Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Stunden oberhalb der Stadt in der Nähe des Stiftes Klosterneuburg,
und der Erzherzog Albrecht, gegenwärtig commandircnder General von
Niederösterreich, ist vor einigen Tagen in Begleitung des im Fache
der Hydrotechnik ausgezeichneten Obersten Birago in diese Gegend ge¬
ritten/um das Terrain und die Gefahr in der Nähe zu besehen. Das
in der Leopoldstadt kasernirende Reiterregiment hat den Befehl erhal¬
ten, die Insel zu verlassen und andere Quartiere zu beziehen Auch
befindet sich Tag und Nacht auf der Bastei in der Nahe der Donau¬
brücke ein Detaschement Soldaten mit Kanonen, um im Falle der
Gefahr durch Larmschüsse zu warnen. Dem Vernehmen nach soll be¬
stimmt sein, den Eisenbahnflügcl von Stockerau, da, wo er ein altes,
verlassenes Flußbett eines Donauarmes durchschneidet, zu durchbrechen,
um durch Wegräumung des Dammes dem andringenden Wasser hier
ein unschädliches Geleise zu ebnen. Diese fast jährlich wiederkehren¬
den Gefahren sind eine Folge der argen Vernachlässigung, welcher die
Donau fast auf ihrem ganzen Laufe feit jeher überlassen war. Wäre
der Donau dieselbe Sorgfalt gewidmet worden, wie dem Rhein, so
könnten die Urenkel jetzt ohne Besorgniß zu Bette gehen. Jetzt freilich
dürste die Versäumniß kaum mehr nachgeholt werden können, weil die
Kosten eines tüchtigen Strombaus die gesammten Staatseinkünfte auf
einige Jahre im Voraus verschlingen würden. Um nicht ungerecht zu
sein, muß man auch gestehen, daß die Verwahrlosung der Donau im
Vergleich zu dem trefflichen Zustand des Rheins lediglich die Wirkung
der falschen Richtung war, welche der Welthandel in Europa genom¬
men. Anfangs hatten Venedig und Genua den Zwischenhandel mit
dem Orient an sich gerissen, in verkehrten zur See und machten
ihre Sendungen nach dem Norden über Baiern, von wo dieselben
dem Rheine zukamen, der bald der Canal wurde, welcher die Waaren
des Südens überlieferte, indeß Belgien wieder den Rhein benutzte, um
seine ostindischen Güter dem Continent zuzuführen. Später, nach der
Entdeckung Amerikas, als die italienische Handelsmacht in Verfall ge¬
riet!) und England und Holland den Weltmarkt beherrschten, war es
abermals der Rhein, dem die Spedition dieser Großkäufer zu Statten
kam, während die Donau, obschon der größte Strom Europas, ein
Stiefkind blieb, die verachtete Aschenbrödel, von der Niemand dachte,
daß gerade sie die geradeste Verbindung der nordwestlichen Kaufmann¬
schaft mit dem Waarenhaus der Levante sei und jeder andere Weg
aus dem Norden und Westen nach Saoma und Konstantinopel ein
unbegreiflicher Umweg. Wir glauben nicht, daß dies bald anders wer¬
den wird, obschon noch in diesem Jahre der Ludwigskanal in seiner
ganzen Ausdehnung eröffnet werden soll; denn um einen solchen radi¬
kalen Umschwung in das europäische Verkehrsleben zu bringen, dazu
ist mehr nothwendig als Rinnsal und Schleußen; politische Fragen
müssen gelöst, die orientalischen Verhältnisse geordnet werden, bevor


Stunden oberhalb der Stadt in der Nähe des Stiftes Klosterneuburg,
und der Erzherzog Albrecht, gegenwärtig commandircnder General von
Niederösterreich, ist vor einigen Tagen in Begleitung des im Fache
der Hydrotechnik ausgezeichneten Obersten Birago in diese Gegend ge¬
ritten/um das Terrain und die Gefahr in der Nähe zu besehen. Das
in der Leopoldstadt kasernirende Reiterregiment hat den Befehl erhal¬
ten, die Insel zu verlassen und andere Quartiere zu beziehen Auch
befindet sich Tag und Nacht auf der Bastei in der Nahe der Donau¬
brücke ein Detaschement Soldaten mit Kanonen, um im Falle der
Gefahr durch Larmschüsse zu warnen. Dem Vernehmen nach soll be¬
stimmt sein, den Eisenbahnflügcl von Stockerau, da, wo er ein altes,
verlassenes Flußbett eines Donauarmes durchschneidet, zu durchbrechen,
um durch Wegräumung des Dammes dem andringenden Wasser hier
ein unschädliches Geleise zu ebnen. Diese fast jährlich wiederkehren¬
den Gefahren sind eine Folge der argen Vernachlässigung, welcher die
Donau fast auf ihrem ganzen Laufe feit jeher überlassen war. Wäre
der Donau dieselbe Sorgfalt gewidmet worden, wie dem Rhein, so
könnten die Urenkel jetzt ohne Besorgniß zu Bette gehen. Jetzt freilich
dürste die Versäumniß kaum mehr nachgeholt werden können, weil die
Kosten eines tüchtigen Strombaus die gesammten Staatseinkünfte auf
einige Jahre im Voraus verschlingen würden. Um nicht ungerecht zu
sein, muß man auch gestehen, daß die Verwahrlosung der Donau im
Vergleich zu dem trefflichen Zustand des Rheins lediglich die Wirkung
der falschen Richtung war, welche der Welthandel in Europa genom¬
men. Anfangs hatten Venedig und Genua den Zwischenhandel mit
dem Orient an sich gerissen, in verkehrten zur See und machten
ihre Sendungen nach dem Norden über Baiern, von wo dieselben
dem Rheine zukamen, der bald der Canal wurde, welcher die Waaren
des Südens überlieferte, indeß Belgien wieder den Rhein benutzte, um
seine ostindischen Güter dem Continent zuzuführen. Später, nach der
Entdeckung Amerikas, als die italienische Handelsmacht in Verfall ge¬
riet!) und England und Holland den Weltmarkt beherrschten, war es
abermals der Rhein, dem die Spedition dieser Großkäufer zu Statten
kam, während die Donau, obschon der größte Strom Europas, ein
Stiefkind blieb, die verachtete Aschenbrödel, von der Niemand dachte,
daß gerade sie die geradeste Verbindung der nordwestlichen Kaufmann¬
schaft mit dem Waarenhaus der Levante sei und jeder andere Weg
aus dem Norden und Westen nach Saoma und Konstantinopel ein
unbegreiflicher Umweg. Wir glauben nicht, daß dies bald anders wer¬
den wird, obschon noch in diesem Jahre der Ludwigskanal in seiner
ganzen Ausdehnung eröffnet werden soll; denn um einen solchen radi¬
kalen Umschwung in das europäische Verkehrsleben zu bringen, dazu
ist mehr nothwendig als Rinnsal und Schleußen; politische Fragen
müssen gelöst, die orientalischen Verhältnisse geordnet werden, bevor


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0619" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270034"/>
              <p xml:id="ID_1744" prev="#ID_1743" next="#ID_1745"> Stunden oberhalb der Stadt in der Nähe des Stiftes Klosterneuburg,<lb/>
und der Erzherzog Albrecht, gegenwärtig commandircnder General von<lb/>
Niederösterreich, ist vor einigen Tagen in Begleitung des im Fache<lb/>
der Hydrotechnik ausgezeichneten Obersten Birago in diese Gegend ge¬<lb/>
ritten/um das Terrain und die Gefahr in der Nähe zu besehen. Das<lb/>
in der Leopoldstadt kasernirende Reiterregiment hat den Befehl erhal¬<lb/>
ten, die Insel zu verlassen und andere Quartiere zu beziehen Auch<lb/>
befindet sich Tag und Nacht auf der Bastei in der Nahe der Donau¬<lb/>
brücke ein Detaschement Soldaten mit Kanonen, um im Falle der<lb/>
Gefahr durch Larmschüsse zu warnen. Dem Vernehmen nach soll be¬<lb/>
stimmt sein, den Eisenbahnflügcl von Stockerau, da, wo er ein altes,<lb/>
verlassenes Flußbett eines Donauarmes durchschneidet, zu durchbrechen,<lb/>
um durch Wegräumung des Dammes dem andringenden Wasser hier<lb/>
ein unschädliches Geleise zu ebnen. Diese fast jährlich wiederkehren¬<lb/>
den Gefahren sind eine Folge der argen Vernachlässigung, welcher die<lb/>
Donau fast auf ihrem ganzen Laufe feit jeher überlassen war. Wäre<lb/>
der Donau dieselbe Sorgfalt gewidmet worden, wie dem Rhein, so<lb/>
könnten die Urenkel jetzt ohne Besorgniß zu Bette gehen. Jetzt freilich<lb/>
dürste die Versäumniß kaum mehr nachgeholt werden können, weil die<lb/>
Kosten eines tüchtigen Strombaus die gesammten Staatseinkünfte auf<lb/>
einige Jahre im Voraus verschlingen würden. Um nicht ungerecht zu<lb/>
sein, muß man auch gestehen, daß die Verwahrlosung der Donau im<lb/>
Vergleich zu dem trefflichen Zustand des Rheins lediglich die Wirkung<lb/>
der falschen Richtung war, welche der Welthandel in Europa genom¬<lb/>
men. Anfangs hatten Venedig und Genua den Zwischenhandel mit<lb/>
dem Orient an sich gerissen, in verkehrten zur See und machten<lb/>
ihre Sendungen nach dem Norden über Baiern, von wo dieselben<lb/>
dem Rheine zukamen, der bald der Canal wurde, welcher die Waaren<lb/>
des Südens überlieferte, indeß Belgien wieder den Rhein benutzte, um<lb/>
seine ostindischen Güter dem Continent zuzuführen. Später, nach der<lb/>
Entdeckung Amerikas, als die italienische Handelsmacht in Verfall ge¬<lb/>
riet!) und England und Holland den Weltmarkt beherrschten, war es<lb/>
abermals der Rhein, dem die Spedition dieser Großkäufer zu Statten<lb/>
kam, während die Donau, obschon der größte Strom Europas, ein<lb/>
Stiefkind blieb, die verachtete Aschenbrödel, von der Niemand dachte,<lb/>
daß gerade sie die geradeste Verbindung der nordwestlichen Kaufmann¬<lb/>
schaft mit dem Waarenhaus der Levante sei und jeder andere Weg<lb/>
aus dem Norden und Westen nach Saoma und Konstantinopel ein<lb/>
unbegreiflicher Umweg. Wir glauben nicht, daß dies bald anders wer¬<lb/>
den wird, obschon noch in diesem Jahre der Ludwigskanal in seiner<lb/>
ganzen Ausdehnung eröffnet werden soll; denn um einen solchen radi¬<lb/>
kalen Umschwung in das europäische Verkehrsleben zu bringen, dazu<lb/>
ist mehr nothwendig als Rinnsal und Schleußen; politische Fragen<lb/>
müssen gelöst, die orientalischen Verhältnisse geordnet werden, bevor</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0619] Stunden oberhalb der Stadt in der Nähe des Stiftes Klosterneuburg, und der Erzherzog Albrecht, gegenwärtig commandircnder General von Niederösterreich, ist vor einigen Tagen in Begleitung des im Fache der Hydrotechnik ausgezeichneten Obersten Birago in diese Gegend ge¬ ritten/um das Terrain und die Gefahr in der Nähe zu besehen. Das in der Leopoldstadt kasernirende Reiterregiment hat den Befehl erhal¬ ten, die Insel zu verlassen und andere Quartiere zu beziehen Auch befindet sich Tag und Nacht auf der Bastei in der Nahe der Donau¬ brücke ein Detaschement Soldaten mit Kanonen, um im Falle der Gefahr durch Larmschüsse zu warnen. Dem Vernehmen nach soll be¬ stimmt sein, den Eisenbahnflügcl von Stockerau, da, wo er ein altes, verlassenes Flußbett eines Donauarmes durchschneidet, zu durchbrechen, um durch Wegräumung des Dammes dem andringenden Wasser hier ein unschädliches Geleise zu ebnen. Diese fast jährlich wiederkehren¬ den Gefahren sind eine Folge der argen Vernachlässigung, welcher die Donau fast auf ihrem ganzen Laufe feit jeher überlassen war. Wäre der Donau dieselbe Sorgfalt gewidmet worden, wie dem Rhein, so könnten die Urenkel jetzt ohne Besorgniß zu Bette gehen. Jetzt freilich dürste die Versäumniß kaum mehr nachgeholt werden können, weil die Kosten eines tüchtigen Strombaus die gesammten Staatseinkünfte auf einige Jahre im Voraus verschlingen würden. Um nicht ungerecht zu sein, muß man auch gestehen, daß die Verwahrlosung der Donau im Vergleich zu dem trefflichen Zustand des Rheins lediglich die Wirkung der falschen Richtung war, welche der Welthandel in Europa genom¬ men. Anfangs hatten Venedig und Genua den Zwischenhandel mit dem Orient an sich gerissen, in verkehrten zur See und machten ihre Sendungen nach dem Norden über Baiern, von wo dieselben dem Rheine zukamen, der bald der Canal wurde, welcher die Waaren des Südens überlieferte, indeß Belgien wieder den Rhein benutzte, um seine ostindischen Güter dem Continent zuzuführen. Später, nach der Entdeckung Amerikas, als die italienische Handelsmacht in Verfall ge¬ riet!) und England und Holland den Weltmarkt beherrschten, war es abermals der Rhein, dem die Spedition dieser Großkäufer zu Statten kam, während die Donau, obschon der größte Strom Europas, ein Stiefkind blieb, die verachtete Aschenbrödel, von der Niemand dachte, daß gerade sie die geradeste Verbindung der nordwestlichen Kaufmann¬ schaft mit dem Waarenhaus der Levante sei und jeder andere Weg aus dem Norden und Westen nach Saoma und Konstantinopel ein unbegreiflicher Umweg. Wir glauben nicht, daß dies bald anders wer¬ den wird, obschon noch in diesem Jahre der Ludwigskanal in seiner ganzen Ausdehnung eröffnet werden soll; denn um einen solchen radi¬ kalen Umschwung in das europäische Verkehrsleben zu bringen, dazu ist mehr nothwendig als Rinnsal und Schleußen; politische Fragen müssen gelöst, die orientalischen Verhältnisse geordnet werden, bevor

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/619
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/619>, abgerufen am 22.07.2024.