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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Rede an die Freimaurer,
von Ludwig Börne.



So oft unsrer göttlichen Kunst ein neuer Tempel erbaut wird,
kann man sich einer Betrachtung nicht erwehren, die das Herz betrübt
und den Geist gefangen nimmt. Warum muß die Wahrheit hinter
Manen flüchten, wo des Lebens frische Lüfte sie nicht berühren, wo
der Sonne Strahl sie nicht beleuchtet, wo sie beim Dämmerschein der
Kerzen hinschmachtet und ihre Farbe der Gesundheit verbleicht? Wie
lange noch wird die Göttin, der Beschwörung deö Eingeweihten allein
folgend, dem Rufe deö Profanen ungehorsam bleiben? Wie lange
noch soll das himmlische Licht, in die engen Schranken eines Dreiecks
gebannt, der Menge unzugänglich sein, die dürstend nach der Quelle
eilt? Ist dieses Weltall nicht geschmückt genug, daß es uns zum
Tempel dienen könne? 'Sind die Säulen des Rechts und der Liebe
nicht stark genug, um das ewige Firmament der Wahrheit zu tragen,
und lehrt die blühende Natur nicht jede Wissenschaft schöner und
lebendiger als stumme Zeichen, auf todte Leinwand gemalt? -- --
Solche Zweifel hegend, kam ich zu einem frommen Priester der



D- Red.
Durch einen glückliche" Anfall kamen wir in Besitz einer interessanten,
als Manuscript für Maurer gedruckten Schrift, die den Titel führt: "Fest¬
gaben, dargebracht von Brüdern der Loge zur aufgehenden
Morgenröthe im Orient zu Frankfurt o. M. zur Feier ihres
25jährigen Jubiläums 1833." Unter den Festgaben fanden wir Bör-
ne's Rede. Dies edle Wort eines der edelsten Bürger von Pere la Chaise wird
nur Wenigen bekannt sein -- auch im Börne'schen Nachlaß ist es nicht ent¬
halten --; wir beeilen uns daher, es der Oeffentlichkeit zu übergeben.,
S!rc"zbotcn, > 75
Rede an die Freimaurer,
von Ludwig Börne.



So oft unsrer göttlichen Kunst ein neuer Tempel erbaut wird,
kann man sich einer Betrachtung nicht erwehren, die das Herz betrübt
und den Geist gefangen nimmt. Warum muß die Wahrheit hinter
Manen flüchten, wo des Lebens frische Lüfte sie nicht berühren, wo
der Sonne Strahl sie nicht beleuchtet, wo sie beim Dämmerschein der
Kerzen hinschmachtet und ihre Farbe der Gesundheit verbleicht? Wie
lange noch wird die Göttin, der Beschwörung deö Eingeweihten allein
folgend, dem Rufe deö Profanen ungehorsam bleiben? Wie lange
noch soll das himmlische Licht, in die engen Schranken eines Dreiecks
gebannt, der Menge unzugänglich sein, die dürstend nach der Quelle
eilt? Ist dieses Weltall nicht geschmückt genug, daß es uns zum
Tempel dienen könne? 'Sind die Säulen des Rechts und der Liebe
nicht stark genug, um das ewige Firmament der Wahrheit zu tragen,
und lehrt die blühende Natur nicht jede Wissenschaft schöner und
lebendiger als stumme Zeichen, auf todte Leinwand gemalt? — —
Solche Zweifel hegend, kam ich zu einem frommen Priester der



D- Red.
Durch einen glückliche» Anfall kamen wir in Besitz einer interessanten,
als Manuscript für Maurer gedruckten Schrift, die den Titel führt: „Fest¬
gaben, dargebracht von Brüdern der Loge zur aufgehenden
Morgenröthe im Orient zu Frankfurt o. M. zur Feier ihres
25jährigen Jubiläums 1833." Unter den Festgaben fanden wir Bör-
ne's Rede. Dies edle Wort eines der edelsten Bürger von Pere la Chaise wird
nur Wenigen bekannt sein — auch im Börne'schen Nachlaß ist es nicht ent¬
halten —; wir beeilen uns daher, es der Oeffentlichkeit zu übergeben.,
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[0591] Rede an die Freimaurer, von Ludwig Börne. So oft unsrer göttlichen Kunst ein neuer Tempel erbaut wird, kann man sich einer Betrachtung nicht erwehren, die das Herz betrübt und den Geist gefangen nimmt. Warum muß die Wahrheit hinter Manen flüchten, wo des Lebens frische Lüfte sie nicht berühren, wo der Sonne Strahl sie nicht beleuchtet, wo sie beim Dämmerschein der Kerzen hinschmachtet und ihre Farbe der Gesundheit verbleicht? Wie lange noch wird die Göttin, der Beschwörung deö Eingeweihten allein folgend, dem Rufe deö Profanen ungehorsam bleiben? Wie lange noch soll das himmlische Licht, in die engen Schranken eines Dreiecks gebannt, der Menge unzugänglich sein, die dürstend nach der Quelle eilt? Ist dieses Weltall nicht geschmückt genug, daß es uns zum Tempel dienen könne? 'Sind die Säulen des Rechts und der Liebe nicht stark genug, um das ewige Firmament der Wahrheit zu tragen, und lehrt die blühende Natur nicht jede Wissenschaft schöner und lebendiger als stumme Zeichen, auf todte Leinwand gemalt? — — Solche Zweifel hegend, kam ich zu einem frommen Priester der D- Red. Durch einen glückliche» Anfall kamen wir in Besitz einer interessanten, als Manuscript für Maurer gedruckten Schrift, die den Titel führt: „Fest¬ gaben, dargebracht von Brüdern der Loge zur aufgehenden Morgenröthe im Orient zu Frankfurt o. M. zur Feier ihres 25jährigen Jubiläums 1833." Unter den Festgaben fanden wir Bör- ne's Rede. Dies edle Wort eines der edelsten Bürger von Pere la Chaise wird nur Wenigen bekannt sein — auch im Börne'schen Nachlaß ist es nicht ent¬ halten —; wir beeilen uns daher, es der Oeffentlichkeit zu übergeben., S!rc»zbotcn, > 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/591>, abgerufen am 22.07.2024.