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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Da der Winter sich dießmal nicht verabschieden will, so sind auch
seine Vergnügungen noch immer en ox"'-. Die sechshundert Kränzchen
und Tanzklubs, in welche sich das bürgerliche Leben jeden Winter zersetzt,
ähnlich einem Topfe Milch zu Zeiten eines Gewitters, sind noch in
voller Thätigkeit begriffen, während die höhere Bourgeoisie und der
Adel jetzt erst recht seine Amüsements anzufangen scheinen. Selbige
unterscheiden sich wesentlich nur dadurch, daß die adeligen Freuden
durch Champagner, die hochbürgcrlichcn durch Rothwein zu Stande
gebracht werden. Sie müssen nämlich wissen, daß unsere Geldaristo¬
kraten die unendlich lächerliche Krähwinklerei besitzen, das Champagner¬
trinken in Damengesellschaft für einen Luxus zu halten. Ein junger
Kaufmannssohn, der in der Börfentanzgcfellschaft sich einen echten Grü¬
neberger AI"ni>5''"x "zulegen" wollte, würde den Gänsen, die das
Capitolium der Sitte und des guten Geschmacks bewachen, sechs Tage
Stoss zum Schnattern geben, wovon das Resultat wäre, daß
eine Mütter-Conspiration ihn für einen Verschwender erklärte, der
die Hand einer Goldtochter nicht verdiene. Ich bin auch nicht für's
Champagner-Trinken, aber aus anderen, als aus Fraubasen-
Rücksichten.

In unseren Salons -- verzeihen Sie, wenn ich einmal Berli¬
nisch spreche -- wird die religiöse Frage sehr eifrig ventilirt, nament¬
lich von den Damen, die ihre Hand dabei im Spiele haben;
denn eine tüchtige Anzahl heirathsfähiger katholischer Geistlichen würde
mit der Zeit den Ueberfluß an Jungfrauen zu absorbiren wissen.
Neulich war ich bei der ersten gottesdienstlichen Feier der hiesigen
Neukatholiken -- was da für Damen waren, und wie diese ihre
Pfeile nach den zwei ledigen "allerliebsten" Priestern schössen --!
Unsere Elegants bedauern sehr, daß sie nicht katholische Priester ge¬
worden, sie könnten jetzt auch reformiren und Herzen erobern. Wenn die
jungen Damen auf das Herz des Hrn Norge Attentate machen,
so wagen die älteren Angriffe auf sein Leben. Es ist nämlich nichts
Seltenes, daß ein Klub Kaffeeschwestern ihn auf diese oder jene Art
umkommen laßt, bald durch eine Pechlarve, die man ihm aufs Ge¬
sicht gedrückt, bald durch vergifteten Wein, oder lange blinkende
Messer --

Kaum ist die Untersuchung gegen das Mitglied unserer Stadt¬
verordnetenversammlung, Hrn. Linderer, zu Ende, so hat man schon
wieder Jemanden ausersehen, an dem man die Vortrefflichkeit des
Inquisitions-Prozesses erproben will. Hrn. Wärter, einem unserer
ausgezeichnetsten Volkslehrer, sind plötzlich seine sämmtlichen Papiere
mit Beschlag belegt worden und -- merkwürdig! -- fast an demsel¬
ben Tage, wo die Schlöffelsche Petition um eine Hiebe"8 - l'orrmg-
Akte bei unserem Landtage durchsiel. Das Gerücht, "der Schatten
des Faktums," nennt mit rühriger Zunge schon wieder einen Mann,


Da der Winter sich dießmal nicht verabschieden will, so sind auch
seine Vergnügungen noch immer en ox»'-. Die sechshundert Kränzchen
und Tanzklubs, in welche sich das bürgerliche Leben jeden Winter zersetzt,
ähnlich einem Topfe Milch zu Zeiten eines Gewitters, sind noch in
voller Thätigkeit begriffen, während die höhere Bourgeoisie und der
Adel jetzt erst recht seine Amüsements anzufangen scheinen. Selbige
unterscheiden sich wesentlich nur dadurch, daß die adeligen Freuden
durch Champagner, die hochbürgcrlichcn durch Rothwein zu Stande
gebracht werden. Sie müssen nämlich wissen, daß unsere Geldaristo¬
kraten die unendlich lächerliche Krähwinklerei besitzen, das Champagner¬
trinken in Damengesellschaft für einen Luxus zu halten. Ein junger
Kaufmannssohn, der in der Börfentanzgcfellschaft sich einen echten Grü¬
neberger AI»ni>5''»x „zulegen" wollte, würde den Gänsen, die das
Capitolium der Sitte und des guten Geschmacks bewachen, sechs Tage
Stoss zum Schnattern geben, wovon das Resultat wäre, daß
eine Mütter-Conspiration ihn für einen Verschwender erklärte, der
die Hand einer Goldtochter nicht verdiene. Ich bin auch nicht für's
Champagner-Trinken, aber aus anderen, als aus Fraubasen-
Rücksichten.

In unseren Salons — verzeihen Sie, wenn ich einmal Berli¬
nisch spreche — wird die religiöse Frage sehr eifrig ventilirt, nament¬
lich von den Damen, die ihre Hand dabei im Spiele haben;
denn eine tüchtige Anzahl heirathsfähiger katholischer Geistlichen würde
mit der Zeit den Ueberfluß an Jungfrauen zu absorbiren wissen.
Neulich war ich bei der ersten gottesdienstlichen Feier der hiesigen
Neukatholiken — was da für Damen waren, und wie diese ihre
Pfeile nach den zwei ledigen „allerliebsten" Priestern schössen —!
Unsere Elegants bedauern sehr, daß sie nicht katholische Priester ge¬
worden, sie könnten jetzt auch reformiren und Herzen erobern. Wenn die
jungen Damen auf das Herz des Hrn Norge Attentate machen,
so wagen die älteren Angriffe auf sein Leben. Es ist nämlich nichts
Seltenes, daß ein Klub Kaffeeschwestern ihn auf diese oder jene Art
umkommen laßt, bald durch eine Pechlarve, die man ihm aufs Ge¬
sicht gedrückt, bald durch vergifteten Wein, oder lange blinkende
Messer —

Kaum ist die Untersuchung gegen das Mitglied unserer Stadt¬
verordnetenversammlung, Hrn. Linderer, zu Ende, so hat man schon
wieder Jemanden ausersehen, an dem man die Vortrefflichkeit des
Inquisitions-Prozesses erproben will. Hrn. Wärter, einem unserer
ausgezeichnetsten Volkslehrer, sind plötzlich seine sämmtlichen Papiere
mit Beschlag belegt worden und — merkwürdig! — fast an demsel¬
ben Tage, wo die Schlöffelsche Petition um eine Hiebe»8 - l'orrmg-
Akte bei unserem Landtage durchsiel. Das Gerücht, „der Schatten
des Faktums," nennt mit rühriger Zunge schon wieder einen Mann,


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[0627] Da der Winter sich dießmal nicht verabschieden will, so sind auch seine Vergnügungen noch immer en ox»'-. Die sechshundert Kränzchen und Tanzklubs, in welche sich das bürgerliche Leben jeden Winter zersetzt, ähnlich einem Topfe Milch zu Zeiten eines Gewitters, sind noch in voller Thätigkeit begriffen, während die höhere Bourgeoisie und der Adel jetzt erst recht seine Amüsements anzufangen scheinen. Selbige unterscheiden sich wesentlich nur dadurch, daß die adeligen Freuden durch Champagner, die hochbürgcrlichcn durch Rothwein zu Stande gebracht werden. Sie müssen nämlich wissen, daß unsere Geldaristo¬ kraten die unendlich lächerliche Krähwinklerei besitzen, das Champagner¬ trinken in Damengesellschaft für einen Luxus zu halten. Ein junger Kaufmannssohn, der in der Börfentanzgcfellschaft sich einen echten Grü¬ neberger AI»ni>5''»x „zulegen" wollte, würde den Gänsen, die das Capitolium der Sitte und des guten Geschmacks bewachen, sechs Tage Stoss zum Schnattern geben, wovon das Resultat wäre, daß eine Mütter-Conspiration ihn für einen Verschwender erklärte, der die Hand einer Goldtochter nicht verdiene. Ich bin auch nicht für's Champagner-Trinken, aber aus anderen, als aus Fraubasen- Rücksichten. In unseren Salons — verzeihen Sie, wenn ich einmal Berli¬ nisch spreche — wird die religiöse Frage sehr eifrig ventilirt, nament¬ lich von den Damen, die ihre Hand dabei im Spiele haben; denn eine tüchtige Anzahl heirathsfähiger katholischer Geistlichen würde mit der Zeit den Ueberfluß an Jungfrauen zu absorbiren wissen. Neulich war ich bei der ersten gottesdienstlichen Feier der hiesigen Neukatholiken — was da für Damen waren, und wie diese ihre Pfeile nach den zwei ledigen „allerliebsten" Priestern schössen —! Unsere Elegants bedauern sehr, daß sie nicht katholische Priester ge¬ worden, sie könnten jetzt auch reformiren und Herzen erobern. Wenn die jungen Damen auf das Herz des Hrn Norge Attentate machen, so wagen die älteren Angriffe auf sein Leben. Es ist nämlich nichts Seltenes, daß ein Klub Kaffeeschwestern ihn auf diese oder jene Art umkommen laßt, bald durch eine Pechlarve, die man ihm aufs Ge¬ sicht gedrückt, bald durch vergifteten Wein, oder lange blinkende Messer — Kaum ist die Untersuchung gegen das Mitglied unserer Stadt¬ verordnetenversammlung, Hrn. Linderer, zu Ende, so hat man schon wieder Jemanden ausersehen, an dem man die Vortrefflichkeit des Inquisitions-Prozesses erproben will. Hrn. Wärter, einem unserer ausgezeichnetsten Volkslehrer, sind plötzlich seine sämmtlichen Papiere mit Beschlag belegt worden und — merkwürdig! — fast an demsel¬ ben Tage, wo die Schlöffelsche Petition um eine Hiebe»8 - l'orrmg- Akte bei unserem Landtage durchsiel. Das Gerücht, „der Schatten des Faktums," nennt mit rühriger Zunge schon wieder einen Mann,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/627>, abgerufen am 22.07.2024.