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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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-- Sollten etwa Bemerkungen, wie die vorhergehende, einem
Journal zur Ehre verhelfen können, in Hessen-Cassel verboten zu wer¬
den? Wir brachten ahnliche Notizen über Jordan, gleich andern deut¬
schen Blättern, und erklärten uns daraus den Umstand, daß seit Ja¬
nuar 1845 alle Grenzbotcnexemplare aus Hessen uns zurückgesandt
wurden. Jetzt lesen wir im "Telegraphen," daß die Grenzboten wegen
eines Artikels über die Universität Marburg von Dronte in
Hessen zu leicht befunden worden sind. Es scheint also immer noch
gefährlicher, den Nimbus deutscher Professoren anzutasten, als die deut¬
scher Minister. Oder thun wir den Marburger Professoren Unrecht
und sind sie, statt als unsere Ankläger aufzutreten, nur als Sünden¬
böcke vorgeschoben worden? Das wäre doch wahrlich nicht der Mühe
werth.

-- Man schreibt uns aus Berlin: Gutzkow's "Urbild des Tar-
tüffe" ist hier mit großem Beifall gegeben worden. Diese Arbeit des
nie ruhenden Schriftstellers ist reich an Talent und Erfindungskraft.
Will man ihr aber einen Tadel anhängen, so dürfte wohl der der ge¬
gründetste sein, daß der Präsident Lamoignon sich in dem Stücke durch¬
aus nicht als Heuchler und schlechter Mensch beweist, sondern daß
man nur aus seinen Worten auf seine Thaten schließen muß. Wenn der
Darsteller dieses Charakters, Herr Hopp"-, denselben falsch auffaßte
und weit mehr eine Maske, als einen Menschen gab, so möchte er da¬
rin durch die passive Rolle, welche Gutzkow dem Lamoignon zuge¬
wiesen, ziemlich bestärkt worden sein. Uebrigens liefert diefes neue
Werk Gutzkow's den deutlichen Beweis, wie unveränderlich der Dich¬
ter in seinem Streben geblieben und wie er es verstanden hat, in
den kritischen Stürmen des Lebens sich die eigentlichen Wurzeln zu
decken. In der Figur des Molare erschien uns der ganze Gutzkow;
wie er seinen Haß und seine Liebe schon früher einmal einer drama¬
tischen Person, dem Steele, in den Mund legte, so fand er diesmal
in Molivre eine Gestalt, in der sich seine kritischen Elemente und
seine dramatisch-productiven Bestrebungen vermitteln.

-- Wir müssen leider unsere Notiz im vorigen Hefte über Prutz's
Gefangennehmung widerrufen, d. h. nicht es thut uns leid, daß
Prutz nicht verhaftet worden ist, sondern daß wir eine Taktlosigkeit
rügten, welche die Behörden zufällig nicht begangen haben. Wir kön¬
nen uns mit der sonst doch glaubwürdigen Allgemeinen Zeitung ent^
schuldigen, welche die Nachricht zuerst mittheilte, sie also durchaus
nicht zu den Unmöglichkeiten rechnete. Einige Tage darauf hieß es,
nicht Prutz, sondern ein gewisser Müller sei es, den die Polizei in
Aachen unter ihre Flügel nahm. Aufrichtig gestanden, wir hätten.


— Sollten etwa Bemerkungen, wie die vorhergehende, einem
Journal zur Ehre verhelfen können, in Hessen-Cassel verboten zu wer¬
den? Wir brachten ahnliche Notizen über Jordan, gleich andern deut¬
schen Blättern, und erklärten uns daraus den Umstand, daß seit Ja¬
nuar 1845 alle Grenzbotcnexemplare aus Hessen uns zurückgesandt
wurden. Jetzt lesen wir im „Telegraphen," daß die Grenzboten wegen
eines Artikels über die Universität Marburg von Dronte in
Hessen zu leicht befunden worden sind. Es scheint also immer noch
gefährlicher, den Nimbus deutscher Professoren anzutasten, als die deut¬
scher Minister. Oder thun wir den Marburger Professoren Unrecht
und sind sie, statt als unsere Ankläger aufzutreten, nur als Sünden¬
böcke vorgeschoben worden? Das wäre doch wahrlich nicht der Mühe
werth.

— Man schreibt uns aus Berlin: Gutzkow's „Urbild des Tar-
tüffe" ist hier mit großem Beifall gegeben worden. Diese Arbeit des
nie ruhenden Schriftstellers ist reich an Talent und Erfindungskraft.
Will man ihr aber einen Tadel anhängen, so dürfte wohl der der ge¬
gründetste sein, daß der Präsident Lamoignon sich in dem Stücke durch¬
aus nicht als Heuchler und schlechter Mensch beweist, sondern daß
man nur aus seinen Worten auf seine Thaten schließen muß. Wenn der
Darsteller dieses Charakters, Herr Hopp«-, denselben falsch auffaßte
und weit mehr eine Maske, als einen Menschen gab, so möchte er da¬
rin durch die passive Rolle, welche Gutzkow dem Lamoignon zuge¬
wiesen, ziemlich bestärkt worden sein. Uebrigens liefert diefes neue
Werk Gutzkow's den deutlichen Beweis, wie unveränderlich der Dich¬
ter in seinem Streben geblieben und wie er es verstanden hat, in
den kritischen Stürmen des Lebens sich die eigentlichen Wurzeln zu
decken. In der Figur des Molare erschien uns der ganze Gutzkow;
wie er seinen Haß und seine Liebe schon früher einmal einer drama¬
tischen Person, dem Steele, in den Mund legte, so fand er diesmal
in Molivre eine Gestalt, in der sich seine kritischen Elemente und
seine dramatisch-productiven Bestrebungen vermitteln.

— Wir müssen leider unsere Notiz im vorigen Hefte über Prutz's
Gefangennehmung widerrufen, d. h. nicht es thut uns leid, daß
Prutz nicht verhaftet worden ist, sondern daß wir eine Taktlosigkeit
rügten, welche die Behörden zufällig nicht begangen haben. Wir kön¬
nen uns mit der sonst doch glaubwürdigen Allgemeinen Zeitung ent^
schuldigen, welche die Nachricht zuerst mittheilte, sie also durchaus
nicht zu den Unmöglichkeiten rechnete. Einige Tage darauf hieß es,
nicht Prutz, sondern ein gewisser Müller sei es, den die Polizei in
Aachen unter ihre Flügel nahm. Aufrichtig gestanden, wir hätten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/636>, abgerufen am 22.07.2024.