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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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sich alle möglichen Wirkungen entwickeln können, und hat König Lud¬
wig von Baiern auch die Idee Karls des Großen ausgeführt, so hat
er doch nicht die Macht und das Ansehen, welches Karl der Große
hatte und womit dieser seinen Canal geschützt haben würde.

Die Nachricht von der Ausweisung der deutschen Schriftsteller in
Paris hat auch hier gewaltiges Aufsehen gemacht. Von Oesterreichern
befindet sich meines Wissens blos Bernstein unter den Ausgewiesenen
und dieser hat Freunde gefunden, welche seinen Pariser Aufenthalt
auch fernerhin möglich machen; indeß Rüge anfänglich von der fran¬
zösischen Polizei mit ihm auf gleichem Fuß behandelt ward, bis der
Schrei der Entrüstung über dieses gegen einen Mann von Charakter
und literarischer Tüchtigkeit beobachtete Verfahren sogar in das Mi¬
nisterhotel drang und diese ihren Fehler verbesserten. Ueberhaupt hat
es sich bei dieser Gelegenheit wieder gezeigt, wie wenig die Franzosen
eigentlich von Deutschland wissen. Wer mochte es glauben, daß unser
gutmüthige, alte Gräffer, den Sie selbst kennen, diese loyale Seele,
die ganz in den Erinnerungen der Vergangenheit schwelgt, und welcher
von Alringer und Ratschky noch immer mit der wärmsten Begeisterung
spricht, daß dieser Mann, der ruhig in seinem Wiener Buchladen sitzt,
von der Pariser Polizei als deutscher Demagog mit legitimistischcr
Idiosynkrasie gegen das Haus Orleans in allen Arrondissements emsig
gesucht wird. Und dennoch geschah es; vierzehn Tage lang war die
Polizei auf den Füßen, um die Wohnung des Monsieur Gräffer,
revolutilmiür illlei"im"l, zu erkunden. Sie hatte nämlich die Weisung,
sämmtliche Mitarbeiter des deutschen Journals "Vorwärts" fortzuschaf¬
fen, der Präfect ließ sich deshalb diese Zeitschrift bringen und alle Na¬
men herausschreiben, worunter sich denn auch der Name Gräffer
befand, von dem in dem deutschen Pariser Blatte ein den hiesigen
"Sonntagsblättern" entlehnter Aufsatz über den Herzog von Reichstadt
unter dem Titel "das Pensum" abgedruckt war. Dies reichte hin auf
Gräffer zu fahnden, der indeß wie gewöhnlich frühstückte und seine
weiße Halsbinde umlegte, ohne sich von der Rolle etwas träumen zu
lassen, die er ganz unbewußt in Paris spielte.

Ein Bruder des in Paris verweilenden Bernstein lebt hier als
Medicinä Doctor und hat sich in der jüngsten Zeit unter dem Namen Hugo
durch die Herausgabe einiger Dramen, wie: "die große Fibel," "der
Stein der Weisen" bemerkbar gemacht. Doch scheinen die Produkte, die
sich durch einen gewissen philosophischen Anstrich und Kälte der Sprache
auszeichnen, sich mehr im deutschen Ausland als in Oesterreich selbst
Anerkennung verschafft zu haben, wenigstens liest man in auswärti¬
gen Blättern rühmende Kritiken, indeß die hierortigen derselben kaum
Erwähnung thun.

Zu der Feier des 70. Geburtstages des Grafen Moritz Dietrich¬
stein, welcher Präfect der Hofbibliothek ist, haben die zehn Bean-


sich alle möglichen Wirkungen entwickeln können, und hat König Lud¬
wig von Baiern auch die Idee Karls des Großen ausgeführt, so hat
er doch nicht die Macht und das Ansehen, welches Karl der Große
hatte und womit dieser seinen Canal geschützt haben würde.

Die Nachricht von der Ausweisung der deutschen Schriftsteller in
Paris hat auch hier gewaltiges Aufsehen gemacht. Von Oesterreichern
befindet sich meines Wissens blos Bernstein unter den Ausgewiesenen
und dieser hat Freunde gefunden, welche seinen Pariser Aufenthalt
auch fernerhin möglich machen; indeß Rüge anfänglich von der fran¬
zösischen Polizei mit ihm auf gleichem Fuß behandelt ward, bis der
Schrei der Entrüstung über dieses gegen einen Mann von Charakter
und literarischer Tüchtigkeit beobachtete Verfahren sogar in das Mi¬
nisterhotel drang und diese ihren Fehler verbesserten. Ueberhaupt hat
es sich bei dieser Gelegenheit wieder gezeigt, wie wenig die Franzosen
eigentlich von Deutschland wissen. Wer mochte es glauben, daß unser
gutmüthige, alte Gräffer, den Sie selbst kennen, diese loyale Seele,
die ganz in den Erinnerungen der Vergangenheit schwelgt, und welcher
von Alringer und Ratschky noch immer mit der wärmsten Begeisterung
spricht, daß dieser Mann, der ruhig in seinem Wiener Buchladen sitzt,
von der Pariser Polizei als deutscher Demagog mit legitimistischcr
Idiosynkrasie gegen das Haus Orleans in allen Arrondissements emsig
gesucht wird. Und dennoch geschah es; vierzehn Tage lang war die
Polizei auf den Füßen, um die Wohnung des Monsieur Gräffer,
revolutilmiür illlei»im«l, zu erkunden. Sie hatte nämlich die Weisung,
sämmtliche Mitarbeiter des deutschen Journals „Vorwärts" fortzuschaf¬
fen, der Präfect ließ sich deshalb diese Zeitschrift bringen und alle Na¬
men herausschreiben, worunter sich denn auch der Name Gräffer
befand, von dem in dem deutschen Pariser Blatte ein den hiesigen
„Sonntagsblättern" entlehnter Aufsatz über den Herzog von Reichstadt
unter dem Titel „das Pensum" abgedruckt war. Dies reichte hin auf
Gräffer zu fahnden, der indeß wie gewöhnlich frühstückte und seine
weiße Halsbinde umlegte, ohne sich von der Rolle etwas träumen zu
lassen, die er ganz unbewußt in Paris spielte.

Ein Bruder des in Paris verweilenden Bernstein lebt hier als
Medicinä Doctor und hat sich in der jüngsten Zeit unter dem Namen Hugo
durch die Herausgabe einiger Dramen, wie: „die große Fibel," „der
Stein der Weisen" bemerkbar gemacht. Doch scheinen die Produkte, die
sich durch einen gewissen philosophischen Anstrich und Kälte der Sprache
auszeichnen, sich mehr im deutschen Ausland als in Oesterreich selbst
Anerkennung verschafft zu haben, wenigstens liest man in auswärti¬
gen Blättern rühmende Kritiken, indeß die hierortigen derselben kaum
Erwähnung thun.

Zu der Feier des 70. Geburtstages des Grafen Moritz Dietrich¬
stein, welcher Präfect der Hofbibliothek ist, haben die zehn Bean-


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[0620] sich alle möglichen Wirkungen entwickeln können, und hat König Lud¬ wig von Baiern auch die Idee Karls des Großen ausgeführt, so hat er doch nicht die Macht und das Ansehen, welches Karl der Große hatte und womit dieser seinen Canal geschützt haben würde. Die Nachricht von der Ausweisung der deutschen Schriftsteller in Paris hat auch hier gewaltiges Aufsehen gemacht. Von Oesterreichern befindet sich meines Wissens blos Bernstein unter den Ausgewiesenen und dieser hat Freunde gefunden, welche seinen Pariser Aufenthalt auch fernerhin möglich machen; indeß Rüge anfänglich von der fran¬ zösischen Polizei mit ihm auf gleichem Fuß behandelt ward, bis der Schrei der Entrüstung über dieses gegen einen Mann von Charakter und literarischer Tüchtigkeit beobachtete Verfahren sogar in das Mi¬ nisterhotel drang und diese ihren Fehler verbesserten. Ueberhaupt hat es sich bei dieser Gelegenheit wieder gezeigt, wie wenig die Franzosen eigentlich von Deutschland wissen. Wer mochte es glauben, daß unser gutmüthige, alte Gräffer, den Sie selbst kennen, diese loyale Seele, die ganz in den Erinnerungen der Vergangenheit schwelgt, und welcher von Alringer und Ratschky noch immer mit der wärmsten Begeisterung spricht, daß dieser Mann, der ruhig in seinem Wiener Buchladen sitzt, von der Pariser Polizei als deutscher Demagog mit legitimistischcr Idiosynkrasie gegen das Haus Orleans in allen Arrondissements emsig gesucht wird. Und dennoch geschah es; vierzehn Tage lang war die Polizei auf den Füßen, um die Wohnung des Monsieur Gräffer, revolutilmiür illlei»im«l, zu erkunden. Sie hatte nämlich die Weisung, sämmtliche Mitarbeiter des deutschen Journals „Vorwärts" fortzuschaf¬ fen, der Präfect ließ sich deshalb diese Zeitschrift bringen und alle Na¬ men herausschreiben, worunter sich denn auch der Name Gräffer befand, von dem in dem deutschen Pariser Blatte ein den hiesigen „Sonntagsblättern" entlehnter Aufsatz über den Herzog von Reichstadt unter dem Titel „das Pensum" abgedruckt war. Dies reichte hin auf Gräffer zu fahnden, der indeß wie gewöhnlich frühstückte und seine weiße Halsbinde umlegte, ohne sich von der Rolle etwas träumen zu lassen, die er ganz unbewußt in Paris spielte. Ein Bruder des in Paris verweilenden Bernstein lebt hier als Medicinä Doctor und hat sich in der jüngsten Zeit unter dem Namen Hugo durch die Herausgabe einiger Dramen, wie: „die große Fibel," „der Stein der Weisen" bemerkbar gemacht. Doch scheinen die Produkte, die sich durch einen gewissen philosophischen Anstrich und Kälte der Sprache auszeichnen, sich mehr im deutschen Ausland als in Oesterreich selbst Anerkennung verschafft zu haben, wenigstens liest man in auswärti¬ gen Blättern rühmende Kritiken, indeß die hierortigen derselben kaum Erwähnung thun. Zu der Feier des 70. Geburtstages des Grafen Moritz Dietrich¬ stein, welcher Präfect der Hofbibliothek ist, haben die zehn Bean-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/620>, abgerufen am 22.07.2024.