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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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und manchen juridischen Fachausdruck, manche Beziehung auf ein be¬
stehendes Gesetz nicht versteht, einen deutlichen Begriff davon erhalte,
was die Herren Deputirten eigentlich in ihren Sitzungen wollen und
-- nicht wollen. Die französischen Journale, die doch die Kammer¬
reden vollständig liefern, mit Nennung der Personen und zwar in ei¬
ner klaren eleganten Sprache, ohne jene barbarische Syntax und hand¬
werksmäßiges Kauderwelsch, welche die preußischen Parlaments- (!)
Berichte auszeichnen, bringen doch jedesmal in ihrem l^iemier l^in-is
eine kurze beleuchtende Uebersicht über den Gegenstand und das Resul¬
tat einer jeden Sitzung, wobei sie den Wortheil haben, das letztere
von ihrem Gesichtspunkte aus zu beleuchten und zu kritistrrn. Viel¬
leicht ist es aber gerade das letztere, welchem die deutschen Journal-
Redactionen ausweichen wollen oder ausweichen müssen. Gut! it. h.
schlicht!) laßt die Kritik bei Seite, aber gebt wenigstens das Resul¬
tat dem Leser und erleichtert ihm das halsbrecherische Klettern auf der
holperigen Verhandlungsleiter. -- Die an den Landtagen mit der Re¬
daction der Verhandlungen beauftragten Deputirten könnten sich übri¬
gens ihr schwieriges Geschäft erleichtern, Wenn es auch verboten ist,
die Namen der Redner zu nennen oder durch Anfangsbuchstaben zu
bezeichnen, so könnte man doch jedem wenigstens eine Ziffer geben.
Statt in einer langen Periode sagen zu müssen; "Hierauf entgegnete
der oben erwähnte Redner aus dem Stande der Städte" so könnten
sie schreiben: hierauf ermahnte der Deputirte A. oder B. -- Es sind
oft ein halbes Dutzend Redner aus dem Stande der Städte u. s. w.
oben erwähnt und man weiß nicht, meint man oben am Anfang,
oben in der Mitte oder oben unten.

-- Sieht man sich genau um, so ist Deutschland von allen
Seiten mit Feinden versorgt und es kann ihm nie an Opponenten
fehlen, wenn es um den nationalen Doctorgrad disputiren will. Zu¬
erst Rom. Der Streit mit Rom hat die Hohenstaufen ruinirt und
Deutschland gespalten, weil die Resultate immer nur halbe waren.
Die Kämpfe mit Frankreich haben uns mehr genützt; sie brachten auch
eine Entzweiung hervor, indem sie den politischen Liberalismus weck¬
ten, aber allem Anscheine nach wird dieser einen ganzen Sieg erfechten und
so die Einheit wieder herstellen. Mit Rußland begannen wir, zunächst
auf dem Papier, zum ersten Mal anzubinden, als Rom, "unsere alte
Liebe," dazwischen kam. Rußland ist wie vergessen, und doch verspre¬
chen wir uns von einer ordentlichen Affaire mit ihm am meisten Heil
für Deutschland. Als Lückenbisser in Nebenstunden haben wir Dänen,
Ungarn, Slowaken :c.




Verlag von Fr. Ludw. Hcrbig. -- Redacteur I. K"vauda.
Druck von Friedrich Andrä.

und manchen juridischen Fachausdruck, manche Beziehung auf ein be¬
stehendes Gesetz nicht versteht, einen deutlichen Begriff davon erhalte,
was die Herren Deputirten eigentlich in ihren Sitzungen wollen und
— nicht wollen. Die französischen Journale, die doch die Kammer¬
reden vollständig liefern, mit Nennung der Personen und zwar in ei¬
ner klaren eleganten Sprache, ohne jene barbarische Syntax und hand¬
werksmäßiges Kauderwelsch, welche die preußischen Parlaments- (!)
Berichte auszeichnen, bringen doch jedesmal in ihrem l^iemier l^in-is
eine kurze beleuchtende Uebersicht über den Gegenstand und das Resul¬
tat einer jeden Sitzung, wobei sie den Wortheil haben, das letztere
von ihrem Gesichtspunkte aus zu beleuchten und zu kritistrrn. Viel¬
leicht ist es aber gerade das letztere, welchem die deutschen Journal-
Redactionen ausweichen wollen oder ausweichen müssen. Gut! it. h.
schlicht!) laßt die Kritik bei Seite, aber gebt wenigstens das Resul¬
tat dem Leser und erleichtert ihm das halsbrecherische Klettern auf der
holperigen Verhandlungsleiter. — Die an den Landtagen mit der Re¬
daction der Verhandlungen beauftragten Deputirten könnten sich übri¬
gens ihr schwieriges Geschäft erleichtern, Wenn es auch verboten ist,
die Namen der Redner zu nennen oder durch Anfangsbuchstaben zu
bezeichnen, so könnte man doch jedem wenigstens eine Ziffer geben.
Statt in einer langen Periode sagen zu müssen; „Hierauf entgegnete
der oben erwähnte Redner aus dem Stande der Städte" so könnten
sie schreiben: hierauf ermahnte der Deputirte A. oder B. — Es sind
oft ein halbes Dutzend Redner aus dem Stande der Städte u. s. w.
oben erwähnt und man weiß nicht, meint man oben am Anfang,
oben in der Mitte oder oben unten.

— Sieht man sich genau um, so ist Deutschland von allen
Seiten mit Feinden versorgt und es kann ihm nie an Opponenten
fehlen, wenn es um den nationalen Doctorgrad disputiren will. Zu¬
erst Rom. Der Streit mit Rom hat die Hohenstaufen ruinirt und
Deutschland gespalten, weil die Resultate immer nur halbe waren.
Die Kämpfe mit Frankreich haben uns mehr genützt; sie brachten auch
eine Entzweiung hervor, indem sie den politischen Liberalismus weck¬
ten, aber allem Anscheine nach wird dieser einen ganzen Sieg erfechten und
so die Einheit wieder herstellen. Mit Rußland begannen wir, zunächst
auf dem Papier, zum ersten Mal anzubinden, als Rom, „unsere alte
Liebe," dazwischen kam. Rußland ist wie vergessen, und doch verspre¬
chen wir uns von einer ordentlichen Affaire mit ihm am meisten Heil
für Deutschland. Als Lückenbisser in Nebenstunden haben wir Dänen,
Ungarn, Slowaken :c.




Verlag von Fr. Ludw. Hcrbig. — Redacteur I. K«vauda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0638] und manchen juridischen Fachausdruck, manche Beziehung auf ein be¬ stehendes Gesetz nicht versteht, einen deutlichen Begriff davon erhalte, was die Herren Deputirten eigentlich in ihren Sitzungen wollen und — nicht wollen. Die französischen Journale, die doch die Kammer¬ reden vollständig liefern, mit Nennung der Personen und zwar in ei¬ ner klaren eleganten Sprache, ohne jene barbarische Syntax und hand¬ werksmäßiges Kauderwelsch, welche die preußischen Parlaments- (!) Berichte auszeichnen, bringen doch jedesmal in ihrem l^iemier l^in-is eine kurze beleuchtende Uebersicht über den Gegenstand und das Resul¬ tat einer jeden Sitzung, wobei sie den Wortheil haben, das letztere von ihrem Gesichtspunkte aus zu beleuchten und zu kritistrrn. Viel¬ leicht ist es aber gerade das letztere, welchem die deutschen Journal- Redactionen ausweichen wollen oder ausweichen müssen. Gut! it. h. schlicht!) laßt die Kritik bei Seite, aber gebt wenigstens das Resul¬ tat dem Leser und erleichtert ihm das halsbrecherische Klettern auf der holperigen Verhandlungsleiter. — Die an den Landtagen mit der Re¬ daction der Verhandlungen beauftragten Deputirten könnten sich übri¬ gens ihr schwieriges Geschäft erleichtern, Wenn es auch verboten ist, die Namen der Redner zu nennen oder durch Anfangsbuchstaben zu bezeichnen, so könnte man doch jedem wenigstens eine Ziffer geben. Statt in einer langen Periode sagen zu müssen; „Hierauf entgegnete der oben erwähnte Redner aus dem Stande der Städte" so könnten sie schreiben: hierauf ermahnte der Deputirte A. oder B. — Es sind oft ein halbes Dutzend Redner aus dem Stande der Städte u. s. w. oben erwähnt und man weiß nicht, meint man oben am Anfang, oben in der Mitte oder oben unten. — Sieht man sich genau um, so ist Deutschland von allen Seiten mit Feinden versorgt und es kann ihm nie an Opponenten fehlen, wenn es um den nationalen Doctorgrad disputiren will. Zu¬ erst Rom. Der Streit mit Rom hat die Hohenstaufen ruinirt und Deutschland gespalten, weil die Resultate immer nur halbe waren. Die Kämpfe mit Frankreich haben uns mehr genützt; sie brachten auch eine Entzweiung hervor, indem sie den politischen Liberalismus weck¬ ten, aber allem Anscheine nach wird dieser einen ganzen Sieg erfechten und so die Einheit wieder herstellen. Mit Rußland begannen wir, zunächst auf dem Papier, zum ersten Mal anzubinden, als Rom, „unsere alte Liebe," dazwischen kam. Rußland ist wie vergessen, und doch verspre¬ chen wir uns von einer ordentlichen Affaire mit ihm am meisten Heil für Deutschland. Als Lückenbisser in Nebenstunden haben wir Dänen, Ungarn, Slowaken :c. Verlag von Fr. Ludw. Hcrbig. — Redacteur I. K«vauda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/638>, abgerufen am 22.07.2024.