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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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durch die erste Täuschung gewitzigt, bald auch der Berichtigung kei¬
nen Glauben geschenkt; denn Müller -- so kann Jeder heißen. --
Allein Prutz selbst erklärt jetzt in der Deutschen Allgemeinen, daß er
nicht jener Müller ist, sondern ruhig in Halle sitzt, ja sogar nach
Berlin übersiedeln, also gleichsam unmittelbar unter die Kanonen des
Feindes rücken will. Denn daß ihm, "wegen Majestätsbeleidigung,"
der Prozeß gemacht wird, daran ist leider Nichts zu berichtigen.

-- Wir fangen an, sehr loyal zu werden: d. h. wir bringen
noch eine Berichtigung. Den Verfasser der "Waise von Lucca," ">.
Wiener hielten wir (siehe voriges Heft) für identisch mit dem Ver¬
fasser der "russisch-politischen Arithmetik" l)> Wiesner in Wien.
Er ist es aber nicht. Dieser !)>-. Wiener ist vielmehr gar kein Wie¬
ner, sondern ein Berliner, und hat sich bereits durch einen Roman
bekannt gemacht, dessen Heldin eine Somnambule ist. Vr. Wiesner
hat übrigens auch Dramen geschrieben, von denen Jnez de Castro,
wie im vorigen Hefte bemerkt ist, in Wien und Weimar gegeben wurde.

-- Die Ausweisung deutscher Schriftsteller aus Paris datirt
nicht etwa erst von heute. Vor ohngefähr zwei Jahren ließ A. Weilt
im Telegraphen gegen Louis Philipp einige Artikel drucken. Bako
darauf wurde er auf die Polizei in Paris berufen. -- Sie sind deut¬
scher Schriftsteller? frug ihn der Commissär? -- Ja, mein Herr! --
Sind Sie der Verfasser dieses Artikels? -- Ja, mein Herr! -- Nun
wohl so werden Sie sich bereit halten, Frankreich binnen fünf Tagen
zu verlassen. -- Nein, mein Herr. -- Das wollen wir sehen; haben
Sie Ihren Paß bei der Hand? -- Nein, mein Herr! -- Wie, Sie
haben keinen Paß? -- Nein, mein Herr! -- Sind Sie politischer
Flüchtling ? -- Nein, mein Herr. -- Nicht? und mit welchem Rechte
wollen Sie hier bleiben? -- Ick) bin Franzose, mein Herr! --
Franzose? -- Ja, mein Herr! -- Und Sie schreiben deutsch? --
Ja, mein Herr. -- Wo haben Sie Ihren Geburtsschein? -- Da,
mein Herr. -- Ah, Sie sind aus dem Elsaß! -- Ja, mein Herr!
-- Das ist eine andere Sache. Ich bitte srhr um Entschuldigung.
-- Guten Tag, mein Herr!

-- Bei dem confusen Durcheinander, welches in den gedruckten
Verhandlungen der preußischen Provinziallandtage herrscht, bei der
Schwierigkeit für den Laien, sich diese namenlosen Hin- und Herred¬
ner, diese lückenhaften Sätze in dramatischer Klarheit vorzustellen, wäre
es pic Aufgabe der Zeitungs-Redactionen, ein deutliches Nasua<! der
jedesmaligen Sitzung den ausführlichen Verhandlungen voran zu
schicken, damit das große Publicum, welches noch nicht an derlei par¬
lamentarische Proceduren gewöhnt ist, vieler Voraussetzungen entbehrt,


durch die erste Täuschung gewitzigt, bald auch der Berichtigung kei¬
nen Glauben geschenkt; denn Müller — so kann Jeder heißen. —
Allein Prutz selbst erklärt jetzt in der Deutschen Allgemeinen, daß er
nicht jener Müller ist, sondern ruhig in Halle sitzt, ja sogar nach
Berlin übersiedeln, also gleichsam unmittelbar unter die Kanonen des
Feindes rücken will. Denn daß ihm, „wegen Majestätsbeleidigung,"
der Prozeß gemacht wird, daran ist leider Nichts zu berichtigen.

— Wir fangen an, sehr loyal zu werden: d. h. wir bringen
noch eine Berichtigung. Den Verfasser der „Waise von Lucca," »>.
Wiener hielten wir (siehe voriges Heft) für identisch mit dem Ver¬
fasser der „russisch-politischen Arithmetik" l)> Wiesner in Wien.
Er ist es aber nicht. Dieser !)>-. Wiener ist vielmehr gar kein Wie¬
ner, sondern ein Berliner, und hat sich bereits durch einen Roman
bekannt gemacht, dessen Heldin eine Somnambule ist. Vr. Wiesner
hat übrigens auch Dramen geschrieben, von denen Jnez de Castro,
wie im vorigen Hefte bemerkt ist, in Wien und Weimar gegeben wurde.

— Die Ausweisung deutscher Schriftsteller aus Paris datirt
nicht etwa erst von heute. Vor ohngefähr zwei Jahren ließ A. Weilt
im Telegraphen gegen Louis Philipp einige Artikel drucken. Bako
darauf wurde er auf die Polizei in Paris berufen. — Sie sind deut¬
scher Schriftsteller? frug ihn der Commissär? — Ja, mein Herr! —
Sind Sie der Verfasser dieses Artikels? — Ja, mein Herr! — Nun
wohl so werden Sie sich bereit halten, Frankreich binnen fünf Tagen
zu verlassen. — Nein, mein Herr. — Das wollen wir sehen; haben
Sie Ihren Paß bei der Hand? — Nein, mein Herr! — Wie, Sie
haben keinen Paß? — Nein, mein Herr! — Sind Sie politischer
Flüchtling ? — Nein, mein Herr. — Nicht? und mit welchem Rechte
wollen Sie hier bleiben? — Ick) bin Franzose, mein Herr! —
Franzose? — Ja, mein Herr! — Und Sie schreiben deutsch? —
Ja, mein Herr. — Wo haben Sie Ihren Geburtsschein? — Da,
mein Herr. — Ah, Sie sind aus dem Elsaß! — Ja, mein Herr!
— Das ist eine andere Sache. Ich bitte srhr um Entschuldigung.
— Guten Tag, mein Herr!

— Bei dem confusen Durcheinander, welches in den gedruckten
Verhandlungen der preußischen Provinziallandtage herrscht, bei der
Schwierigkeit für den Laien, sich diese namenlosen Hin- und Herred¬
ner, diese lückenhaften Sätze in dramatischer Klarheit vorzustellen, wäre
es pic Aufgabe der Zeitungs-Redactionen, ein deutliches Nasua<! der
jedesmaligen Sitzung den ausführlichen Verhandlungen voran zu
schicken, damit das große Publicum, welches noch nicht an derlei par¬
lamentarische Proceduren gewöhnt ist, vieler Voraussetzungen entbehrt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/637>, abgerufen am 22.07.2024.