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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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einem Aussetze voll hohler Phrasen unser Land als ein Elvsium
darzustellen, wo Pauperismus und Proletariat kaum dem Namen
nach gekannt sind! Wenn man es denn doch nicht wagt, mit der
Wahrheit herauszurücken, warum nicht lieber schweigen ? Und hat nicht
Ur. Karl Hagen in den "Constitutionellen Jahrbüchern" das Ueber-
s.'indnehmen des Pauperismus und des Proletariats in unserm Lande
durch Ziffern bewiesen, die mehr wiegen, als all das leere Gerede? Es
wird gewiß Niemand so thöricht sein, diese Schäden unserer Gesell¬
schaft der Regierung zur Last legen zu wollen, Schaden, die mit den
Verhältnissen unseres gesammten Vaterlandes zu tief verwachsen sind,
als daß überhaupt eine einzelne Regierung energisch dagegen wirken
konnte. Ihr Pariser Correspondent hat diese Verhältnisse mit wenigen
treffenden Worten geschildert und ich kann mich deshalb jeder weitern
Auseinandersetzung enthalten. Daß unsere Regierung bemüht ist, das
Loos der untern Volksklassen wo möglich zu erleichtern, hat sie erst
neuerdings durch ein Rescript bewiesen, wornach in allen Regierungs¬
bezirken die Errichtung von Vereinen für die Besserung und
Versorgung entlassener Sträflinge und Zwangsarbeiter angeregt werden
soll. Ein solcher Verein existirt bereits in Oberbaiern, seine Satzungen
haben bereits die Genehmigung des Ministeriums erhalten, ich werde
in meinem nächsten Briefe ausführlicher darauf zurückkommen.


Z.
IV.
A u S B r c s l a ".

Politik und Wetter. -- Adeliger Champagner. -- Geistliche Damen und Ronge-
Attentate. -- Untersuchungen. -- Die Krautjunker-Zeitschrift' --
12 Gedichte. -- Holtet.

Merkwürdig, wie die Politik mitunter mit dem Wetter überein¬
stimmt. Wir glaubten, es solle Frühling werden. Die Berliner
Correspondenten-Lerchen stiegen in die blaue Luft und wirbelten Con-
stitutionshoffnungcn nieder und sangen manch schöne Variation zu dem
alten Liede, das dem Volke noch immer in den Ohren summt. Trotz¬
dem wir schon so oft von Berliner Sprechern und Schreibern ange¬
führt worden waren, glaubten wir doch dem prophetischen Gezirpe,
entledigten uns der Resignations-Jacken und zogen die plumpen Stie¬
feln des langsamen Fortschritts und des beschleunigten Rückschritts
von den Füßen, glaubend, die Sonne werde warm darnieder scheinen.
Und siehe da! Mit einem Male fängt's an zu schneien und schneit
mehr als sieben Tage und sieben Nächte lang lauter EnttauschungS-
Schnee, in dem wir waten müssen, in dem wir kneten müssen, so
daß sich unsere leichtfüßige Logik die Füße erkältet und wir einen er¬
bärmlichen Stockschnupfen kriegen. Wir sind alle krank geworden und


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einem Aussetze voll hohler Phrasen unser Land als ein Elvsium
darzustellen, wo Pauperismus und Proletariat kaum dem Namen
nach gekannt sind! Wenn man es denn doch nicht wagt, mit der
Wahrheit herauszurücken, warum nicht lieber schweigen ? Und hat nicht
Ur. Karl Hagen in den „Constitutionellen Jahrbüchern" das Ueber-
s.'indnehmen des Pauperismus und des Proletariats in unserm Lande
durch Ziffern bewiesen, die mehr wiegen, als all das leere Gerede? Es
wird gewiß Niemand so thöricht sein, diese Schäden unserer Gesell¬
schaft der Regierung zur Last legen zu wollen, Schaden, die mit den
Verhältnissen unseres gesammten Vaterlandes zu tief verwachsen sind,
als daß überhaupt eine einzelne Regierung energisch dagegen wirken
konnte. Ihr Pariser Correspondent hat diese Verhältnisse mit wenigen
treffenden Worten geschildert und ich kann mich deshalb jeder weitern
Auseinandersetzung enthalten. Daß unsere Regierung bemüht ist, das
Loos der untern Volksklassen wo möglich zu erleichtern, hat sie erst
neuerdings durch ein Rescript bewiesen, wornach in allen Regierungs¬
bezirken die Errichtung von Vereinen für die Besserung und
Versorgung entlassener Sträflinge und Zwangsarbeiter angeregt werden
soll. Ein solcher Verein existirt bereits in Oberbaiern, seine Satzungen
haben bereits die Genehmigung des Ministeriums erhalten, ich werde
in meinem nächsten Briefe ausführlicher darauf zurückkommen.


Z.
IV.
A u S B r c s l a «.

Politik und Wetter. — Adeliger Champagner. — Geistliche Damen und Ronge-
Attentate. — Untersuchungen. — Die Krautjunker-Zeitschrift' —
12 Gedichte. — Holtet.

Merkwürdig, wie die Politik mitunter mit dem Wetter überein¬
stimmt. Wir glaubten, es solle Frühling werden. Die Berliner
Correspondenten-Lerchen stiegen in die blaue Luft und wirbelten Con-
stitutionshoffnungcn nieder und sangen manch schöne Variation zu dem
alten Liede, das dem Volke noch immer in den Ohren summt. Trotz¬
dem wir schon so oft von Berliner Sprechern und Schreibern ange¬
führt worden waren, glaubten wir doch dem prophetischen Gezirpe,
entledigten uns der Resignations-Jacken und zogen die plumpen Stie¬
feln des langsamen Fortschritts und des beschleunigten Rückschritts
von den Füßen, glaubend, die Sonne werde warm darnieder scheinen.
Und siehe da! Mit einem Male fängt's an zu schneien und schneit
mehr als sieben Tage und sieben Nächte lang lauter EnttauschungS-
Schnee, in dem wir waten müssen, in dem wir kneten müssen, so
daß sich unsere leichtfüßige Logik die Füße erkältet und wir einen er¬
bärmlichen Stockschnupfen kriegen. Wir sind alle krank geworden und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/625>, abgerufen am 22.07.2024.