Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

den Landtagsverhandlungen sitzen keine Minister auf der Bank, welche
Erklärungen abgeben oder den Gang der Debatte durch das Gewicht
ihrer Rede leiten könnten; der königliche Personal ist Alles in Allein
und er soll Präsident und Minister zugleich sein. Daher die vielen
schiefen Ansichten unter den Deputirten, so oft eS sich nicht um Prin¬
zipien, sondern um Zahlen, Verhältnisse und Verwaltungsgegenstände
handelt; da ist Niemand, der dem Irrthum sogleich die Wahrheit
entgegenstellte, Niemand, der die Absichten der Regierung gegen die
Angriffe der Opposition verträte, Niemand, welcher, wo die Erörterung
auf Abwege geräth, durch ein schlagendes Wort den Zusammenhang
retten könnte. Denn unmöglich wird man sich auf die Redner der
Regierungspartei berufen wollen; diese Redner, wie bedeutend auch
ihre rhetorische Begabung sein möge, wie gut unterrichtet in den Be¬
weisführungen der Regierungslogik, besitzen einmal jenes Ansehen
nicht, welches der Berather der Krone hat; sie erscheinen den Volks¬
vertretern stets wie Miethlinge, die um eine fette Pfründe das An-
bcneidenswerthe Amt der Vertheidigung übernommen, und zwei
Worte aus dem Munde eines Ministers wirken mehr als tausend
Tiraden aus dem Munde von Abgeordneten. Ich will damit
nicht sagen, als wäre das Wort ergebener Mitglieder, wenn sie an¬
ders Talent besitzen, ohne Werth, aber mit der Autorität ist es in
keiner Weise zu vergleichen, die ein Minister bei der Versammlung
hätte. So aber muß jede Anfrage, welche leicht mit einigen Worten
abgethan sein könnte, den weitesten Umweg zur Regierung machen
und diese schriftliche Nöthigung bringt die Mündlichkeit um
ihre herrlichsten Wirkungen.

Es ist erklärlich, daß die Opposition, nachdem sie auf dem Land¬
tage selbst ihre auf die materielle Landcswohlfcchrt gerichteten Pläne
nicht verwirklichen konnte, dieses außerhalb des parlamentarischen Wir- .
tems mittelst Vereinskraft zu bewerkstelligen suchte, um nur dem Volke
zu zeigen, daß von ihrer Seite Alles geschehe, die Unfruchtbarkeit
des Reichstages gut zu machen. Aus dieser Quelle entsprang der
Industrie-Schutzverein, über dessen Grundidee und Organisation
ich mich später auslassen will. Jetzt nur so viel, daß die Regierung
dieses Aufflackern des Associationögeistes ohne bestimmte Controle
kaum dulden dürfte, weil dadurch leicht sich eine zwingende außer¬
parlamentarische Macht festsetzen könnte, an der das königliche Veto


76

den Landtagsverhandlungen sitzen keine Minister auf der Bank, welche
Erklärungen abgeben oder den Gang der Debatte durch das Gewicht
ihrer Rede leiten könnten; der königliche Personal ist Alles in Allein
und er soll Präsident und Minister zugleich sein. Daher die vielen
schiefen Ansichten unter den Deputirten, so oft eS sich nicht um Prin¬
zipien, sondern um Zahlen, Verhältnisse und Verwaltungsgegenstände
handelt; da ist Niemand, der dem Irrthum sogleich die Wahrheit
entgegenstellte, Niemand, der die Absichten der Regierung gegen die
Angriffe der Opposition verträte, Niemand, welcher, wo die Erörterung
auf Abwege geräth, durch ein schlagendes Wort den Zusammenhang
retten könnte. Denn unmöglich wird man sich auf die Redner der
Regierungspartei berufen wollen; diese Redner, wie bedeutend auch
ihre rhetorische Begabung sein möge, wie gut unterrichtet in den Be¬
weisführungen der Regierungslogik, besitzen einmal jenes Ansehen
nicht, welches der Berather der Krone hat; sie erscheinen den Volks¬
vertretern stets wie Miethlinge, die um eine fette Pfründe das An-
bcneidenswerthe Amt der Vertheidigung übernommen, und zwei
Worte aus dem Munde eines Ministers wirken mehr als tausend
Tiraden aus dem Munde von Abgeordneten. Ich will damit
nicht sagen, als wäre das Wort ergebener Mitglieder, wenn sie an¬
ders Talent besitzen, ohne Werth, aber mit der Autorität ist es in
keiner Weise zu vergleichen, die ein Minister bei der Versammlung
hätte. So aber muß jede Anfrage, welche leicht mit einigen Worten
abgethan sein könnte, den weitesten Umweg zur Regierung machen
und diese schriftliche Nöthigung bringt die Mündlichkeit um
ihre herrlichsten Wirkungen.

Es ist erklärlich, daß die Opposition, nachdem sie auf dem Land¬
tage selbst ihre auf die materielle Landcswohlfcchrt gerichteten Pläne
nicht verwirklichen konnte, dieses außerhalb des parlamentarischen Wir- .
tems mittelst Vereinskraft zu bewerkstelligen suchte, um nur dem Volke
zu zeigen, daß von ihrer Seite Alles geschehe, die Unfruchtbarkeit
des Reichstages gut zu machen. Aus dieser Quelle entsprang der
Industrie-Schutzverein, über dessen Grundidee und Organisation
ich mich später auslassen will. Jetzt nur so viel, daß die Regierung
dieses Aufflackern des Associationögeistes ohne bestimmte Controle
kaum dulden dürfte, weil dadurch leicht sich eine zwingende außer¬
parlamentarische Macht festsetzen könnte, an der das königliche Veto


76
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0601" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270016"/>
            <p xml:id="ID_1714" prev="#ID_1713"> den Landtagsverhandlungen sitzen keine Minister auf der Bank, welche<lb/>
Erklärungen abgeben oder den Gang der Debatte durch das Gewicht<lb/>
ihrer Rede leiten könnten; der königliche Personal ist Alles in Allein<lb/>
und er soll Präsident und Minister zugleich sein. Daher die vielen<lb/>
schiefen Ansichten unter den Deputirten, so oft eS sich nicht um Prin¬<lb/>
zipien, sondern um Zahlen, Verhältnisse und Verwaltungsgegenstände<lb/>
handelt; da ist Niemand, der dem Irrthum sogleich die Wahrheit<lb/>
entgegenstellte, Niemand, der die Absichten der Regierung gegen die<lb/>
Angriffe der Opposition verträte, Niemand, welcher, wo die Erörterung<lb/>
auf Abwege geräth, durch ein schlagendes Wort den Zusammenhang<lb/>
retten könnte. Denn unmöglich wird man sich auf die Redner der<lb/>
Regierungspartei berufen wollen; diese Redner, wie bedeutend auch<lb/>
ihre rhetorische Begabung sein möge, wie gut unterrichtet in den Be¬<lb/>
weisführungen der Regierungslogik, besitzen einmal jenes Ansehen<lb/>
nicht, welches der Berather der Krone hat; sie erscheinen den Volks¬<lb/>
vertretern stets wie Miethlinge, die um eine fette Pfründe das An-<lb/>
bcneidenswerthe Amt der Vertheidigung übernommen, und zwei<lb/>
Worte aus dem Munde eines Ministers wirken mehr als tausend<lb/>
Tiraden aus dem Munde von Abgeordneten.  Ich will damit<lb/>
nicht sagen, als wäre das Wort ergebener Mitglieder, wenn sie an¬<lb/>
ders Talent besitzen, ohne Werth, aber mit der Autorität ist es in<lb/>
keiner Weise zu vergleichen, die ein Minister bei der Versammlung<lb/>
hätte.  So aber muß jede Anfrage, welche leicht mit einigen Worten<lb/>
abgethan sein könnte, den weitesten Umweg zur Regierung machen<lb/>
und diese schriftliche Nöthigung bringt die Mündlichkeit um<lb/>
ihre herrlichsten Wirkungen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1715" next="#ID_1716"> Es ist erklärlich, daß die Opposition, nachdem sie auf dem Land¬<lb/>
tage selbst ihre auf die materielle Landcswohlfcchrt gerichteten Pläne<lb/>
nicht verwirklichen konnte, dieses außerhalb des parlamentarischen Wir- .<lb/>
tems mittelst Vereinskraft zu bewerkstelligen suchte, um nur dem Volke<lb/>
zu zeigen, daß von ihrer Seite Alles geschehe, die Unfruchtbarkeit<lb/>
des Reichstages gut zu machen. Aus dieser Quelle entsprang der<lb/>
Industrie-Schutzverein, über dessen Grundidee und Organisation<lb/>
ich mich später auslassen will. Jetzt nur so viel, daß die Regierung<lb/>
dieses Aufflackern des Associationögeistes ohne bestimmte Controle<lb/>
kaum dulden dürfte, weil dadurch leicht sich eine zwingende außer¬<lb/>
parlamentarische Macht festsetzen könnte, an der das königliche Veto</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 76</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0601] den Landtagsverhandlungen sitzen keine Minister auf der Bank, welche Erklärungen abgeben oder den Gang der Debatte durch das Gewicht ihrer Rede leiten könnten; der königliche Personal ist Alles in Allein und er soll Präsident und Minister zugleich sein. Daher die vielen schiefen Ansichten unter den Deputirten, so oft eS sich nicht um Prin¬ zipien, sondern um Zahlen, Verhältnisse und Verwaltungsgegenstände handelt; da ist Niemand, der dem Irrthum sogleich die Wahrheit entgegenstellte, Niemand, der die Absichten der Regierung gegen die Angriffe der Opposition verträte, Niemand, welcher, wo die Erörterung auf Abwege geräth, durch ein schlagendes Wort den Zusammenhang retten könnte. Denn unmöglich wird man sich auf die Redner der Regierungspartei berufen wollen; diese Redner, wie bedeutend auch ihre rhetorische Begabung sein möge, wie gut unterrichtet in den Be¬ weisführungen der Regierungslogik, besitzen einmal jenes Ansehen nicht, welches der Berather der Krone hat; sie erscheinen den Volks¬ vertretern stets wie Miethlinge, die um eine fette Pfründe das An- bcneidenswerthe Amt der Vertheidigung übernommen, und zwei Worte aus dem Munde eines Ministers wirken mehr als tausend Tiraden aus dem Munde von Abgeordneten. Ich will damit nicht sagen, als wäre das Wort ergebener Mitglieder, wenn sie an¬ ders Talent besitzen, ohne Werth, aber mit der Autorität ist es in keiner Weise zu vergleichen, die ein Minister bei der Versammlung hätte. So aber muß jede Anfrage, welche leicht mit einigen Worten abgethan sein könnte, den weitesten Umweg zur Regierung machen und diese schriftliche Nöthigung bringt die Mündlichkeit um ihre herrlichsten Wirkungen. Es ist erklärlich, daß die Opposition, nachdem sie auf dem Land¬ tage selbst ihre auf die materielle Landcswohlfcchrt gerichteten Pläne nicht verwirklichen konnte, dieses außerhalb des parlamentarischen Wir- . tems mittelst Vereinskraft zu bewerkstelligen suchte, um nur dem Volke zu zeigen, daß von ihrer Seite Alles geschehe, die Unfruchtbarkeit des Reichstages gut zu machen. Aus dieser Quelle entsprang der Industrie-Schutzverein, über dessen Grundidee und Organisation ich mich später auslassen will. Jetzt nur so viel, daß die Regierung dieses Aufflackern des Associationögeistes ohne bestimmte Controle kaum dulden dürfte, weil dadurch leicht sich eine zwingende außer¬ parlamentarische Macht festsetzen könnte, an der das königliche Veto 76

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/601
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/601>, abgerufen am 22.07.2024.