Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Muth" arbeiten. Ihr Eifer und ihre Liebe dafür sollen einen so
hohen Grad erreicht haben, daß sie sich fast ganz ihren Freunden,
allen Gesellschaften und Zirkeln entzogen, nur um statt dessen ihre
Zeit und ihren Umgang den Nothleidenden und Verzweifelten zuzu¬
wenden. Ganze Tage soll sie mit ihnen verkehren, um ihnen die Er¬
zählungen ihrer Leiden und ihres Jammers für ihre neuesten Schrif¬
ten abzulauschen. Auf diese Weise also hatten wir von ihr nächstens
ein Märchenbuch des Elends, ein Evangelium der Armuth zu er¬
warten. -- Wenn man die geniale Frau in einer solchen Art beschäf¬
tigt sieht, wird man es erklärlich finden können, wie sie eine, von
einer dritten Person vermittelte Annäherung der Gräfin Jda
Hahn-Hahn vor längerer Zeit von der Hand zu weisen vermocht
hat. In den hiesigen Zirkeln war man nicht wenig darüber erstaunt.
Man sollte gerecht genug sein, die verschiedenen Naturen dieser be¬
deutenden Frau sich einander gegenüber zu denken. Um so mehr,
wenn man sich vorstellt, was es auf Bettina von Arnim für einen
Eindruck gemacht haben muß, wenn die Vermittlerin ihr die Gräfin
Jda Hahn-Hahn mit den Worten ankündigte: "Sie müssen sie
sehen, unsere Gräfin, das süße Wesen, mit den kleinen Füßchen und
den herrlichen Handen."

Wenn der Aristokratismus bei Bettina von Arnim auch dann
und wann einmal zum Vorschein kommt, -- was sich neulich wieder
in der Angelegenheit ihres Sohnes zeigte, der einen Prozeß gegen
ein königliches Kassenamt einleitete, weil dasselbe ihm seinen Gehalt
unter der Adresse: Herrn von Arnim und nicht Herrn Baron von
Arnim zugesendet hatte -- so geschieht ihr dies doch nur wie jener
Katze, die in eine Prinzessin verwandelt, es nicht unterlassen konnte,
den Mäuschen nachzuspringen, die sich zufällig in ihre Nähe wagten.
Der Aristokratismus ist bei Bettina von Arnim nur eine angeerbte
Gewohnheit, bei der Gräfin Jda Hahn-Hahn ist er bewußtes Prinzip,
auf welchem ihre ganze Natur basirt ist. Bei ihr ist der Adel nicht
nur Stand, sondern auch Race. Bon dem Adel als Race aber hat
Bettina von Arnim keinen Begriff und deswegen müssen, ihr natür¬
lich jene aristokratischen Werthlegungen aus kleine Füße und schöne
Hände lächerlich vorkommen. So angenehm es sein mag, solche Schön¬
heiten zu besitzen, so komisch ist es auch, diese Schönheiten gleichsam
nur als Privilegium des Adels anerkennen zu wollen. Die Berline¬
rinnen, die meist große und flache Füße haben, besitzen nicht selten
die schönsten und elegantesten Hände, ohne von Adel zu sein; Stirn
und Hände sind bei ihnen fast durchgehend von den edelsten und über¬
raschendsten Formen.

Was die berlinische Gesellschaft im Ganzen betrifft, so ist sie das
Geringste, auf welches stolz zu sein Berlin das Recht hat. In Ber¬
lin existirt eigentlich noch keine Gesellschaft, sie fangt erst an sich zu


Muth" arbeiten. Ihr Eifer und ihre Liebe dafür sollen einen so
hohen Grad erreicht haben, daß sie sich fast ganz ihren Freunden,
allen Gesellschaften und Zirkeln entzogen, nur um statt dessen ihre
Zeit und ihren Umgang den Nothleidenden und Verzweifelten zuzu¬
wenden. Ganze Tage soll sie mit ihnen verkehren, um ihnen die Er¬
zählungen ihrer Leiden und ihres Jammers für ihre neuesten Schrif¬
ten abzulauschen. Auf diese Weise also hatten wir von ihr nächstens
ein Märchenbuch des Elends, ein Evangelium der Armuth zu er¬
warten. — Wenn man die geniale Frau in einer solchen Art beschäf¬
tigt sieht, wird man es erklärlich finden können, wie sie eine, von
einer dritten Person vermittelte Annäherung der Gräfin Jda
Hahn-Hahn vor längerer Zeit von der Hand zu weisen vermocht
hat. In den hiesigen Zirkeln war man nicht wenig darüber erstaunt.
Man sollte gerecht genug sein, die verschiedenen Naturen dieser be¬
deutenden Frau sich einander gegenüber zu denken. Um so mehr,
wenn man sich vorstellt, was es auf Bettina von Arnim für einen
Eindruck gemacht haben muß, wenn die Vermittlerin ihr die Gräfin
Jda Hahn-Hahn mit den Worten ankündigte: „Sie müssen sie
sehen, unsere Gräfin, das süße Wesen, mit den kleinen Füßchen und
den herrlichen Handen."

Wenn der Aristokratismus bei Bettina von Arnim auch dann
und wann einmal zum Vorschein kommt, — was sich neulich wieder
in der Angelegenheit ihres Sohnes zeigte, der einen Prozeß gegen
ein königliches Kassenamt einleitete, weil dasselbe ihm seinen Gehalt
unter der Adresse: Herrn von Arnim und nicht Herrn Baron von
Arnim zugesendet hatte — so geschieht ihr dies doch nur wie jener
Katze, die in eine Prinzessin verwandelt, es nicht unterlassen konnte,
den Mäuschen nachzuspringen, die sich zufällig in ihre Nähe wagten.
Der Aristokratismus ist bei Bettina von Arnim nur eine angeerbte
Gewohnheit, bei der Gräfin Jda Hahn-Hahn ist er bewußtes Prinzip,
auf welchem ihre ganze Natur basirt ist. Bei ihr ist der Adel nicht
nur Stand, sondern auch Race. Bon dem Adel als Race aber hat
Bettina von Arnim keinen Begriff und deswegen müssen, ihr natür¬
lich jene aristokratischen Werthlegungen aus kleine Füße und schöne
Hände lächerlich vorkommen. So angenehm es sein mag, solche Schön¬
heiten zu besitzen, so komisch ist es auch, diese Schönheiten gleichsam
nur als Privilegium des Adels anerkennen zu wollen. Die Berline¬
rinnen, die meist große und flache Füße haben, besitzen nicht selten
die schönsten und elegantesten Hände, ohne von Adel zu sein; Stirn
und Hände sind bei ihnen fast durchgehend von den edelsten und über¬
raschendsten Formen.

Was die berlinische Gesellschaft im Ganzen betrifft, so ist sie das
Geringste, auf welches stolz zu sein Berlin das Recht hat. In Ber¬
lin existirt eigentlich noch keine Gesellschaft, sie fangt erst an sich zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0582" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269997"/>
            <p xml:id="ID_1664" prev="#ID_1663"> Muth" arbeiten. Ihr Eifer und ihre Liebe dafür sollen einen so<lb/>
hohen Grad erreicht haben, daß sie sich fast ganz ihren Freunden,<lb/>
allen Gesellschaften und Zirkeln entzogen, nur um statt dessen ihre<lb/>
Zeit und ihren Umgang den Nothleidenden und Verzweifelten zuzu¬<lb/>
wenden. Ganze Tage soll sie mit ihnen verkehren, um ihnen die Er¬<lb/>
zählungen ihrer Leiden und ihres Jammers für ihre neuesten Schrif¬<lb/>
ten abzulauschen. Auf diese Weise also hatten wir von ihr nächstens<lb/>
ein Märchenbuch des Elends, ein Evangelium der Armuth zu er¬<lb/>
warten. &#x2014; Wenn man die geniale Frau in einer solchen Art beschäf¬<lb/>
tigt sieht, wird man es erklärlich finden können, wie sie eine, von<lb/>
einer dritten Person vermittelte Annäherung der Gräfin Jda<lb/>
Hahn-Hahn vor längerer Zeit von der Hand zu weisen vermocht<lb/>
hat. In den hiesigen Zirkeln war man nicht wenig darüber erstaunt.<lb/>
Man sollte gerecht genug sein, die verschiedenen Naturen dieser be¬<lb/>
deutenden Frau sich einander gegenüber zu denken. Um so mehr,<lb/>
wenn man sich vorstellt, was es auf Bettina von Arnim für einen<lb/>
Eindruck gemacht haben muß, wenn die Vermittlerin ihr die Gräfin<lb/>
Jda Hahn-Hahn mit den Worten ankündigte: &#x201E;Sie müssen sie<lb/>
sehen, unsere Gräfin, das süße Wesen, mit den kleinen Füßchen und<lb/>
den herrlichen Handen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1665"> Wenn der Aristokratismus bei Bettina von Arnim auch dann<lb/>
und wann einmal zum Vorschein kommt, &#x2014; was sich neulich wieder<lb/>
in der Angelegenheit ihres Sohnes zeigte, der einen Prozeß gegen<lb/>
ein königliches Kassenamt einleitete, weil dasselbe ihm seinen Gehalt<lb/>
unter der Adresse: Herrn von Arnim und nicht Herrn Baron von<lb/>
Arnim zugesendet hatte &#x2014; so geschieht ihr dies doch nur wie jener<lb/>
Katze, die in eine Prinzessin verwandelt, es nicht unterlassen konnte,<lb/>
den Mäuschen nachzuspringen, die sich zufällig in ihre Nähe wagten.<lb/>
Der Aristokratismus ist bei Bettina von Arnim nur eine angeerbte<lb/>
Gewohnheit, bei der Gräfin Jda Hahn-Hahn ist er bewußtes Prinzip,<lb/>
auf welchem ihre ganze Natur basirt ist. Bei ihr ist der Adel nicht<lb/>
nur Stand, sondern auch Race. Bon dem Adel als Race aber hat<lb/>
Bettina von Arnim keinen Begriff und deswegen müssen, ihr natür¬<lb/>
lich jene aristokratischen Werthlegungen aus kleine Füße und schöne<lb/>
Hände lächerlich vorkommen. So angenehm es sein mag, solche Schön¬<lb/>
heiten zu besitzen, so komisch ist es auch, diese Schönheiten gleichsam<lb/>
nur als Privilegium des Adels anerkennen zu wollen. Die Berline¬<lb/>
rinnen, die meist große und flache Füße haben, besitzen nicht selten<lb/>
die schönsten und elegantesten Hände, ohne von Adel zu sein; Stirn<lb/>
und Hände sind bei ihnen fast durchgehend von den edelsten und über¬<lb/>
raschendsten Formen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1666" next="#ID_1667"> Was die berlinische Gesellschaft im Ganzen betrifft, so ist sie das<lb/>
Geringste, auf welches stolz zu sein Berlin das Recht hat. In Ber¬<lb/>
lin existirt eigentlich noch keine Gesellschaft, sie fangt erst an sich zu</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0582] Muth" arbeiten. Ihr Eifer und ihre Liebe dafür sollen einen so hohen Grad erreicht haben, daß sie sich fast ganz ihren Freunden, allen Gesellschaften und Zirkeln entzogen, nur um statt dessen ihre Zeit und ihren Umgang den Nothleidenden und Verzweifelten zuzu¬ wenden. Ganze Tage soll sie mit ihnen verkehren, um ihnen die Er¬ zählungen ihrer Leiden und ihres Jammers für ihre neuesten Schrif¬ ten abzulauschen. Auf diese Weise also hatten wir von ihr nächstens ein Märchenbuch des Elends, ein Evangelium der Armuth zu er¬ warten. — Wenn man die geniale Frau in einer solchen Art beschäf¬ tigt sieht, wird man es erklärlich finden können, wie sie eine, von einer dritten Person vermittelte Annäherung der Gräfin Jda Hahn-Hahn vor längerer Zeit von der Hand zu weisen vermocht hat. In den hiesigen Zirkeln war man nicht wenig darüber erstaunt. Man sollte gerecht genug sein, die verschiedenen Naturen dieser be¬ deutenden Frau sich einander gegenüber zu denken. Um so mehr, wenn man sich vorstellt, was es auf Bettina von Arnim für einen Eindruck gemacht haben muß, wenn die Vermittlerin ihr die Gräfin Jda Hahn-Hahn mit den Worten ankündigte: „Sie müssen sie sehen, unsere Gräfin, das süße Wesen, mit den kleinen Füßchen und den herrlichen Handen." Wenn der Aristokratismus bei Bettina von Arnim auch dann und wann einmal zum Vorschein kommt, — was sich neulich wieder in der Angelegenheit ihres Sohnes zeigte, der einen Prozeß gegen ein königliches Kassenamt einleitete, weil dasselbe ihm seinen Gehalt unter der Adresse: Herrn von Arnim und nicht Herrn Baron von Arnim zugesendet hatte — so geschieht ihr dies doch nur wie jener Katze, die in eine Prinzessin verwandelt, es nicht unterlassen konnte, den Mäuschen nachzuspringen, die sich zufällig in ihre Nähe wagten. Der Aristokratismus ist bei Bettina von Arnim nur eine angeerbte Gewohnheit, bei der Gräfin Jda Hahn-Hahn ist er bewußtes Prinzip, auf welchem ihre ganze Natur basirt ist. Bei ihr ist der Adel nicht nur Stand, sondern auch Race. Bon dem Adel als Race aber hat Bettina von Arnim keinen Begriff und deswegen müssen, ihr natür¬ lich jene aristokratischen Werthlegungen aus kleine Füße und schöne Hände lächerlich vorkommen. So angenehm es sein mag, solche Schön¬ heiten zu besitzen, so komisch ist es auch, diese Schönheiten gleichsam nur als Privilegium des Adels anerkennen zu wollen. Die Berline¬ rinnen, die meist große und flache Füße haben, besitzen nicht selten die schönsten und elegantesten Hände, ohne von Adel zu sein; Stirn und Hände sind bei ihnen fast durchgehend von den edelsten und über¬ raschendsten Formen. Was die berlinische Gesellschaft im Ganzen betrifft, so ist sie das Geringste, auf welches stolz zu sein Berlin das Recht hat. In Ber¬ lin existirt eigentlich noch keine Gesellschaft, sie fangt erst an sich zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/582
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/582>, abgerufen am 26.06.2024.