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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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werden lange Zeit sehr sorgsam gepflegt werden müssen, ehe wir uns
wieder in's Freie wagen. Was wenigstens Ihren Eorrespondenten
betrifft, so ist er ganz unglücklich über das abscheuliche Wetter.
Wenn nun so eine Revolution entstände unter den Berliner Schnei¬
dergesellen "von wegen des nicht erlebten Rochens uf die Jafsen",
es würden ihnen ja die Hände erfrieren, eh' sie durch die Schneelage
zum Steinpflaster kamen. Denn wie gut unterrichtete Berliner Cor-
respondenten rmlden, soll Berlin eben so verschneit sein als Breslau.
Unsere Straßen gleichen im Augenblicke einer romantischen Gletscher¬
landschaft und die Menschen sind Gemsjäger, welche sich mit Lebens¬
gefahr von einem Zacken auf den andern schwingen. Wenn man so
mit ansieht, wie die Leute den Schwindel kriegen und schwanken, so
sollte man glauben, die Polizei wäre verreist oder krank geworden, was
zum Glück der Menschheit nicht der Fall ist. Ein Mann war letzter
Tage so naiv, an das Militär die inständigste Bitte zu richten, es
möge doch die Schaufel in die Hand nehmen und die Stadt vom
Schnee befreien. Der Commandant soll hierauf gemeint haben, die
Soldaten seien für Gott, König und Baterland da, und vom Schnee-
schaufeln stände Nichts auf den Patrontaschen. Er hat Recht. Wir
sind ein Militär-Staat, und wenn die Soldaten in Angelegenheit
kommen, so muß ihnen der Bürger aus der "Pantsche" helfen, wie
Anno 13 und 14, und nicht umgekehrt. Der Bürger ist der Sol¬
daten wegen da, und wieder nicht umgekehrt; denn wovon sollte der
Soldat dann existiren? -- Wenn uns die Sonne nicht bald die Passa¬
gen bessert, so verlernen wir noch das Gehen. Im Gebirge soll's
vollends arg sein, und den armen Webern geht's wie den Krähen,
die in kalten Tagen immer sehr schwer ihres Leibes Nothdurft finden.
Sie -- nämlich die Weber -- sollen unserem Landtage auch eine
Petition um Abhilfe ihres traurigen Zustandes eingereicht haben. Er
wird ihnen wohl nicht helfen können, er müßte denn zuvor
selbst um Abhilfe seines eigenen Anstandes petitioniren und Gewäh¬
rung finden. An Beiden ist wenig Aussicht vorhanden. Die letzte
Sitzung des Landtags soll übrigens doch interessant gewesen sein.
Es lag die Petition um größere Vertretung der Land- und Stadtge¬
meinden vor, wogegen die Fürsten und Ritter energisch protestiren.
Da tritt ein Männlein aus und fragt die hohen Herrn in's Ange¬
sicht, wo die Stärke des Staates, der Kern des Vaterlandes eigent¬
lich ruhe, im hohen Adel oder im Bürger- und Bauernstande? 1806
deute beinahe darauf hin, daß der letztere es sei. Hieraus ist eine
große Bewegung unter den Rittern und Fürsten entstanden, und man
hat den kühnen Redner ausgetrommelt. Jemand meinte, diese
Wahrheit sei schon zu bekannt, sie dürft nicht erst ausgetrommelt
werden, wie in Schilda eine magistratualische Bekanntmachung. --


werden lange Zeit sehr sorgsam gepflegt werden müssen, ehe wir uns
wieder in's Freie wagen. Was wenigstens Ihren Eorrespondenten
betrifft, so ist er ganz unglücklich über das abscheuliche Wetter.
Wenn nun so eine Revolution entstände unter den Berliner Schnei¬
dergesellen „von wegen des nicht erlebten Rochens uf die Jafsen",
es würden ihnen ja die Hände erfrieren, eh' sie durch die Schneelage
zum Steinpflaster kamen. Denn wie gut unterrichtete Berliner Cor-
respondenten rmlden, soll Berlin eben so verschneit sein als Breslau.
Unsere Straßen gleichen im Augenblicke einer romantischen Gletscher¬
landschaft und die Menschen sind Gemsjäger, welche sich mit Lebens¬
gefahr von einem Zacken auf den andern schwingen. Wenn man so
mit ansieht, wie die Leute den Schwindel kriegen und schwanken, so
sollte man glauben, die Polizei wäre verreist oder krank geworden, was
zum Glück der Menschheit nicht der Fall ist. Ein Mann war letzter
Tage so naiv, an das Militär die inständigste Bitte zu richten, es
möge doch die Schaufel in die Hand nehmen und die Stadt vom
Schnee befreien. Der Commandant soll hierauf gemeint haben, die
Soldaten seien für Gott, König und Baterland da, und vom Schnee-
schaufeln stände Nichts auf den Patrontaschen. Er hat Recht. Wir
sind ein Militär-Staat, und wenn die Soldaten in Angelegenheit
kommen, so muß ihnen der Bürger aus der „Pantsche" helfen, wie
Anno 13 und 14, und nicht umgekehrt. Der Bürger ist der Sol¬
daten wegen da, und wieder nicht umgekehrt; denn wovon sollte der
Soldat dann existiren? — Wenn uns die Sonne nicht bald die Passa¬
gen bessert, so verlernen wir noch das Gehen. Im Gebirge soll's
vollends arg sein, und den armen Webern geht's wie den Krähen,
die in kalten Tagen immer sehr schwer ihres Leibes Nothdurft finden.
Sie — nämlich die Weber — sollen unserem Landtage auch eine
Petition um Abhilfe ihres traurigen Zustandes eingereicht haben. Er
wird ihnen wohl nicht helfen können, er müßte denn zuvor
selbst um Abhilfe seines eigenen Anstandes petitioniren und Gewäh¬
rung finden. An Beiden ist wenig Aussicht vorhanden. Die letzte
Sitzung des Landtags soll übrigens doch interessant gewesen sein.
Es lag die Petition um größere Vertretung der Land- und Stadtge¬
meinden vor, wogegen die Fürsten und Ritter energisch protestiren.
Da tritt ein Männlein aus und fragt die hohen Herrn in's Ange¬
sicht, wo die Stärke des Staates, der Kern des Vaterlandes eigent¬
lich ruhe, im hohen Adel oder im Bürger- und Bauernstande? 1806
deute beinahe darauf hin, daß der letztere es sei. Hieraus ist eine
große Bewegung unter den Rittern und Fürsten entstanden, und man
hat den kühnen Redner ausgetrommelt. Jemand meinte, diese
Wahrheit sei schon zu bekannt, sie dürft nicht erst ausgetrommelt
werden, wie in Schilda eine magistratualische Bekanntmachung. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/626>, abgerufen am 22.07.2024.