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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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sich auf die fliehende Beute stürzte. Der "Majestätsbeleidiger" war
noch nicht in Aachen, als seine Ankunft schon per Telegraphen signa-
lisirt und die ganze Polizei auf den Beinen war. Prutz aber ist nun erst
recht Märtyrer geworden, und in Berlin wird man genöthigt sein, zur
Erbauung von Nord- und Süddeutschland, das unglückselige Flöten-
spiel zu Ende zu spielen, welches nie hatte beginnen sollen. Denn
was schaut bei dem Prozeß heraus? Nur Prutz kann dabei gewinnen,
ob er zu ein Paar Monaten Festung verurtheilt oder ob er freige¬
sprochen wird.

-- Aus Berlin schreibt man uns: Der bekannte Philolog Jo¬
hannes Minkwitz, der die von Freiligrath aufgegebene Pension erhal¬
tenhat, soll bemüht sein, Platen's "verhängnißvolle Gabel" hier auf die
Bühne zu bringen. Man glaubt, daß seine Bestrebungen nicht er¬
folglos bleiben werden.

-- (Brieflich aus Prag.) Aus Hartmann's "Kelch und Schwert"
coursiren hier viele einzelne Lieder in czechischer Uebersetzung, natürlich
als Manuscript. Gegen das Original dagegen ist die polizeiliche
Strenge größer, als sie je gegen ein im Auslande gedrucktes Werk
war. Mehrere Buchhändler sind sogar, weil sie das Buch mit dem
hussitischen Titel verkauften, in Kriminalprozesse verwickelt.

-- "Germaniens Völkerstimmen" von I. M. Firmenich (Berlin,
bei Schlesinger) sind mehr als eine gewöhnliche Compilation; in sprach¬
licher Hinsicht ist diese Sammlung sinniger Proben aus den zahllosen
deutschen Mundarten gewiß von Werth; wie Viel von ursprünglichen
Lauten aus den Dialekten noch süe das Hochdeutsche zu gewinnen ist,
läßt sich kaum übersehen. Die "Völkcrstimmen" sind aber auch durch
die sorgfältige Zusammenstellung von Sagen, Sprüchwörtern und
Liedern das sprechendste, bis in's Kleinste detaillirte Bild der Sitten
und Brauche des deutschen Volkes. Die 5. Lieferung, die uns eben
vorliegt, beschäftigt sich mit den niederdeutschen Mundarten aus und
um Westphalen.

-- Reventlow, der Mnemotechniker, hat überall in Deutschland
Proselyten gemacht; in Leipzig ist einer seiner eifrigsten Jünger der
Schriftsteller Hermann Kothe, der zweimal öffentlich interessante Pro¬
ben in dieser Geistcsturnerei abgelegt und die Reventlowsche Methode
mit Leichtigkeit Andern beigebracht hat. Gewisse Dinge aber vergessen
die Deutschen doch stets, und wenn sie alle zu leibhaftigen Ncvent-
lows werden.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

sich auf die fliehende Beute stürzte. Der „Majestätsbeleidiger" war
noch nicht in Aachen, als seine Ankunft schon per Telegraphen signa-
lisirt und die ganze Polizei auf den Beinen war. Prutz aber ist nun erst
recht Märtyrer geworden, und in Berlin wird man genöthigt sein, zur
Erbauung von Nord- und Süddeutschland, das unglückselige Flöten-
spiel zu Ende zu spielen, welches nie hatte beginnen sollen. Denn
was schaut bei dem Prozeß heraus? Nur Prutz kann dabei gewinnen,
ob er zu ein Paar Monaten Festung verurtheilt oder ob er freige¬
sprochen wird.

— Aus Berlin schreibt man uns: Der bekannte Philolog Jo¬
hannes Minkwitz, der die von Freiligrath aufgegebene Pension erhal¬
tenhat, soll bemüht sein, Platen's „verhängnißvolle Gabel" hier auf die
Bühne zu bringen. Man glaubt, daß seine Bestrebungen nicht er¬
folglos bleiben werden.

— (Brieflich aus Prag.) Aus Hartmann's „Kelch und Schwert"
coursiren hier viele einzelne Lieder in czechischer Uebersetzung, natürlich
als Manuscript. Gegen das Original dagegen ist die polizeiliche
Strenge größer, als sie je gegen ein im Auslande gedrucktes Werk
war. Mehrere Buchhändler sind sogar, weil sie das Buch mit dem
hussitischen Titel verkauften, in Kriminalprozesse verwickelt.

— „Germaniens Völkerstimmen" von I. M. Firmenich (Berlin,
bei Schlesinger) sind mehr als eine gewöhnliche Compilation; in sprach¬
licher Hinsicht ist diese Sammlung sinniger Proben aus den zahllosen
deutschen Mundarten gewiß von Werth; wie Viel von ursprünglichen
Lauten aus den Dialekten noch süe das Hochdeutsche zu gewinnen ist,
läßt sich kaum übersehen. Die „Völkcrstimmen" sind aber auch durch
die sorgfältige Zusammenstellung von Sagen, Sprüchwörtern und
Liedern das sprechendste, bis in's Kleinste detaillirte Bild der Sitten
und Brauche des deutschen Volkes. Die 5. Lieferung, die uns eben
vorliegt, beschäftigt sich mit den niederdeutschen Mundarten aus und
um Westphalen.

— Reventlow, der Mnemotechniker, hat überall in Deutschland
Proselyten gemacht; in Leipzig ist einer seiner eifrigsten Jünger der
Schriftsteller Hermann Kothe, der zweimal öffentlich interessante Pro¬
ben in dieser Geistcsturnerei abgelegt und die Reventlowsche Methode
mit Leichtigkeit Andern beigebracht hat. Gewisse Dinge aber vergessen
die Deutschen doch stets, und wenn sie alle zu leibhaftigen Ncvent-
lows werden.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0590] sich auf die fliehende Beute stürzte. Der „Majestätsbeleidiger" war noch nicht in Aachen, als seine Ankunft schon per Telegraphen signa- lisirt und die ganze Polizei auf den Beinen war. Prutz aber ist nun erst recht Märtyrer geworden, und in Berlin wird man genöthigt sein, zur Erbauung von Nord- und Süddeutschland, das unglückselige Flöten- spiel zu Ende zu spielen, welches nie hatte beginnen sollen. Denn was schaut bei dem Prozeß heraus? Nur Prutz kann dabei gewinnen, ob er zu ein Paar Monaten Festung verurtheilt oder ob er freige¬ sprochen wird. — Aus Berlin schreibt man uns: Der bekannte Philolog Jo¬ hannes Minkwitz, der die von Freiligrath aufgegebene Pension erhal¬ tenhat, soll bemüht sein, Platen's „verhängnißvolle Gabel" hier auf die Bühne zu bringen. Man glaubt, daß seine Bestrebungen nicht er¬ folglos bleiben werden. — (Brieflich aus Prag.) Aus Hartmann's „Kelch und Schwert" coursiren hier viele einzelne Lieder in czechischer Uebersetzung, natürlich als Manuscript. Gegen das Original dagegen ist die polizeiliche Strenge größer, als sie je gegen ein im Auslande gedrucktes Werk war. Mehrere Buchhändler sind sogar, weil sie das Buch mit dem hussitischen Titel verkauften, in Kriminalprozesse verwickelt. — „Germaniens Völkerstimmen" von I. M. Firmenich (Berlin, bei Schlesinger) sind mehr als eine gewöhnliche Compilation; in sprach¬ licher Hinsicht ist diese Sammlung sinniger Proben aus den zahllosen deutschen Mundarten gewiß von Werth; wie Viel von ursprünglichen Lauten aus den Dialekten noch süe das Hochdeutsche zu gewinnen ist, läßt sich kaum übersehen. Die „Völkcrstimmen" sind aber auch durch die sorgfältige Zusammenstellung von Sagen, Sprüchwörtern und Liedern das sprechendste, bis in's Kleinste detaillirte Bild der Sitten und Brauche des deutschen Volkes. Die 5. Lieferung, die uns eben vorliegt, beschäftigt sich mit den niederdeutschen Mundarten aus und um Westphalen. — Reventlow, der Mnemotechniker, hat überall in Deutschland Proselyten gemacht; in Leipzig ist einer seiner eifrigsten Jünger der Schriftsteller Hermann Kothe, der zweimal öffentlich interessante Pro¬ ben in dieser Geistcsturnerei abgelegt und die Reventlowsche Methode mit Leichtigkeit Andern beigebracht hat. Gewisse Dinge aber vergessen die Deutschen doch stets, und wenn sie alle zu leibhaftigen Ncvent- lows werden. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/590>, abgerufen am 22.07.2024.