Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

in der Komödie zeigt, so könnte man sie bald zu den Theatern ersten
Ranges zahlen.

-- Der dritte Band von Marlinski's Skizzen aus dem Kauka¬
sus (deutsch von PH. Löbenstein, Leipzig, bei Thomas) -- die ersten
2 Bände erwähnten wir bereits -- bringt v''er Piecen. Die erste
schildert eine halsbrecherische Fahrt zu dem Stamm der Kvissubulinen,
nach der Erzählung eines russischen Offiziers, der in Gefangenschaft
gerathen und nach vielen Drangsalen glücklich entkommen war. Die
Kvissubulinen gelten selbst den übrigen Kaukasusvölkern für auffal¬
lende Naturmenschen, sie wissen Nichts von Krieg, Nichts von Re¬
ligion, aber kennen doch das Eigenthum und ehren das Gastrecht;
ihre Frauen tragen keinen Schleier, was im Orient von besonderer
Bedeutung ist und mehr als buchstäblichen Sinn hat. Es ist nicht
zu übersehen, daß Marlinski, gleich Puschkin, durch alle poetische
und tiefe Naturschwärmerei immer den gesättigten, raffinirten und
-- wenn man will -- frivolen Cavalier durchblicken läßt. Eine andere
Seite des poetischen Weidmanns, -- die skeptisch melancholische --
zeigt Marlinski im zweiten Bilde: "Er wurde erschlagen;" das ist
lyrische Tagebuchpoesie, aber mitten drin frappirt uns eine Peters¬
burger Salonscene; die Aristokratie medisirt nämlich über einen armer.
Teufel von Poeten; offenbar nach dem Leben copirt. Welcher Auf¬
wand und welche Mischung von glänzender Bosheit und gemeinem
Witz steckt in der kleinen Scene! Wenn man den Grad der Eivili-
sation nach dem Luxus ihrer Giftblüthen bestimmen will, so ragt
Se. Petersburg hoch über alle Babels europäischer Civilisation empor.
Der "Abschied vom kaspischen Meere" ist ein Schwanengesang des
Dichters, der bald, nachdem er seine Caspia so besungen, im Kampf
mit den Tscherkessen erschossen wurde. "Ein Abend in den kauka¬
sischen Bädern" endlich erzählt in sehr pikanter Weise einige Schrech-
und Geistergeschichten. Die russischen Geister sind eben nicht sehr
mvndschcinig oder metaphysisch, dafür um so wirksamer.

-- Prutz wollte Preußen den Gefallen thun und auf einige Zeit
nach Belgien gehen; dies war die bequemste Gelegenheit, um die
ganze wunderliche Untersuchungsgeschichte bei Zeiten wieder einschlafen
zu lassen. Die Berichtige"-- konnten dann schreiben: "Prutz wolle
mit Gewalt den Verfolgten spielen, sein Prozeß sei bereits niederge¬
schlagen gewesen, und es hindere ihn Nichts, zurückzukehren u. s. w."
Eben so wollten ja gewisse Eorrespondenten die "Fahndung" auf Frei-
ligrath, nachdem man ihn nicht kriegen konnte, für eine Fabel er¬
klären und den Entflohenen -- vielleicht durch seoonä "ixlit -- in
Elberfeld gesehen haben. Wir begreifen die Prutz'sche Zuvorkommen¬
heit nicht; noch weniger aber die komische Taktlosigkeit, mit der man


in der Komödie zeigt, so könnte man sie bald zu den Theatern ersten
Ranges zahlen.

— Der dritte Band von Marlinski's Skizzen aus dem Kauka¬
sus (deutsch von PH. Löbenstein, Leipzig, bei Thomas) — die ersten
2 Bände erwähnten wir bereits — bringt v''er Piecen. Die erste
schildert eine halsbrecherische Fahrt zu dem Stamm der Kvissubulinen,
nach der Erzählung eines russischen Offiziers, der in Gefangenschaft
gerathen und nach vielen Drangsalen glücklich entkommen war. Die
Kvissubulinen gelten selbst den übrigen Kaukasusvölkern für auffal¬
lende Naturmenschen, sie wissen Nichts von Krieg, Nichts von Re¬
ligion, aber kennen doch das Eigenthum und ehren das Gastrecht;
ihre Frauen tragen keinen Schleier, was im Orient von besonderer
Bedeutung ist und mehr als buchstäblichen Sinn hat. Es ist nicht
zu übersehen, daß Marlinski, gleich Puschkin, durch alle poetische
und tiefe Naturschwärmerei immer den gesättigten, raffinirten und
— wenn man will — frivolen Cavalier durchblicken läßt. Eine andere
Seite des poetischen Weidmanns, — die skeptisch melancholische —
zeigt Marlinski im zweiten Bilde: „Er wurde erschlagen;" das ist
lyrische Tagebuchpoesie, aber mitten drin frappirt uns eine Peters¬
burger Salonscene; die Aristokratie medisirt nämlich über einen armer.
Teufel von Poeten; offenbar nach dem Leben copirt. Welcher Auf¬
wand und welche Mischung von glänzender Bosheit und gemeinem
Witz steckt in der kleinen Scene! Wenn man den Grad der Eivili-
sation nach dem Luxus ihrer Giftblüthen bestimmen will, so ragt
Se. Petersburg hoch über alle Babels europäischer Civilisation empor.
Der „Abschied vom kaspischen Meere" ist ein Schwanengesang des
Dichters, der bald, nachdem er seine Caspia so besungen, im Kampf
mit den Tscherkessen erschossen wurde. „Ein Abend in den kauka¬
sischen Bädern" endlich erzählt in sehr pikanter Weise einige Schrech-
und Geistergeschichten. Die russischen Geister sind eben nicht sehr
mvndschcinig oder metaphysisch, dafür um so wirksamer.

— Prutz wollte Preußen den Gefallen thun und auf einige Zeit
nach Belgien gehen; dies war die bequemste Gelegenheit, um die
ganze wunderliche Untersuchungsgeschichte bei Zeiten wieder einschlafen
zu lassen. Die Berichtige«-- konnten dann schreiben: „Prutz wolle
mit Gewalt den Verfolgten spielen, sein Prozeß sei bereits niederge¬
schlagen gewesen, und es hindere ihn Nichts, zurückzukehren u. s. w."
Eben so wollten ja gewisse Eorrespondenten die „Fahndung" auf Frei-
ligrath, nachdem man ihn nicht kriegen konnte, für eine Fabel er¬
klären und den Entflohenen — vielleicht durch seoonä «ixlit — in
Elberfeld gesehen haben. Wir begreifen die Prutz'sche Zuvorkommen¬
heit nicht; noch weniger aber die komische Taktlosigkeit, mit der man


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0589" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270004"/>
            <p xml:id="ID_1684" prev="#ID_1683"> in der Komödie zeigt, so könnte man sie bald zu den Theatern ersten<lb/>
Ranges zahlen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1685"> &#x2014; Der dritte Band von Marlinski's Skizzen aus dem Kauka¬<lb/>
sus (deutsch von PH. Löbenstein, Leipzig, bei Thomas) &#x2014; die ersten<lb/>
2 Bände erwähnten wir bereits &#x2014; bringt v''er Piecen. Die erste<lb/>
schildert eine halsbrecherische Fahrt zu dem Stamm der Kvissubulinen,<lb/>
nach der Erzählung eines russischen Offiziers, der in Gefangenschaft<lb/>
gerathen und nach vielen Drangsalen glücklich entkommen war. Die<lb/>
Kvissubulinen gelten selbst den übrigen Kaukasusvölkern für auffal¬<lb/>
lende Naturmenschen, sie wissen Nichts von Krieg, Nichts von Re¬<lb/>
ligion, aber kennen doch das Eigenthum und ehren das Gastrecht;<lb/>
ihre Frauen tragen keinen Schleier, was im Orient von besonderer<lb/>
Bedeutung ist und mehr als buchstäblichen Sinn hat. Es ist nicht<lb/>
zu übersehen, daß Marlinski, gleich Puschkin, durch alle poetische<lb/>
und tiefe Naturschwärmerei immer den gesättigten, raffinirten und<lb/>
&#x2014; wenn man will &#x2014; frivolen Cavalier durchblicken läßt. Eine andere<lb/>
Seite des poetischen Weidmanns, &#x2014; die skeptisch melancholische &#x2014;<lb/>
zeigt Marlinski im zweiten Bilde: &#x201E;Er wurde erschlagen;" das ist<lb/>
lyrische Tagebuchpoesie, aber mitten drin frappirt uns eine Peters¬<lb/>
burger Salonscene; die Aristokratie medisirt nämlich über einen armer.<lb/>
Teufel von Poeten; offenbar nach dem Leben copirt. Welcher Auf¬<lb/>
wand und welche Mischung von glänzender Bosheit und gemeinem<lb/>
Witz steckt in der kleinen Scene! Wenn man den Grad der Eivili-<lb/>
sation nach dem Luxus ihrer Giftblüthen bestimmen will, so ragt<lb/>
Se. Petersburg hoch über alle Babels europäischer Civilisation empor.<lb/>
Der &#x201E;Abschied vom kaspischen Meere" ist ein Schwanengesang des<lb/>
Dichters, der bald, nachdem er seine Caspia so besungen, im Kampf<lb/>
mit den Tscherkessen erschossen wurde. &#x201E;Ein Abend in den kauka¬<lb/>
sischen Bädern" endlich erzählt in sehr pikanter Weise einige Schrech-<lb/>
und Geistergeschichten. Die russischen Geister sind eben nicht sehr<lb/>
mvndschcinig oder metaphysisch, dafür um so wirksamer.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1686" next="#ID_1687"> &#x2014; Prutz wollte Preußen den Gefallen thun und auf einige Zeit<lb/>
nach Belgien gehen; dies war die bequemste Gelegenheit, um die<lb/>
ganze wunderliche Untersuchungsgeschichte bei Zeiten wieder einschlafen<lb/>
zu lassen. Die Berichtige«-- konnten dann schreiben: &#x201E;Prutz wolle<lb/>
mit Gewalt den Verfolgten spielen, sein Prozeß sei bereits niederge¬<lb/>
schlagen gewesen, und es hindere ihn Nichts, zurückzukehren u. s. w."<lb/>
Eben so wollten ja gewisse Eorrespondenten die &#x201E;Fahndung" auf Frei-<lb/>
ligrath, nachdem man ihn nicht kriegen konnte, für eine Fabel er¬<lb/>
klären und den Entflohenen &#x2014; vielleicht durch seoonä «ixlit &#x2014; in<lb/>
Elberfeld gesehen haben. Wir begreifen die Prutz'sche Zuvorkommen¬<lb/>
heit nicht; noch weniger aber die komische Taktlosigkeit, mit der man</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0589] in der Komödie zeigt, so könnte man sie bald zu den Theatern ersten Ranges zahlen. — Der dritte Band von Marlinski's Skizzen aus dem Kauka¬ sus (deutsch von PH. Löbenstein, Leipzig, bei Thomas) — die ersten 2 Bände erwähnten wir bereits — bringt v''er Piecen. Die erste schildert eine halsbrecherische Fahrt zu dem Stamm der Kvissubulinen, nach der Erzählung eines russischen Offiziers, der in Gefangenschaft gerathen und nach vielen Drangsalen glücklich entkommen war. Die Kvissubulinen gelten selbst den übrigen Kaukasusvölkern für auffal¬ lende Naturmenschen, sie wissen Nichts von Krieg, Nichts von Re¬ ligion, aber kennen doch das Eigenthum und ehren das Gastrecht; ihre Frauen tragen keinen Schleier, was im Orient von besonderer Bedeutung ist und mehr als buchstäblichen Sinn hat. Es ist nicht zu übersehen, daß Marlinski, gleich Puschkin, durch alle poetische und tiefe Naturschwärmerei immer den gesättigten, raffinirten und — wenn man will — frivolen Cavalier durchblicken läßt. Eine andere Seite des poetischen Weidmanns, — die skeptisch melancholische — zeigt Marlinski im zweiten Bilde: „Er wurde erschlagen;" das ist lyrische Tagebuchpoesie, aber mitten drin frappirt uns eine Peters¬ burger Salonscene; die Aristokratie medisirt nämlich über einen armer. Teufel von Poeten; offenbar nach dem Leben copirt. Welcher Auf¬ wand und welche Mischung von glänzender Bosheit und gemeinem Witz steckt in der kleinen Scene! Wenn man den Grad der Eivili- sation nach dem Luxus ihrer Giftblüthen bestimmen will, so ragt Se. Petersburg hoch über alle Babels europäischer Civilisation empor. Der „Abschied vom kaspischen Meere" ist ein Schwanengesang des Dichters, der bald, nachdem er seine Caspia so besungen, im Kampf mit den Tscherkessen erschossen wurde. „Ein Abend in den kauka¬ sischen Bädern" endlich erzählt in sehr pikanter Weise einige Schrech- und Geistergeschichten. Die russischen Geister sind eben nicht sehr mvndschcinig oder metaphysisch, dafür um so wirksamer. — Prutz wollte Preußen den Gefallen thun und auf einige Zeit nach Belgien gehen; dies war die bequemste Gelegenheit, um die ganze wunderliche Untersuchungsgeschichte bei Zeiten wieder einschlafen zu lassen. Die Berichtige«-- konnten dann schreiben: „Prutz wolle mit Gewalt den Verfolgten spielen, sein Prozeß sei bereits niederge¬ schlagen gewesen, und es hindere ihn Nichts, zurückzukehren u. s. w." Eben so wollten ja gewisse Eorrespondenten die „Fahndung" auf Frei- ligrath, nachdem man ihn nicht kriegen konnte, für eine Fabel er¬ klären und den Entflohenen — vielleicht durch seoonä «ixlit — in Elberfeld gesehen haben. Wir begreifen die Prutz'sche Zuvorkommen¬ heit nicht; noch weniger aber die komische Taktlosigkeit, mit der man

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/589
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/589>, abgerufen am 22.07.2024.