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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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gemeinsame Vaterland gemeint haben? -- Die Großmutter wurde
auch untersucht, und ihre Dose auch. -- Nach längerer Haft wurde
der Inculpat gegen Eaution .freigelassen. Indessen war die Gro߬
mutter gestorben.

Aber es kamen auch erfreulichere Fälle vor. Einmal legte sich
ein Unterthan aus dem Volke der Träumer hin, schloß die Augen
und rief: Lrndesvater, -- Vaterland -- Heil -- Liebe -- hoch!
Am andern Morgen bekam er ein eigenhändiges Schreiben vom Herrn
von Heimlicher, der ihm seinen gnädigen Beifall zu erkennen
gab. -- Er war im Traume offenbar bei einem loyalen
Zweckessen gewesen und hatte einen patriotischen Toast ausgebracht.

So vergingen viele, viele Lebensjahre. DaS Leben der Unter¬
thanen des Königs Amadeus des Gutwilligen theilte sich auf eine
schone Weise in Träume und in Untersuchtwerden. Es ist eine alte
Erfahrung und ganz natürlich, daß, wenn man einmal zu träumen
angefangen und seine Träume zu viel bespricht, man immer tiefer
und tiefer in's Träumen hineingerälh. So "rar es auch hier. Die
ewigen Untersuchungen, die Traumgesetze, das beständige Besprechen
der Träume in Zeitungen und Brochüren hatte die natürliche Folge,
daß das ganze Volk nichts Anderes that als träumen. Aber die
Träume wurden ängstlicher; Untersuchung folgte auf Untersuchung;
es wurde verurtheilt, eS wurden Aufenthaltskarten entzogen. Umsonst
ernährten die Väter ihre Kinder; man träumte. Man fürchtete end¬
lich den Schlaf, man gewohnte sich ihn gänzlich ab; aber das Träu¬
men konnte man nicht lassen; man träumte wachend. In den Gassen
sah man Schwärme von Träumern herumtaumeln, und jedem Ein¬
zelnen folgte ein Trauminspector auf dem Fuße und verzeichnete. Es
war nicht länger auszuhalten. Die Menschen wurden blaß und
mager, der Somnambulismus nahm überHand und Clairvoyante und
Propheten traten auf.

Indessen war König Amadeus der Gutwillige alt und schwach
geworden. Er saß an einem schönen Sommerabende in seinem Fau-
teuil und sah lächelnd vor sich hin. Er fühlte zwar, daß er bald den
Weg alles Fleisches wandeln müsse, aber er war doch innerlich hei¬
ter und glücklich. Denn sein gutes Gewissen sagte ihm ja, er habe
Alles gethan, was Völker beglücken könne; man habe ihn zu nichts
Bösem bereden können, und er sei stets seiner eigenen, wohlmei-


gemeinsame Vaterland gemeint haben? — Die Großmutter wurde
auch untersucht, und ihre Dose auch. — Nach längerer Haft wurde
der Inculpat gegen Eaution .freigelassen. Indessen war die Gro߬
mutter gestorben.

Aber es kamen auch erfreulichere Fälle vor. Einmal legte sich
ein Unterthan aus dem Volke der Träumer hin, schloß die Augen
und rief: Lrndesvater, — Vaterland — Heil — Liebe — hoch!
Am andern Morgen bekam er ein eigenhändiges Schreiben vom Herrn
von Heimlicher, der ihm seinen gnädigen Beifall zu erkennen
gab. — Er war im Traume offenbar bei einem loyalen
Zweckessen gewesen und hatte einen patriotischen Toast ausgebracht.

So vergingen viele, viele Lebensjahre. DaS Leben der Unter¬
thanen des Königs Amadeus des Gutwilligen theilte sich auf eine
schone Weise in Träume und in Untersuchtwerden. Es ist eine alte
Erfahrung und ganz natürlich, daß, wenn man einmal zu träumen
angefangen und seine Träume zu viel bespricht, man immer tiefer
und tiefer in's Träumen hineingerälh. So »rar es auch hier. Die
ewigen Untersuchungen, die Traumgesetze, das beständige Besprechen
der Träume in Zeitungen und Brochüren hatte die natürliche Folge,
daß das ganze Volk nichts Anderes that als träumen. Aber die
Träume wurden ängstlicher; Untersuchung folgte auf Untersuchung;
es wurde verurtheilt, eS wurden Aufenthaltskarten entzogen. Umsonst
ernährten die Väter ihre Kinder; man träumte. Man fürchtete end¬
lich den Schlaf, man gewohnte sich ihn gänzlich ab; aber das Träu¬
men konnte man nicht lassen; man träumte wachend. In den Gassen
sah man Schwärme von Träumern herumtaumeln, und jedem Ein¬
zelnen folgte ein Trauminspector auf dem Fuße und verzeichnete. Es
war nicht länger auszuhalten. Die Menschen wurden blaß und
mager, der Somnambulismus nahm überHand und Clairvoyante und
Propheten traten auf.

Indessen war König Amadeus der Gutwillige alt und schwach
geworden. Er saß an einem schönen Sommerabende in seinem Fau-
teuil und sah lächelnd vor sich hin. Er fühlte zwar, daß er bald den
Weg alles Fleisches wandeln müsse, aber er war doch innerlich hei¬
ter und glücklich. Denn sein gutes Gewissen sagte ihm ja, er habe
Alles gethan, was Völker beglücken könne; man habe ihn zu nichts
Bösem bereden können, und er sei stets seiner eigenen, wohlmei-


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[0066] gemeinsame Vaterland gemeint haben? — Die Großmutter wurde auch untersucht, und ihre Dose auch. — Nach längerer Haft wurde der Inculpat gegen Eaution .freigelassen. Indessen war die Gro߬ mutter gestorben. Aber es kamen auch erfreulichere Fälle vor. Einmal legte sich ein Unterthan aus dem Volke der Träumer hin, schloß die Augen und rief: Lrndesvater, — Vaterland — Heil — Liebe — hoch! Am andern Morgen bekam er ein eigenhändiges Schreiben vom Herrn von Heimlicher, der ihm seinen gnädigen Beifall zu erkennen gab. — Er war im Traume offenbar bei einem loyalen Zweckessen gewesen und hatte einen patriotischen Toast ausgebracht. So vergingen viele, viele Lebensjahre. DaS Leben der Unter¬ thanen des Königs Amadeus des Gutwilligen theilte sich auf eine schone Weise in Träume und in Untersuchtwerden. Es ist eine alte Erfahrung und ganz natürlich, daß, wenn man einmal zu träumen angefangen und seine Träume zu viel bespricht, man immer tiefer und tiefer in's Träumen hineingerälh. So »rar es auch hier. Die ewigen Untersuchungen, die Traumgesetze, das beständige Besprechen der Träume in Zeitungen und Brochüren hatte die natürliche Folge, daß das ganze Volk nichts Anderes that als träumen. Aber die Träume wurden ängstlicher; Untersuchung folgte auf Untersuchung; es wurde verurtheilt, eS wurden Aufenthaltskarten entzogen. Umsonst ernährten die Väter ihre Kinder; man träumte. Man fürchtete end¬ lich den Schlaf, man gewohnte sich ihn gänzlich ab; aber das Träu¬ men konnte man nicht lassen; man träumte wachend. In den Gassen sah man Schwärme von Träumern herumtaumeln, und jedem Ein¬ zelnen folgte ein Trauminspector auf dem Fuße und verzeichnete. Es war nicht länger auszuhalten. Die Menschen wurden blaß und mager, der Somnambulismus nahm überHand und Clairvoyante und Propheten traten auf. Indessen war König Amadeus der Gutwillige alt und schwach geworden. Er saß an einem schönen Sommerabende in seinem Fau- teuil und sah lächelnd vor sich hin. Er fühlte zwar, daß er bald den Weg alles Fleisches wandeln müsse, aber er war doch innerlich hei¬ ter und glücklich. Denn sein gutes Gewissen sagte ihm ja, er habe Alles gethan, was Völker beglücken könne; man habe ihn zu nichts Bösem bereden können, und er sei stets seiner eigenen, wohlmei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/66>, abgerufen am 22.07.2024.