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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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eine Unmöglichkeit, diese Spannung nicht zu theilen; sie lag wie eine
ansteckende Krankheit in der Lust. Ich kenne Leute, die sich ihren
Unglauben an die Sache, wie Cholerabinden um ihr politisches Be¬
wußtsein gewickelt, oder die neuesten Erlassungen des Königs wie
Essig in den Mund genommen hatten, um sich vor den Einwirkun¬
gen dieses Gerüchtes zu schützen; dennoch aber habe ich sie davon
nicht selten in einem hohen Grade inficirt gesehen. Selbst Personen,
die nicht zu den leichtgläubigen und ununterrichteten gehören, habe
ich mit einer gewissen Zuversicht Mittheilungen darüber machen hö¬
ren. -- Einerseits, wurde gesagt, besitzt der König den löblichen
Ehrgeiz, sich einen geschichtlichen Namen erwerben zu wollen. An¬
drerseits, hieß es, sieht er sich auch in die Nothwendigkeit versetzt,
Anleihen zu machen, weil der Schatz erschöpft und neue Zuschüsse
ein Bedürfniß geworden. Zuletzt endlich, ward bemerklich gemacht,
habe er eine so große Pietät für seinen verstorbenen Vater und eine
so hingebende Verehrung für sein Volk, daß er sich nicht entbrechen
könne, die gegebenen Versprechungen des Erstem dem Letzter" in Er¬
füllung gehen zu lassen. -- Dem Allen mag nun sein, wie ihm
will, so steht doch fest, daß sich aus der bloßen blauen Lust so et¬
was nicht hat gestalten können, sondern daß gewisse, wenn auch nur
leise und für jetzt unmerkliche Bewegungen in der preußischen Mo¬
narchie entstanden sein müssen. Für eine Constitution des bloßen
Lari-fari, wie Bettina von Arnim sagt, ist die Aufregung doch
eine zu große und allgemeine gewesen. Wenn auch eine gewisse po¬
litische G edel in es u erei und die, von mir schon früher einmal
charakterisiere Politik des Schweigens mehr und mehr in Ber¬
lin gang und gäbe geworden sind, so sind beide doch durchaus nicht
geeignet, meine Annahme zu entkräften; denn beide sind gleichsam
nur eine dicke Atmosphäre, welche innere politische Evolutionen aus
den verschlossenen Räumen der Büreaukratie auszuströmen gezwungen
haben. Sie sind der Rauch, der uns ein Feuer verräth, das zu
sehen bisher uns noch verwehrt worden ist.

Aber, selbst wenn man annehmen will, daß an dem ganzen Ge¬
rücht nichts Wahres, und daß der Februar in Berlin Jo "wis as"
<ü>i"!8 gewesen ist, selbst dann ist er nicht ohne Bedeutung für unsere
Zeitgeschichte. Daß Berlin an dieses Gerücht mit vollem Ernst hat
glauben können, ist ein klares Zeugniß seiner Wünsche, ein Beweis
seiner Hoffnung. Im Fall dieser Glaube eine Täuschung ist, so
ist er eine erfreuliche zu nennen und mehr werth, als eine kleinliche
Erfüllung.

An Denjenigen, die sich am enthusiastischsten diesem Glauben hin¬
gegeben, wird auch Bettina von Arnim gerechnet, wie man sagt:
zu nicht geringem Mißfallen ihrer nächststehenden Verwandten. Seit
lange soll dieselbe mit anhaltendem Fleiße an dem "Buche der Ar-


eine Unmöglichkeit, diese Spannung nicht zu theilen; sie lag wie eine
ansteckende Krankheit in der Lust. Ich kenne Leute, die sich ihren
Unglauben an die Sache, wie Cholerabinden um ihr politisches Be¬
wußtsein gewickelt, oder die neuesten Erlassungen des Königs wie
Essig in den Mund genommen hatten, um sich vor den Einwirkun¬
gen dieses Gerüchtes zu schützen; dennoch aber habe ich sie davon
nicht selten in einem hohen Grade inficirt gesehen. Selbst Personen,
die nicht zu den leichtgläubigen und ununterrichteten gehören, habe
ich mit einer gewissen Zuversicht Mittheilungen darüber machen hö¬
ren. — Einerseits, wurde gesagt, besitzt der König den löblichen
Ehrgeiz, sich einen geschichtlichen Namen erwerben zu wollen. An¬
drerseits, hieß es, sieht er sich auch in die Nothwendigkeit versetzt,
Anleihen zu machen, weil der Schatz erschöpft und neue Zuschüsse
ein Bedürfniß geworden. Zuletzt endlich, ward bemerklich gemacht,
habe er eine so große Pietät für seinen verstorbenen Vater und eine
so hingebende Verehrung für sein Volk, daß er sich nicht entbrechen
könne, die gegebenen Versprechungen des Erstem dem Letzter» in Er¬
füllung gehen zu lassen. — Dem Allen mag nun sein, wie ihm
will, so steht doch fest, daß sich aus der bloßen blauen Lust so et¬
was nicht hat gestalten können, sondern daß gewisse, wenn auch nur
leise und für jetzt unmerkliche Bewegungen in der preußischen Mo¬
narchie entstanden sein müssen. Für eine Constitution des bloßen
Lari-fari, wie Bettina von Arnim sagt, ist die Aufregung doch
eine zu große und allgemeine gewesen. Wenn auch eine gewisse po¬
litische G edel in es u erei und die, von mir schon früher einmal
charakterisiere Politik des Schweigens mehr und mehr in Ber¬
lin gang und gäbe geworden sind, so sind beide doch durchaus nicht
geeignet, meine Annahme zu entkräften; denn beide sind gleichsam
nur eine dicke Atmosphäre, welche innere politische Evolutionen aus
den verschlossenen Räumen der Büreaukratie auszuströmen gezwungen
haben. Sie sind der Rauch, der uns ein Feuer verräth, das zu
sehen bisher uns noch verwehrt worden ist.

Aber, selbst wenn man annehmen will, daß an dem ganzen Ge¬
rücht nichts Wahres, und daß der Februar in Berlin Jo »wis as«
<ü>i»!8 gewesen ist, selbst dann ist er nicht ohne Bedeutung für unsere
Zeitgeschichte. Daß Berlin an dieses Gerücht mit vollem Ernst hat
glauben können, ist ein klares Zeugniß seiner Wünsche, ein Beweis
seiner Hoffnung. Im Fall dieser Glaube eine Täuschung ist, so
ist er eine erfreuliche zu nennen und mehr werth, als eine kleinliche
Erfüllung.

An Denjenigen, die sich am enthusiastischsten diesem Glauben hin¬
gegeben, wird auch Bettina von Arnim gerechnet, wie man sagt:
zu nicht geringem Mißfallen ihrer nächststehenden Verwandten. Seit
lange soll dieselbe mit anhaltendem Fleiße an dem „Buche der Ar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/581>, abgerufen am 29.06.2024.