¬
ser stehe, oder so. Die Prosa schallt kräftiger, lebenswahrer von der
Bühne herab; sie läßt das Publicum Coulissen und Soffiten viel
eher vergessen, der Schauspieler bedarf auch nicht so sehr des nach¬
helfenden Souffleurs; auch gibt es viele Talente, die gute Stücke
schreiben würden, wenn nicht die phrasenhaften Verse sie immer so
weit von der Hauptsache abführen möchten.

Attache. Jedenfalls kann der Deutsche leichter ein Stück in
Versen, als in Prosa schreiben, denn unsere Prosa wird nur zu gern


Attache (zum Redacteur.) Da haben Sie Ihr sogenanntes
Volk, von dem Ihr Publicisten inimer so viel sprecht; Dummheit
und Jndifferentismus sind seine Haupteigenschaften.

Dichter. Ja, wer aber hat das Publicum so herabgestimmt.
als unsere Bühnendirectionen selbst. Seit Jahren schon haust ein
Lindwurm in ihren Höhlen, das schrecklichste Ungethüm, von welchem
Kunst und Poesie bedroht werden können. Sein Blick erschlafft, sein
Hauch vergiftet ... es heißt - die Mittelmäßigkeit.

Redacteur. Wohl gesprochen, junger Mann! Keine Kunst
bat das wirklich Schlechte, das positiv Unsinnige zu fürchten. Die
deutschen Ritterstücke gingen sporenklirrend, die französischen Melo¬
dramen zähneklappernd vorüber, doch sie verschwanden bald, ohne eine
Spur zurückzulassen. Aber die bleiche, farblose Mittelmäßigkeit, sie
ist die Pest, die allen frischen Muth erschlafft, sie ist die Blausäure,
die alle geistige Regsamkeit abstumpft. (Auf das schlafende Publicum
zeigend): Hier sind die Früchte dieser Aussaat!

Director. Lassen Sie uns wieder zu unseren Berathungen
kommen, meine Herrschaften, und wenn es Ihnen recht ist, zuerst das
Trauerspiel besprechen.

Dichter. Welche Form würden Sie mir empfehlen; die Prosa
oder den Vers?

Professor. Unbedingt den Vers! Er ist geheiligt durch das
Beispiel antiker und moderner Dichterheroen, und gewiß verleiht er
jedem tragischen Gebild eine classische Glätte, eine wohlthuende Har¬
monie.

Redacteur. Ich halt' es mit der Prosa, mit dieser verständi¬
gen, flinken und prätentionslosen Hausfrall, die ihre Empfindungen
gerade so heraussagt, während der Vers, einer listigen Coquette gleich,
jede Silbe hundertmal vor dem Spiegel umdreht, ob sie ihr s o bes¬
ser stehe, oder so. Die Prosa schallt kräftiger, lebenswahrer von der
Bühne herab; sie läßt das Publicum Coulissen und Soffiten viel
eher vergessen, der Schauspieler bedarf auch nicht so sehr des nach¬
helfenden Souffleurs; auch gibt es viele Talente, die gute Stücke
schreiben würden, wenn nicht die phrasenhaften Verse sie immer so
weit von der Hauptsache abführen möchten.

Attache. Jedenfalls kann der Deutsche leichter ein Stück in
Versen, als in Prosa schreiben, denn unsere Prosa wird nur zu gern


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[0081] Attache (zum Redacteur.) Da haben Sie Ihr sogenanntes Volk, von dem Ihr Publicisten inimer so viel sprecht; Dummheit und Jndifferentismus sind seine Haupteigenschaften. Dichter. Ja, wer aber hat das Publicum so herabgestimmt. als unsere Bühnendirectionen selbst. Seit Jahren schon haust ein Lindwurm in ihren Höhlen, das schrecklichste Ungethüm, von welchem Kunst und Poesie bedroht werden können. Sein Blick erschlafft, sein Hauch vergiftet ... es heißt - die Mittelmäßigkeit. Redacteur. Wohl gesprochen, junger Mann! Keine Kunst bat das wirklich Schlechte, das positiv Unsinnige zu fürchten. Die deutschen Ritterstücke gingen sporenklirrend, die französischen Melo¬ dramen zähneklappernd vorüber, doch sie verschwanden bald, ohne eine Spur zurückzulassen. Aber die bleiche, farblose Mittelmäßigkeit, sie ist die Pest, die allen frischen Muth erschlafft, sie ist die Blausäure, die alle geistige Regsamkeit abstumpft. (Auf das schlafende Publicum zeigend): Hier sind die Früchte dieser Aussaat! Director. Lassen Sie uns wieder zu unseren Berathungen kommen, meine Herrschaften, und wenn es Ihnen recht ist, zuerst das Trauerspiel besprechen. Dichter. Welche Form würden Sie mir empfehlen; die Prosa oder den Vers? Professor. Unbedingt den Vers! Er ist geheiligt durch das Beispiel antiker und moderner Dichterheroen, und gewiß verleiht er jedem tragischen Gebild eine classische Glätte, eine wohlthuende Har¬ monie. Redacteur. Ich halt' es mit der Prosa, mit dieser verständi¬ gen, flinken und prätentionslosen Hausfrall, die ihre Empfindungen gerade so heraussagt, während der Vers, einer listigen Coquette gleich, jede Silbe hundertmal vor dem Spiegel umdreht, ob sie ihr s o bes¬ ser stehe, oder so. Die Prosa schallt kräftiger, lebenswahrer von der Bühne herab; sie läßt das Publicum Coulissen und Soffiten viel eher vergessen, der Schauspieler bedarf auch nicht so sehr des nach¬ helfenden Souffleurs; auch gibt es viele Talente, die gute Stücke schreiben würden, wenn nicht die phrasenhaften Verse sie immer so weit von der Hauptsache abführen möchten. Attache. Jedenfalls kann der Deutsche leichter ein Stück in Versen, als in Prosa schreiben, denn unsere Prosa wird nur zu gern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/81>, abgerufen am 22.07.2024.